Stunde Null: Johanna Grillmayers "That's life in Dystopia"
Nicht alle freilich, denn die Gruppe, deren Weiterleben die 1974 geborene Wienerin auf über 400 Seiten verfolgt, stolpert bei einem sommerlichen Zeltfest gerade rechtzeitig in einen Weinkeller, während oben die Welt untergeht. Was genau die Ursache der Katastrophe ist, die an die Wirkungsweise der Neutronenbombe erinnert, aber keine Leichen zurücklässt, wird nie klar, ebenso wie der Grund dafür, dass manche davon verschont bleiben. Interessanterweise wird dies aber auch von den Überlebenden nie thematisiert. Das Ereignis selbst bleibt ebenso wie das Vorleben der Protagonisten weitgehend Tabu. Sie konzentrieren sich lieber auf das Organisieren des gemeinsamen Lebens unter gänzlich anderen Vorzeichen. Das ist - neben der Traumatisierung durch das Ereignis und die langen, bangen Tage im Keller, ehe man sich wieder an die Oberfläche traute - ohnedies hart genug.
Der kleinen Gruppe junger Leute im Alter zwischen 20 und 30 stellt sich die Ressourcenfrage anders als derzeit in der Klimakrise: Zunächst findet sich in Geschäften, deren Regale mangels Aufsichtspersonal einfach geplündert werden können, genügend Haltbarnahrung, aber schon bald muss das ehemalige Hotel Sonnenhof im idyllischen Hügelland, das die zunächst umherziehende Truppe zu ihrem Hauptquartier wählt, zum Bauernhof umfunktioniert werden, um frischen Nachschub an Essbarem zu gewährleisten. Kaum jemand der Verbliebenen hat aber einschlägige Erfahrung. Zum Glück sind auch Bibliotheken und Buchhandlungen mit einschlägiger Fachliteratur frei zugänglich. Doch je länger die Zeit voranschreitet, desto prekärer wird die Situation, denn viele Maschinen müssen gewartet werden, Sonnenkollektoren, Windräder und Traktoren benötigen Ersatzteile, Straßen werden unpassierbar. Die Fortbewegung erfolgt zunehmend mit Motorrädern und Pferden.
Johanna Grillmayer geht es weniger um grundsätzliche philosophische Fragen, sondern um konkrete praktische Dinge des Überlebens und des Neuaufbaus einer sozialen Ordnung. Sex hat auch in dieser Ausnahmesituation einen hohen Stellenwert, auch um den Fortbestand der Rasse zu sichern. Daher gelingt es Jola, der Protagonistin von "That's life in Dystopia", gemeinsam mit anderen jungen Frauen eine Art Matriarchat einzuführen, bei dem sie selbstbestimmt und selbstbewusst unter den vorhandenen Männern ihre wechselnden Partner wählen.
Nach der Geburt mehrerer Kinder etabliert sich eine Art Kommune mit mehreren Mamas und Papas, die einander bei Aufsicht und Erziehung der Kinder abwechseln. Bedroht wird diese Idylle nur gelegentlich durch kleine Anfälle von Eifersucht und Machismo sowie durch marodierende Motorrad-Gangs. Gut, dass Jola das Schießen gelernt hat und bei ihren Ausflügen in die nächste Stadt sich nicht nur in Buchhandlungen, sondern auch in Waffengeschäften bedient hat ...
Das geht erstaunlich lange ohne rechte Dramaturgie dahin. Man hat den Eindruck, die Autorin ist mehr Beobachterin eines Experiments mit ungewissem Ausgang als Gestalterin einer Handlung. Allmählich bilden sich erste Vernetzungen einzelner Überlebender-Enklaven und es setzt sich die Erkenntnis durch: Nur durch geordnete Zusammenarbeit kann der Aufbau einer neuen Zivilisation gelingen. Eine Expedition wird nach Wien geschickt, mit etwas unklarem Auftrag. Klar ist nur, dass das nicht auf ein happy, sondern auf ein open end hinausläuft. Mit dem Aufbruch ins Ungewisse der ehemaligen Großstadt endet dieses Buch. Der Klappentext verrät: "Zwei ähnlich umfangreiche Fortsetzungsteile sind in Arbeit."
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Johanna Grillmayer: "That's life in Dystopia", Müry Salzmann, 432 S., 28 Euro)
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