Ungebrochener Stalin-Kult am Geburtstag des "Generalissimus"
Etwa 1.000 Anhänger der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) waren am Samstag auf den Roten Platz gepilgert und nach einer Zwischenstation im Lenin-Mausoleum zum Grab Stalins an der Kreml-Mauer marschiert. Dort hinterließen sie Kränze, ein Meer an Roten Nelken sowie einen auffälligen "Stalin 140"-Schriftzug.
Dass Stalin jedoch in Wirklichkeit nicht an seinem offiziellen Geburtstag, dem 21. Dezember 1879, sondern laut einer Enthüllung aus dem Jahr 1990 bereits 1878 zur Welt gekommen war, tat den Feierlichkeiten zum runden Jubiläum keinen Abbruch.
"Er war nicht nur ein Prophet, sondern auch der allergrößte Organisator unserer Siege", erklärte KP-Chef Sjuganow anschließend am Roten Platz in einer für das Fernsehen konzipierten Lobrede. Stalin habe hervorragend verstanden, was die Macht der Sowjets und echter Patriotismus sei, ergänzte er und betonte einmal mehr die zentrale Rolle, die er für den sowjetischen Sieg über Nazideutschland 1945 gespielt hatte.
Vom stalinistischen Staatsterror war bei Sjuganow keine Rede. "Die Amerikaner und die Deutschen haben in den Dreißigerjahren daran gearbeitet, den einzigen sozialistischen Staat der Welt zu zerschlagen", rechtfertigte ein Pensionist den "Großen Terror" in durchaus stalinistischer Manier gegenüber der APA.
Unter den Mitstreitern, die Sjuganow während dieses Fernsehauftritts umrangen, fand sich mit Maksim Schewtschenko auch ein guter Bekannter von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache: Schewtschenko, der seinerzeit als Journalist im Staatsfernsehen wichtige Vermittlungsarbeit für die FPÖ in Russland betrieben hatte, positioniert sich seit einiger Zeit als linker Oppositionspolitiker.
Im Kontrast zum ideologisch nicht sonderlich aufgeladenen Geburtstag hatte der Todestag Stalins am 5. März in vergangenen Jahren mehrfach für Wirbel gesorgt. Radikale Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin hatten etwa am 5. März 2016 das Bild einer Totenmaske Stalins verbreitet, die mit den Worten "Der ist abgekratzt und auch der Andere wird abkratzen" betitelt war. Im Zusammenhang möglicher Vergleiche mit einem zukünftigen Russland ließ sich 2018 auch das Verbot der französisch-britischen Filmkomödie "The Death of Stalin" verstehen, in der sich Regisseur Armando Iannucci insbesondere über den Kampf um Stalins Nachfolge lustig machte.
Der 2019 beim Filmfestival in Venedig uraufgeführte Dokumentarfilm "State Funeral" dürfte indes im März 2020 auch in russischen Kinos anlaufen. Aber auch dieser Film, für den Regisseur Sergei Loznitsa historische Aufnahmen des Stalin-Begräbnisses von 1953 montiert hat, polarisiert: Als die Doku beim Moskauer Art Doc Fest Anfang Dezember ihre russische Premiere feierte, wurde von Gästen sowohl "Brenn in der Hölle!" skandiert als auch affirmativ "Der heilige Krieg", das bekannteste Kriegslied der Stalinzeit, gesungen.
Die Beurteilung Stalins dürfte auch 2020 eine wichtige politische Rolle spielen - Moskau wird am 9. Mai pompös den 75. Jahrestag des Sieges über Nazideutschland und unausweichlich auch den sowjetischen "Generalissimus" feiern. In seiner Pressekonferenz sowie in einer Geschichtsstunde mit Staatschefs aus dem GUS-Staaten wiederholte Präsident Putin dieser Tage Argumente, die den von Stalin unterstützten Molotow-Ribbentrop-Pakt und sein geheimes Zusatzprotokoll zur Zerstörung des polnischen Staates als gerechtfertigte Maßnahme darstellten.
"Stalin hat sich auch nicht mit direkten Kontakten zu Hitler befleckt. Die Führer von Frankreich und Großbritannien (Édouard Daladier und Neville Chamberlain, Ann.) haben ihn (Hitler, Anm.) hingegen getroffen und Papiere unterzeichnet", sagte Putin.
In Bezug auf die Verbrechen des Stalinismus selbst sandte der russische Staat zuletzt widersprüchliche Signale aus. Während Präsident Putin zwar wiederholt den "Großen Terror" verurteilte, drangsalieren Justizministerium und Strafverfolgungsbehörden mit "Memorial" derzeit ausgerechnet die traditionsreichste NGO, die sich mit der Dokumentation und Aufarbeitung stalinistischer Massenrepressionen beschäftigt: Strafzahlungen, die im Zusammenhang mit dem umstrittenen Gesetz über "Ausländische Agenten" stehen und bisher 3,1 Mio. Rubel (45.000 Euro) ausmachen, brachten "Memorial" an den Rand des Ruins. Eine Crowdfunding-Kampagne soll die 1989 gegründete Organisation nun retten.
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