APA - Austria Presse Agentur

Suu Kyi hört Völkermord-Klage gegen Myanmar vor UNO-Gericht

Im Beisein der Friedensnobelpreisträgerin und De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi hat vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) ein Völkermord-Verfahren gegen ihr Land Myanmar begonnen. Gambia beschuldigte Myanmar am Dienstag des Völkermordes an der muslimischen Minderheit der Rohingya und forderte Sofortmaßnahmen gegen das Land.

Äußerlich unbewegt verfolgte Suu Kyi in der ersten Reihe des Gerichts im Den Haager Friedenspalast die Anschuldigungen. San Suu Kyi soll sich am Mittwoch zu den Vorwürfen äußern und ihr Land verteidigen.

Der Justizminister und Generalstaatsanwalt Gambias, Abubacarr Marie Tambadou, beklagte vor den höchsten Richtern der Vereinten Nationen das Scheitern der internationalen Gemeinschaft. "75 Jahre nach dem Versprechen 'Nie Wieder' entfaltet sich vor unseren Augen erneut ein Völkermord." Er forderte Myanmar auf, die systematische Verfolgung der Volksgruppe zu stoppen.

Gambia stützt sich auf Berichte von UNO-Ermittlern, die dem Militär in Myanmar einen "anhaltenden Völkermord" vorwerfen. Seit Oktober 2016 hätten Soldaten Tausende Menschen ermordet, Frauen und Kinder vergewaltigt, Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und Menschen lebendig in ihren Häusern verbrannt. Vor gut zwei Jahren waren mehr als 700.000 Menschen innerhalb kurzer Zeit wegen der Militärgewalt in das muslimische Nachbarland Bangladesch geflohen. Das Militär und die Regierung in Myanmar weisen die Vorwürfe zurück und begründen die Gewalt mit Aktionen gegen Terroristen.

Nicholas Bequelin, der zuständige Regionaldirektor von Amnesty International, erklärte am Dienstag zu dem IGH-Verfahren in einer Aussendung: "Es gibt einen Berg an Beweisen, dass das Militär von Myanmar Verbrechen gegen internationales Recht und schwere Menschenrechtsverletzungen gegen die Rohingya-Bevölkerung begangen hat." Nichtsdestotrotz würden die Regierung und Aun San Suu Kyi die Anschuldigungen weiterhin zurückweisen, herunterspielen oder bestreiten. Auch andere Minderheiten in Myanmar seien von Repressionen des Militär betroffen. Aun San Suu Kyi möge sich zwecks Gerechtigkeit auf die Seite der Opfer und der Überlebenden stellen, forderte Bequelin.

Michael McGrath von der Hilfsorganisation Save the Children bezeichnete die Anhörungen als einen "Meilenstein auf dem Weg zu Gerechtigkeit für eine der erschütterndsten Gräueltaten unserer Zeit". Er forderte vom IGH insbesondere mit Blick auf die an Kindern begangenen Verbrechen, ein "starkes Signal" zu senden. Die Welt dürfe nicht zusehen, wenn es um "Gräueltaten" an Kindern gehe, hieß es in einer Mitteilung.

Die 74-jährige Aung San Suu Kyi äußerte sich in Den Haag noch nicht zu den Vorwürfen. Gambische Anwälte, die Rohingya-Opfer vertreten, schilderten deren Erlebnisse. Es ging am Dienstag unter anderem um den Fall einer Mutter, deren einjähriges Baby zu Tode geschlagen wurde, sowie um eine schwangere Frau, die zu Boden getrampelt und mehrmals vergewaltigt wurde. Vor dem Friedenspalast hatten sich ein paar Dutzend Demonstranten versammelt, die Gerechtigkeit für die Rohingya forderten. Auf einem Transparent stand "Stoppt den Genozid".

Das kleine westafrikanische und überwiegend muslimische Land Gambia beruft sich bei der Klage auf die Genozid-Konvention von 1948. "Als Vertragsstaat sind wir verpflichtet, alles zu tun, um Völkermorde zu verhindern, sagte der Justizminister. "Bisher hat die Welt nichts getan, um diesen Völkermord zu stoppen." Gambia wird bei der Klage von der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) unterstützt, die 57 Mitgliedstaaten hat.

Die Juristen legten den 17 Richtern Berichte und Aussagen von Augenzeugen vor, die "systematische Säuberungsaktionen der Armee" belegen sollen. Das Gericht müsse schnell eingreifen, denn die "Hasskampagne und systematische Verfolgung" gehe ungehindert weiter, warnten sie.

Es ist auffällig, dass Aung San Suu Kyi selbst ihr Land verteidigen will. Dazu wäre sie nicht verpflichtet. Vor 28 Jahren hatte sie den Friedensnobelpreis bekommen für ihren gewaltlosen Widerstand gegen Unterdrückung in ihrem Land durch das damalige diktatorische Militärregime. Weil sie sich bisher geweigert hatte, die Gewalt gegen die Rohingya zu verurteilen, waren ihr bereits mehrere internationale Auszeichnungen entzogen worden.

Das UNO-Gericht soll nach dem Willen Gambias und der OIC eine einstweiligen Verfügung gegen Myanmar erlassen, um die noch in dem Land verbleibenden rund 600.000 Rohingya zu schützen. Nach der auf drei Tage angesetzten Anhörung wird das Gericht beraten. Ein Urteil wird in wenigen Wochen erwartet. Das Hauptverfahren gegen Myanmar kann mehrere Jahre dauern. Urteile des Internationalen Gerichtshofs sind bindend.

"Gambia bittet Sie darum, dass Sie Myanmar auffordern, diese sinnlosen Tötungen und barbarischen Taten zu stoppen, die unser kollektives Gewissen weiterhin erschüttern", sagte Tambadou, der einst als Ankläger am Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda tätig war. Er warf der Armee in Myanmar "Massenmorde, Massenvergewaltigungen und Massenfolter" vor.

Es wird erwartet, dass die mittlerweile umstrittene Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi bei ihrer Anhörung am Mittwoch argumentieren wird, dass der Fall nicht in den Zuständigkeitsbereich des IGH falle, dass die Armee ihres Landes lediglich gegen Rohingya-Rebellen vorgegangen sei und, dass Myanmar in der Lage sei, eigene Untersuchungen zu führen.