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Expertinnen: Überlastetes Gesundheitspersonal braucht Hilfe

Der Verein "Second Victim" von Eva Potura hilft im Beruf traumatisiertem Gesundheitspersonal.

Als sie Kollegen weinend auffand, die sich aufgrund psychischer Überlastung im Zimmer eingeschlossen hatten, hat die Intensivmedizinerin und Anästhesistin Eva Potura den Verein "Second Victim" gegründet, der im Beruf traumatisiertem Gesundheitspersonal hilft. "Schon vor Covid-19 wurden die Gesundheitseinrichtungen in Österreich vom Personalstand sehr knapp geführt, in der Pandemie wurde es unerträglich", erklärte sie der APA im Vorfeld eines "Second Victim Aktionstages".

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"Second Victim" nennt man Behandelnde, also etwa Ärzte, Pflegekräfte und Physiotherapeuten, die wegen eines unvorhergesehenen Zwischenfalls, eines medizinischen Fehlers oder Patientenschadens traumatisiert wurden, erklärte sie. Laut Studien, die vor der Covid-19 Pandemie durchgeführt wurden, sind 42 bis 50 Prozent der Behandelnden betroffen, berichtete Brigitte Ettl von der Österreichischen Plattform Patientensicherheit: "Durch die Pandemie sind die Werte wahrscheinlich dramatisch angestiegen". Das Gesundheitssystem habe in der Krise zwar sehr effektiv gearbeitet und sich als resilient (widerstandsfähig) herausgestellt, die Menschen, die dort Tag für Tag arbeiten, wurden aber "extrem gefordert", meint sie.

"Zunächst wurden sie dafür beklatscht, jetzt erfahren sie aber keinen großen Rückhalt mehr, sondern werden sogar von sogenannten Covid-Leugnern und Angehörigen angefeindet. "Aus für mich unerklärlichen, wohl sozialpsychologischen Gründen hat sich das Blatt komplett gewendet, zunächst nannte man das Gesundheitspersonal Helden der Pandemie, nun muss der Verfassungsschutz vor den Intensivstationen stehen, um sie zu schützen", sagte Potura.

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Für die Betroffenen schlägt sich die Überbelastung etwa in Schlafstörungen, Depressionen und teils posttraumatischen Belastungsstörungen nieder, berichtete Ettl: "Häufig kommt es deshalb zu Medikamenten- und Alkoholmissbrauch und sogar die Selbstmordgefahr ist erhöht". Laut einer österreichischen Studie dachten schon zwei Drittel der Pflegekräfte darüber nach, aus dem Beruf auszuscheiden. "Das ist ein Zeichen, dass man sich dem Thema unbedingt intensiv widmen muss", so Ettl. Denn ein massives Ausscheiden von Ärzten, Pflegekräften und anderem medizinisch geschulten Personal würde das österreichische Gesundheitssystem nicht verkraften.

Zunächst einmal brauche es direkte Anlaufstellen, wenn die Betroffenen mit der Belastung nicht mehr zurechtkommen, so Potura: "Bei uns gibt es keine Kultur, dass man solche Sachen offen zeigen darf, dies ist mit sehr viel Scham behaftet". Der Verein Second Victim würde deshalb etwa Telefonberatung anbieten, wo man anrufen kann, ohne den Namen oder Arbeitsort nennen zu müssen, außerdem zahlt er pro Person zehn Einheiten bei Sozialberatern oder Psychologen. "Auch dies passiert völlig anonym, um möglichst niederschwellig Hilfe zu bieten", sagte sie.

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Außerdem fordert sie, dass nach jedem akuten Stressereignis eine Pause von der Alltagsarbeit gewährt wird, um ein "Debriefing" (eine Nachbereitung) durchzuführen. "Es ist wohl verständlich, dass es einem nicht gut geht, wenn man gerade bei einem 14-jährigen Burschen eine Reanimation durchgeführt hat, die schlecht ausgegangen ist, und man dann gleich wieder von einem gestressten Team in den OP gerufen wird", erklärte Potura. Es bräuchte auch regelmäßige Schulungen und Fortbildung zum Beispiel für Stress- und Resilienz-Training, sowie über das "Phänomen" Second Victim per se. "Wenn man Personen im Gesundheitsberuf fragt, was ein Second Victim überhaupt ist, wissen dies 90 Prozent nicht", so die Medizinerin: "Erklärt man anschließend den Begriff, fühlen sich 50 Prozent jedoch selbst betroffen".

Führungskräfte sollten zudem sensibilisiert werden, Anzeichen für überbordende psychische Belastung bei ihren Mitarbeitern zu erkennen, erklärten die Expertinnen. Außerdem plädierten die Expertinnen für ein System für kollegiale Hilfe in jeder Einrichtung, wie es zum Beispiel in der Wiener Klinik Hietzing etabliert wurde, und zumindest wöchentliche Besuche von Psychologen. "Schon die Möglichkeit, diese aufzusuchen oder irgendwo anrufen zu können, ist eine große Hilfe für die Betroffenen", meinte Potura.

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Freilich gälte es auch die Personalengpässe an den hiesigen Gesundheitseinrichtungen zu beseitigen. Für jeden Betreuenden gäbe es einen großen Druck, ja nicht auszufallen, weil sonst die ohnehin schon oft bis zur Grenze belasteten Kollegen einspringen müssten. "Wir können ja quasi die Arbeit nicht problemlos eine Woche später erledigen, wie dies in anderen Berufen der Fall ist", so Potura. Demnach sollten die Personalschlüssel für sämtliches medizinisches Personal deutlich angehoben werden, erklärte Gabriele Jaksch vom Dachverband der gehobenen medizinisch-technischen Dienste Österreichs (MTD Austria): "In den vergangenen 25 Jahren sind die Patientenzahlen massiv gestiegen, man arbeitet aber noch immer mit den alten Personalschlüsseln". Es gäbe genug junge Menschen, die eine Ausbildung in einem Gesundheitsberuf anstreben, aber viel zu wenig Ausbildungsplätze. Vor allem bei den Biomedizinischen Analytikern und in der Radiologietechnologie wäre der Mangel in den Gesundheitseinrichtungen deswegen "dramatisch". Durch die chronische Unterbesetzung steigt der Druck am Arbeitsplatz. "Wenn dann auch noch dazu etwas passiert, ist die Situation umso schwerer zu verkraften", sagte Jaksch.

Einen Lichtblick sieht Sabine Wolf, Pflegedienst-Direktorin des Allgemeinen Krankenhauses (AKH) Wien, bei der jungen Generation an Gesundheitsfachkräften: "Sie gehen mit der Belastung anders um und sprechen schon viel früher über Probleme als die Babyboomer-Generation, die getrimmt ist, weit über den Dienstplan hinaus zu arbeiten und sich dies mit - ich bin selber schuld, denn ich habe mir den Job selber ausgesucht - gutreden", meint sie.

Der "Second Victim Aktionstag" findet am 11. Mai an der Medizinischen Universität (MedUni) Wien statt.