APA - Austria Presse Agentur

Tinder-Dates und Hundebisse beim Wettlesen um Bachmann-Preis

Mit dem Schweizer Lukas Maisel startete ein Autor in den zweiten Lesenachmittag der 45. Tage der deutschsprachigen Literatur, der ein besonders Verhältnis zu Österreich hat. Der 33-Jährige hat jüngst zwei Monate in Wien verbracht, derzeit ist er in Krems Stipendiat im Literaturhaus Niederösterreich. Dort hat er auch die Lesung seines Textes "Anfang und Ende" aufgezeichnet, die er im Stehen vortrug, während die Bachmann-Preis-Jury im ORF-Zentrum in Klagenfurt lauschte.

Im Zentrum seines Textes steht ein junges Paar, das sich auf dem Weg zum ersten gemeinsamen Besuch bei den Eltern der Frau nach einem Streit über ihr Kennenlernen auf einer Dating-App trennt. In Folge bleibt der von Philipp Tingler eingeladene Autor bei seinem namenlosen Protagonisten, der die Realität gerne in erzählbare Geschichten presst und sich gleich wieder der Suche nach einer neuen Freundin widmet. Für Vea Kaiser ein "wahnsinnig großartiger" Text, der sich "endlich traut zu beschreiben, was so alltäglich geworden ist", so die Jurorin mit Verweis auf die Online-Dating-Kultur. Tingler lobte die "Verwobenheit von Zeitbezogenheit und Zeitlosigkeit" des Beitrags, Mara Delius mahnte die Loslösung von soziologischen Deutungen ein und freute sich über die "absolute Sicherheit in der Komposition des Textes".

Auch Jury-Vorsitzende Insa Wilke war der Meinung, dass es sich hierbei vor allem "um einen Text über das Erzählen" handle, Klaus Kastberger sah vor diesem Hintergrund "einen typischen Klagenfurt-Text". Hinter dem Text gehe eine "erzähltechnische Welt auf", "aber Transzendenz hat er Null", so der Juror. Brigitte Schwens-Harrant empfand den Text "zu überkonstruiert" und "zu dick aufgetragen", Michael Wiederstein lehnte "diesen telenovelaartigen Text" schlichtweg ab und kritisierte sowohl die "Männerklischees" als auch die "Frauenklischees".

Um die Ausnahmesituationen im Dasein eines Schriftstellers sowie die seelische Verwandtheit mit literarischen Vorbildern ging es im Anschluss in "Mr Dog": Der steirische Schriftsteller Fritz Krenn entnahm den Text einem Erzählband, der Berichte über skurrile Erfahrungen bei Lesungen versammelt. Hier spielt eine Lesung im Haus einer berühmten ostdeutschen Kollegin die Hauptrolle, die vom Hund der Hausherrin und seinen Angriffen auf das Bein des Autors geprägt ist. "Nicht genug, reckte diese fleischige, runde Schädelmasse, an der zwei beängstigend glitzernde Sehschlitze wahrzunehmen waren, dem Autor das aufgerissene Maul entgegen", heißt es am Höhepunkt, bevor der Protagonist Parallelen zu Ferdinand Raimund zieht, der sich nach einem Hunde-Angriff aus Angst vor Tollwut erschoss.

Juryvorsitzende Wilke freute sich über den "sorglosesten Text, den wir bisher in dieser Runde gehört haben" und lobte eine "virtuose Literaturbetriebsetüde", der einladende Kastberger hob die literarischen Bezüge auf Bernhard, Handke und Reich-Ranicki hervor und arbeitete die Doppelbödigkeit zwischen historischer Realität und Fiktion heraus. Auch Wiederstein fand lobende Worte: "Hier wird das Salon-Milieu mit großer Liebe der Lächerlichkeit preisgegeben." Tingler äußerte unterdessen sein "Problem mit der narrativen Ökonomie des Textes", den er "überladen und konfus" nannte, während Vea Kaiser vor allem zahlreiche inhaltlichen Unstimmigkeiten kritisierte. Schwens-Harrant würdigte schließlich die "Lebendigkeit der Lesung", Delius die "lakonische Komik" des Textes. So hatte man am Ende dieses zweiten Lesetages deutlich das Gefühl, es nach teils wenig begeistert aufgenommenen Texten mit einem potenziellen Preisträger zu tun zu haben.

Am morgigen Samstag starten die letzten vier Autorinnen und Autoren in das Wettlesen. Den Anfang macht um 10 Uhr die deutsche Autorin Dana Vowinckel, gefolgt von ihrem Landsmann Timon Karl Kaleyta und der in Teheran geborenen, in Deutschland aufgewachsenen und seit 2012 in Graz lebenden Autorin Nava Ebrahimi. Den Abschluss macht schließlich die Deutsche Nadine Schneider, die ihren 2019 erschienenen Roman "Drei Kilometer" im Jung und Jung Verlag veröffentlicht hat, bevor am Sonntag die Preise vergeben werden.

(S E R V I C E - https://bachmannpreis.orf.at)