APA - Austria Presse Agentur

Terrordrama "Maixabel" bewegt Filmfestival von San Sebastian

Seine Mörder warten schon an der Theke auf ihn. Sie wussten, dass der Politiker heute mit einem Freund und ohne Leibwächter in die Bar kommen würde. Als er sich an seinen Stammtisch setzt, zieht einer der beiden ETA-Terroristen seine Pistole und richtet ihn kaltblütig mit einem Schuss in den Nacken hin. Nach der geglückten Flucht feiern die Terroristen euphorisch ihre Tat. Sie sind stolz auf sich.

Im Kursaal von San Sebastian herrscht Stille. Man spürt die Anspannung, sieht die Emotionen in den Gesichtern der Kinobesucher. Denn es sind keine Szenen aus irgendeinem fiktiven Actionfilm. Die Einstiegsszenen aus Iciar Bollains Festivalbeitrag "Maixabel" haben sich genau so am 29. Juli 2000 in Tolosa ganz in der Nähe von San Sebastian abgespielt. Der Name des Opfers: Juan Mari Jauregui. Eigentlich wollte sich der Sozialist und Vater einer damals 19-jährigen Tochter schon aus der Politik zurückziehen, verzichtete deshalb auf Leibwächter. Das nutzten die für die Unabhängigkeit des Baskenlandes kämpfenden Terroristen.

Im Kursaal saßen am Samstagabend auch viele Freunde Jaureguis, Parteikollegen wie Spaniens Innenminister Grande Marlaska und Kulturminister Miquel Iceta und die eigentliche Protagonistin der Geschichte - Maixabel, die Witwe Jaureguis. Jauregui war einer von vielen Politikern, die von der Terrorbande ermordet wurde. Über 850 Menschen fielen dem Jahrzehnte langen Unabhängigkeitskampf der ETA zum Opfer, die erst vor zehn Jahren ihren "bewaffneten Kampf" beendete.

Doch Maixabel tat etwas, und davon handelt der Film eigentlich, was sich die wenigsten Hinterbliebenen von ETA-Opfern trauten oder überhaupt dazu bereit waren. Sie traf sich Jahre später mit den Mördern ihres Mannes, die schon bald nach der Tat verhaftet wurden und ins Gefängnis kamen. Es waren die Terroristen, die um das Treffen baten. Sie hatten sich mit ihrer Mitgliedschaft in der ETA schon lange kritisch auseinandergesetzt. Die ETA hatte sie daraufhin ausgeschlossen. Für ihr Umfeld wurden sie von Volkshelden zu Verrätern.

"Ich war zögerlich, dachte, das Treffen würde mir zu nahe gehen. Doch es hat mir geholfen. Vorrangig ging es mir nicht um eine Entschuldigung. Ich wollte das Warum wissen. Wollte wissen, wie sich die Mörder fühlten, was sie über meinen Mann überhaupt wussten", erklärte Maixabel Lasa vor der Filmpremiere im Gespräch mit der APA.

Drei Stunden sprach sie mit Luis Carrasco, einem der Mörder. "Er war ein gebrochener Mann. Er zeigte mir, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, wer Juan Mari überhaupt war. Die Täter bekamen das Ziel mitgeteilt - das war's. Und wer schießt, wurde ausgelost", erinnert sich Lasa. Virtuos zeigt Iciar Bollain die Anspannung des Treffens im Gefängnis, bei dem die Vergebung und das Um-Verzeihung-Bitten nur implizit in der Luft liegt, aber das Gespräch, das Zuhören, das Verstehen wollen im Mittelpunkt stehen.

Maixabel glaubt an die "heilende Wirkung" des Zuhörens und Miteinander-Sprechens. Als Vorsitzende der Terroropfervereinigung bewegte sie später auch andere Opfer, am Gefängnisprojekt teilzunehmen, das Reue suchende Etarras die Möglichkeit gab, sich den Hinterbliebenen zumindest zu erklären.

Menschen wie Maixabel hätten wichtige Impulse gesetzt. Ihnen sei es zu verdanken, dass langsam eine Debatte über die Zeit des Terrorismus im Baskenland beginnt, versichert Regisseurin Bollarin im APA-Gespräch. Auch sie hofft, mit ihrem Film einen Beitrag zum Friedensprozess im nordspanischen Baskenland leisten zu können. "Das Kino ist fähig, die Menschen aufzuwühlen, Debatten anzutreiben und kann mit seiner Fiktion viel größere Emotionen und ein viel größeres Publikum als Dokumentarfilme erreichen", erklärt die Filmemacherin.

Es scheint zu funktionieren: Bereits vor der Premiere habe sie eine Filmvorführung für baskische Politiker organisiert. "Separatisten und Konservative, die nie ein Wort miteinander wechseln, standen nach der Vorführung plötzlich zusammen und sprachen über das, was sie gerade gesehen haben", erklärt Bollain.

"Wir müssen nach Lösungen suchen, die durch den Terrorismus geteilte baskische Gesellschaft wieder zusammenführen. Und je mehr wir miteinander reden, umso besser", meint Maixabel. "Maixabel erklärte mir bei unseren Gesprächen, dass die Geschichte, die vergessen wird, Geschichte ist, die sich wiederholt", bringt "Maixabel"-Darstellerin Blanco Portillo die Grundidee auf den Punkt.

In dem Film geht es aber auch um ein anderes Leitmotiv. Und zwar, dass jeder eine zweite Chance im Leben verdiene, erklärt Schauspieler Luis Tosar, der den Terroristen Ibon Etxezarreta darstellt. "Ich habe lange mit ihm gesprochen. Es ist unglaublich, wie ein vor 20 Jahren noch derart verblendeter Fanatiker, der ohne jegliche Empathie für seine Opfer für politische Ideale tötete, zu dem Menschen werden konnte, der er heute ist", erklärt Tosar. Dabei bemitleidet der Film den auch nach Vergebung suchendenden Terroristen nicht, sondern zeigt seine innere Reise zur Selbstkritik.

Am Ende des Films bringt Maixabel Ibon, den Mörder ihres Mannes, mit zur jährlichen Gedenkfeier an Juan Mari Jauregui. Die Blicke der Freunde und Parteigenossen lassen den Atem stocken. Eine Szene großer Emotionen, hochsensibel, bewegend, erschütternd, mitreißend, aber auch Hoffnung spendend - wie der gesamte Filme. "Für mich und Luis Tosar war vor allem diese letzte Filmszene emotional sehr schwer, denn bei den Statisten handelte es sich um die wirklichen Freunde Jaureguis und Maixabel", erklärt Blanca Portillo.

Nach dieser Szene brauchte selbst das Festivalpublikum im Kursaal von San Sebastian einen Moment, um danach in einen nicht enden wollenden Applaus überzugehen. Der Film wühlt auf, tut weh, gibt gleichzeitig aber auch Hoffnung und symbolisiert, wie im Baskenland Frieden und Versöhnung gefunden werden können. ETA ist im Baskenland auch zehn Jahre nach dem Ende der bewaffneten Gewalt längst noch nicht Geschichte, auch wenn viele schnell - vielleicht zu schnell - vergessen wollen. Nur wenige Stunden vor der Premiere kam es am Samstag im nahen Mondragon fast zum handfesten Konflikt zwischen Pro-Etarras und Opferhinterbliebenen, die einen Festakt für einen inhaftierten ETA-Terroristen verhindern wollten.