Steinzeit-Waffenreste zeigen frühen Technologietransfer
"Bei der sogenannten Dufour-Lamelle handelt es sich um eine kleine Klinge aus Feuerstein, die nicht viel größer ist als ein Eincentstück", erklärte die Archäologin Hannah Rohringer (vormals Hannah Parow-Souchon) vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der ÖAW gegenüber der APA. Bei ihrer Herstellung sei ein Stück Feuerstein aufgesammelt oder aus Felswänden gelöst und danach als Kern in einem spezifischen, spitz zulaufenden Winkel präpariert worden. Von dem Kern konnten danach wiederum kleine Teile abgeschlagen und zu den spitzen Projektilen umgeformt werden. Dabei ergaben sich auch charakteristische Bearbeitungsspuren. Mehrere so gewonnenen Spitzen, die laut der Forscherin wesentlich leichter, kleiner und besser reproduzierbar gewesen waren als ihre Vorgänger, wurden dann an einem Speerschaft angebracht.
Im sogenannten Aurignacien, einer Kultur mobiler Jäger und Sammler, die etwa von 40.000 bis 30.000 vor unserer Zeit in Europa präsent war und durch Kunstwerke wie etwa der Venus vom Hohle Fels auf der Schwäbischen Alb in Deutschland besonders bekannt ist, wurden die Waffenspitzen verwendet. Neben künstlerischen Artefakten werden die Dufour-Lamellen sogar als ein Erkennungsmerkmal der Kultur verstanden. "Ob aber ähnliche in Israel gefundene Artefakte demselben Zweck dienten, galt lange als umstritten", so Rohringer. "Wir konnten nun anhand der Spuren von Produktion- bzw. Umformungsabfällen in der Hayonim Cave in Israel nachweisen, dass es sich um die gleiche Herstellungsmethode und das gleiche Zielprodukt gehandelt hat." Somit könne auch ein enger kultureller Zusammenhang zwischen dem europäischen und levantinischen Aurignacien belegt werden. Dabei ergebe sich die Frage, ob dem Auftauchen der Technologie in Israel eine Migrationsbewegung oder der Austausch von Ideen zugrunde liegt.
Außerdem könnten die winzigen Projektile eine weitere Innovation bedingt haben, so die These der Forscherinnen: Die sehr leichten Lamellen sind möglicherweise für den Gebrauch der Speerschleuder, die durch einen einfachen Hebel die Reichweite der Speere von Steinzeit-Jägern auf bis zu 250 Metern erhöht hat, äußerst wertvoll gewesen, weil sie deren Balance nicht verändert hätte. Dementsprechend wäre die Flugbahn der Speere von den leichten Spitzen kaum beeinträchtigt gewesen. Da hölzerne Speerschäfte und -schleudern allerdings nur im absoluten Ausnahmefall lange Zeiträume überdauern und Forschenden zur Verfügung stehen, sei ein letztgültiger Beweis dafür äußerst schwer zu erbringen, räumte die Forscherin ein. "Ich persönlich glaube aber nicht, dass sich die steinzeitlichen Menschen nur von einer spezifischen Methode der Steinbearbeitung begeistern ließen - deswegen die Vermutung, dass die Ausbreitung der Technologie mit einer neuen, effektiven Waffe wie der Speerschleuder zusammenhing", erklärte Rohringer.
Weitere Forschungen an Fundorten entlang des Donaukorridors, auch in Österreich, sollen nun dabei helfen, eine breitere Datenbasis zu erhalten - auch um zu klären, ob es "direkte" Migration von Europa in die Levante gegeben hat oder sich die Technologie Schritt für Schritt durch wiederholte Nachahmung oder Lernen von umliegenden Gemeinschaften bis in den östlichen Mittelmeerraum weiter verbreitet habe.
(S E R V I C E - Studie online: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0301102)
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