APA - Austria Presse Agentur

Staatsballett zeigt TV-Uraufführung seines neuen Direktors

Zu seinem Einstand als Direktor des Wiener Staatsballetts im Haus am Ring hat Martin Schläpfer eine Uraufführung für die gesamte Compagnie angesetzt. Ein Risiko, dass der Choreograf schon vor Amtsantritt eingegangen ist. Dann kam Corona. Am Freitag (4. Dezember) findet die Premiere von "Mahler, live"als Fernsehübertragung statt: "Das Werk unter diesen Umständen zu präsentieren, war eine gewaltige Herausforderung", so Schläpfer heute, Mittwoch, in einem Pressegespräch.

Eine Reihe positiver Covid-Fälle prägte die Probenzeit, die schließlich zehn Tage lang komplett pausieren musste. Das Ziel, sämtliche Tänzer von Volks- und Staatsoper zu vereinen, erwies sich in Pandemiezeiten als logistischer Hochseilakt. Die Premiere wurde verschoben, galt lange als unsicher, veränderte durch Übertragung per Kamera auch ihr Gesicht. "Was mich umtreibt ist die seltsame Relevanz dieser Stücke in einer Zeit, in der wir auf Distanz gepresst sind", so Schläpfer. Seine eigene Neuschöpfung stellt er einem Klassiker Hans van Manens gegenüber: "Live", ein Stück, das van Manen "selten bis gar nicht" außerhalb seiner eigenen Compagnie, dem Het Nationale Ballet in Amsterdam, aufführen lässt, wie Schläpfer betonte.

"Ich wollte als Direktor eine Compagnie präsentieren, die verschiedene Stile und Techniken zeigt", sagt Schläpfer über die Kombination. Die drastische Reduktion von "Live" trifft auf "4", seine eigene Arbeit zur Musik der 4. Symphonie von Gustav Mahler. "Ich habe mich entschieden, sofort für das gesamte Ensemble zu kreieren - auch die Tänzerinnen und Tänzer der Volksoper -, um sie alle kennenzulernen und um in der Realität miteinander umzugehen." Den Einstieg als neuer künstlerischer Leiter in ein Ensemble habe die gemeinsame Arbeit stark beschleunigt.

"Ich dachte, das wird schwierig", erzählte Schläpfer. "Es ging mir zunächst vor allem um den Schulterschluss dieser 102 Leute. Und dann war es eigentlich sehr schnell ein Konzentrieren auf mein Stück. Es war gar nicht schwierig. Das ist vielleicht auch das Schöne an der Tanzkunst: Wenn man zusammenkommt, kann man nicht kalkulieren, kann man nichts faken. Sondern man ist körperlich einander gegenüber. Das ist die Power des Tanzes." Auch das Staatsopernorchester wollte er mit der Wahl von Mahlers Musik "begrüßen": "Mit einer großen Musik, die sie so wunderbar spielen können."

Die Musik gibt dem Stück seine Form und - wie bei stets bei Schläpfer - umreißt damit zugleich seinen Inhalt. "Die Vierte ist unglaublich kleinteilig, ein Wechsel von Ortschaften, vom Hügel ins Tal, noch mehr als sonst bei Mahler. Es ist teilweise wie ein Scherenschnitt, es gibt keine Nester von Pathos, wo man im Thema bleiben kann, wie etwa in der Fünften. Die Vierte ist wendig, leicht und hinterlistig." Ihm kommt das entgegen: "Ich arbeite gerne in Fragmenten und kurzen Schüben. Ich habe es auch als Tänzer nie genossen, wenn ich auf der Bühne so - entschuldigen Sie - ausgekotzt, so exhausted, sein musste. Ich habe es gern, wenn die Tänzer frisch sind."

Durch die vielen Akteure und die Kleinteiligkeit der Musik könne man sich das neue Stück vorstellen "wie einen Archipel: Inseln, die unterirdisch miteinander verbunden sind". Zugleich ist es in gewisser Weise ein Dokument seiner seltsamen Entstehungszeit. "Das menschliche Drama, das die Musik suggeriert, hat auch mit Covid zu tun", so Schläpfer. "Denn ich hatte ja oft die Leute nicht im Saal. Ich musste also für die choreografieren, die gerade hier waren." Und von den geplanten drei riesigen Szenen, mit 100 Leuten auf der Bühne, ist nur eine geblieben. Die Covid-Fälle im Ensemble empfand Schläpfer als "Axtschlag": "Noch immer sind einige Protagonisten, für die ich maßgeschneidert habe, nicht zurück."

Auch mit Blick auf die weltweite "zum Teil wirklich grausame" Entwicklung in der Ballett- und Theaterwelt betont Schläpfer, den "großen Rückhalt", den er spüre. "Aber ja: Diese Situation ist etwas sehr Trennendes. Es ist keine schöne Zeit, Direktor zu sein. Ich bin ja wirklich schon ein altes Schlachtross, aber ehrlicherweise habe ich so etwas auch noch nie erlebt." Die Premiere am Freitag findet in der leeren Staatsoper statt, wird allerdings um 20.30 Uhr im Rahmen der Arte-"Opera Season" auf Arte concert livezeitversetzt gestreamt. Am Dienstag (8. Dezember) folgt um 9.05 Uhr eine erneute Ausstrahlung von Martin Schläpfers "4" in der ORF-2-Sendung "Matinee".

(S E R V I C E - "MAHLER, LIVE": "Live", Choreografie: Hans van Manen, Musik: Franz Liszt, Klavier: Shino Takizawa; "4", Uraufführung von Martin Schläpfer, Musik: Gustav Mahler, Dirigent: Axel Kober. www.wiener-staatsoper.at; https://www.arte.tv/de/arte-concert/)