APA - Austria Presse Agentur

Unbeachtete Dauerkrise im Tschad trifft besonders Frauen

Der Tschad ist ein fast 1,3 Millionen Quadratkilometer großes Land der Sahelzone, mehr als 15 Mal so groß wie Österreich. Es leben jedoch nur rund doppelt so viele Menschen im Tschad. Diese kämpfen um ihr Überleben, bedroht von Hunger, Dürre, Hochwasser, Klimawandel, unsicheren politischen Verhältnissen und islamistischen Terroristen. Am stärksten gefährdet sind Frauen und Mädchen, wie Amadou Bocoum, Tschad-Länderdirektor der Hilfsorganisation CARE, in Wien der APA sagte.

Das zeige sich an nackten Zahlen: Bocoum zufolge sind 68 Prozent der Mädchen verheiratet, bevor sie 18 sind. Zugang zu Bildung wird ihnen kaum gewährt. Auch sich selbst zu ernähren ist für Frauen schwierig: "Es ist schwer für eine Frau im Tschad, Land zu besitzen", erläuterte Bocoum. Er sprach von streng patriarchalen Strukturen: "In Frauen zu investieren gilt im Tschad als Verlustgeschäft. Wegen der gesellschaftlichen Normen." Ein Mann habe das Familienoberhaupt zu sein, umriss der CARE-Länderdirektor das Gesellschaftsmodell. Eine Frau sollte demnach verheiratet sein und komme dann in eine neue Familie. Zu ihrer alten Familie gehöre sie dann nicht mehr. Daher werde es in vielen Familien im Tschad als unnötige "Investition" angesehen, Mädchen in eine Schule zu schicken.

CARE versucht hier auf mehreren Ebenen gegenzusteuern, erklärte Bocoum. "Der erste Schritt ist immer eine Analyse der Geschlechterverhältnisse." Das gebe den Helfern ein Verständnis für die Probleme zwischen Frauen und Männern. In einem zweiten Schritt will CARE in seinen Projekten die wirtschaftliche Sicherheit der Frauen verbessern bis hin zu Bildung und Landbesitz, der wiederum Ernährungssicherheit gewähren soll.

"Wichtig ist aber auch, dass die Männer in den Prozess eingebunden werden", betonte Bocoum. "In jeder Gemeinschaft gibt es progressivere Männer. Wir versuchen, diese auf unsere Seite zu bekommen und so die Einstellung insgesamt zu verändern." Auch religiöse Führer versucht CARE bei seinen Projekten für Frauen und Mädchen ins Boot zu bekommen. Bocoums Resümee: "Das ist aber alles ein sehr langer Weg."

Die Voraussetzungen sind für den Tschad auch generell nicht die besten, betonte Bocoum. "Die Hälfte des Landes besteht aus Wüste. Es gibt mehr als 100 ethnische Gruppen. Alles das macht es sehr konfliktträchtig." Das Land liege beim Human Development Index (HDI) auf Platz 187 von 189 Ländern. Vor allem der Ernährungsdruck steige, einfach wegen des Bevölkerungszuwachses. "Die durchschnittliche Größe einer Familie sind sechs Menschen", schilderte der CARE-Länderdirektor. Das erzeuge einen enormen Druck auf Landressourcen und kreiere Konflikte.

Dazu kommen die jüngsten Wetterkapriolen in dem an sich sehr heißen und trockenen Land: Vor zwei bis drei Monaten kam eine weltweit so gut wie unbeachtet gebliebene Flutkatastrophe über den Tschad, mit dramatischen Folgen für die Bevölkerung. Laut Bocoum sind 5,3 Millionen Menschen betroffen. Vier Millionen Hektar Land - nahezu die Fläche von halb Österreich - seien weg. Das Wechselspiel zwischen Dürre und Überschwemmungen verschärft die Lage der Menschen zusätzlich. Vor allem im Großraum der Hauptstadt N'Djamena gab es heftige Überflutungen. "Die Menschen haben alles verloren", sagte der CARE-Länderdirektor.

Bocoum machte darauf aufmerksam, dass sich das mangelnde Interesse für den Tschad auch massiv bei den internationalen Hilfsleistungen auswirkt. So ist der sogenannte Humanitarian Response Plan (HRP) für den Tschad, den das UNO-Nothilfebüro (OCHA) erstellt, im Vorjahr nur mit 34 Prozent der vorgesehenen Mittel dotiert gewesen. "Heuer ist es ein bisschen besser", meinte Bocoum. Mehr als etwas über 50 Prozent dürften es aber auch nicht sein.

Eines der größten Probleme im Tschad sind die Binnenflüchtlinge. Amadou Bocoum sprach von 200 Camps im Land, in denen 381.000 Tschaderinnen und Tschader leben. Dazu kommen Vertriebene aus Nachbarstaaten wie dem Niger. CARE unterstützt diese Menschen mit Geld, damit sie Nahrung, Kleidung, Medizin kaufen und ihre Kinder in die Schule schicken können. "Das Wichtigste ist aber die Versorgung mit sauberem Trinkwasser." Und das Ziel ist letztlich, Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten, damit sich die Menschen selbst versorgen können.

Das Flüchtlingsproblem ist auch dadurch entstanden, dass islamistische Terrorgruppen in Teilen des Tschad aktiv sind. Das betrifft besonders die Region um den Tschad-See und N'Djamena, wo der Nordosten Nigerias an den Tschad grenzt. "Boko Haram ist in dieser Region aktiv", bestätigte Bocoum.

Speziell im Osten macht die Wasserversorgung große Probleme. Brunnen müssten besonders tief gegraben werden, damit Mensch und Tier mit Wasser versorgt werden können. Auch hier hat CARE umfangreiche Projekte laufen. Einen großen Teil der Existenzgrundlage der Bevölkerung in diesen Gebieten bildet die Viehzucht. Die Tiere können ohne ausreichende Wasserversorgung nicht überleben.

Amadou Bocoum war einige Tage in Wien. Sein Ziel für die Reise war es, Aufmerksamkeit für den Tschad zu generieren. "Mein Wunsch ist, den Tschad global auf die Agenda zu bekommen, damit das ganze Geld nicht nur in die Ukraine fließt. Die Not ist wirklich groß, Menschen sterben."

Apropos Ukraine-Krieg: Der hat auch im Tschad vieles schlimmer gemacht. "Mehl, Getreide, Brot. Das meiste davon ist aus der Ukraine und aus Russland gekommen", sagte Bocoum. "Benzin ist genauso teurer geworden. Auch die Produktivität ist durch Engpässe zurückgegangen." Letztlich seien die Preise gestiegen, wodurch es Wohlstandsverlust gebe. Auch Hilfsorganisationen wie CARE sind davon betroffen. "Wir müssen natürlich die Gehälter unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhöhen. Die haben ebenso Familien zu ernähren."