APA - Austria Presse Agentur

US-Künstler McCarthy feiert am Volkstheater Fäkal-Orgie

Wie sehr Beziehungen in der Isolation eskalieren können, war dank der Corona-Lockdowns immer wieder zu hören. So gesehen weist die nunmehrige Performance des US-Künstlers Paul McCarthy unter dem Titel "NV/Night Vater/Vienna" im Volkstheater Wien ein gewisses Maß an Aktualität auf. Doch der - vor allem fäkale - Grad dieser Eskalation des Werks, das sich über vier Abende erstreckt und am Freitag startete, übersteigt dann doch weit jede Form der Identifizierung.

Dieser fetischistische Höllenritt ist ein künstlerischer Neudreh des 1974 erschienenen Films "The Night Porter" der italienischen Regisseurin Liliana Cavani und nahm seinen Ausgang bereits im Jahr 2015 im Rahmen eines Projekts an der Volksbühne Berlin, wo McCarthy mit der Schauspielerin Lilith Stangenberg zusammenarbeitete. Aus der geplanten Kooperation mit den Wiener Festwochen sei aus verschiedenen Gründen nichts geworden, wie es im Vorfeld hieß. Und so wird also live auf der Volkstheaterbühne gedreht. Auch das kooperierende Schauspielhaus Hamburg war zuletzt eine Station des Unterfangens, das man in Wien auch mehrmals besuchen kann, da laut Programmheft kein Abend wie der andere verlaufe.

In der Filmvorlage begegnen einander die ehemalige KZ-Gefangene Lucia und der nun als Nachtportier in einem Wiener Hotel arbeitende frühere SS-Offizier Max und beginnen eine sadomasochistische Beziehung, die schließlich in seiner Wohnung in völliger Abschottung von der Außenwelt ausgelebt wird. Er sei fasziniert vom archetypischen Thema Frau und Mann in der Isolation, erklärte McCarthy (77) im Vorfeld bei einem Pressegespräch. Es gehe um wechselnde Machtverhältnisse, aber auch um Faschismus, um die Unterschiede und Einflüsse von Disney-Kultur und "alpiner Kultur". Was genau Disney oder die alpine Kultur mit "NV/Night Vater" zu tun haben, wurde allerdings zumindest bei der Premiere nicht deutlich.

Nun gut: In einem Zimmer-Küche-Badezimmer-Filmset auf der Drehbühne treffen die Schauspielerin Lucia (Stangenberg) und der Regisseur Max (McCarthy) aufeinander. Sie haben sichtlich zu viel getrunken, aus der koketten Annäherung wird schnell ein brutales Liebesspiel, das schließlich in Vorgängen kulminiert, die dem Wiener Aktionismus alle Ehre machen. Übertragen wird das Geschehen, das in den vom Zuschauerraum meist nur schwer einsehbaren Räumen stattfindet, auf zwei riesige Videoscreens, gefilmt wird mit einem sehr langen Kameraarm und einer Steady-Cam. Was die Qualität der Live-Aufnahmen betrifft, könnte Frank Castorf hier blass vor Neid werden.

Doch so genau will man spätestens nach 30 Minuten gar nicht wissen, welche Körperflüssigkeiten hier auf einem Gurkensandwich landen, das daraufhin wieder in allen möglichen Körperöffnungen verschwindet und gleichsam zum Gleitgel umfunktioniert wird. Die (englischen) Dialoge halten sich dabei in Grenzen. "Ich bin eine deutsche Schauspielerin. Ich kann alles sein. Soll ich deine Tochter sein? Willst du deine Tochter ficken?", sagt Lilith Stangenberg, die den Abend im nur kurz weiß bleibenden Unterkleid absolviert, mehr als ein Mal. Das Wort "Nazi" fällt immer wieder, die restliche Zeit liebkost man einander mit Worten wie "fucking prick", "fucking pig", "fucking dick" respektive "fucking cunt".

Dem Publikum, das mit Armbändern versehen wurde, steht es frei, den Zuschauerraum jederzeit zu verlassen und wiederzukommen. Allein: Im Laufe der dann doch nur 90 Minuten (angekündigt waren bis zu vier Stunden) kommt kaum jemand zurück. Denn irgendwann wird aus dreckigem Spiel Ernst, es fließt Blut, sehr viel Theaterblut, auf beiden Seiten. Und wer nach diesem Abend jemals noch Erdnussbutter essen kann, hat nach den hier gesehenen Bildern einen wirklich guten Magen.

"NV/Night Vater/Vienna" ist nicht Theaterstück und (noch) nicht Film, sondern eine wüste Performanceorgie, die die Wiener Aktionisten ziemlich alt aussehen lässt. Ob man das gesehen haben muss, bleibt allerdings fraglich. Das verbliebene Publikum spendete dem Duo McCarthy und Stangenberg viel Applaus, der zu einem Teil jedoch der Erleichterung über das frühe Ende geschuldet sein dürfte. Eine körperliche Meisterleistung haben die am Ende völlig erschöpften Performer jedenfalls abgeliefert. Wer sich künftig in Isolation begeben muss, wird aber wahrscheinlich darauf achten, weder Gurken noch Erdnussbutter vorrätig zu haben.

(S E R V I C E - "NV/Night Vater/Vienna" von Paul McCarthy, mit Paul McCarthy und Lilith Stangenberg, kuratiert von Henning Nass, in englischer Sprache. Die Aufführungen sind für Besucher*innen unter 18 Jahren nicht zugänglich. Weitere Vorstellungen: 4., 6., 7.9., Volkstheater Wien, www.volkstheater.at)