APA - Austria Presse Agentur

Van der Bellen will Planungssicherheit für Wissenschaft

Angesichts der Verwerfungen in Folge der Coronakrise wünscht sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen auch für Forschungsinstitutionen "stabile planbare Voraussetzungen, was die Finanzen betrifft". Das erklärte das Staatsoberhaupt am Dienstag am Rande eines Besuchs am Complexity Science Hub (CSH) Vienna. Wie wichtig Wissenschaft und Forschung in Krisenzeiten ist, habe sich deutlich gezeigt.

Zum Glück sei es Österreich gelungen, die Covid-19-Ansteckungskurve "flach zu halten", so Van der Bellen. Dass keine Überlastung des Gesundheitssystems eingetreten ist, sei u.a. auch der Arbeit von zahlreichen Wissenschaftern zu verdanken: "Damit die Politik so entscheiden kann, braucht es auch Institutionen wie dieses Complexity Science Hub." Am erst vor rund vier Jahren ins Leben gerufenen CSH hat man angesichts des neuen Coronavirus die gesamte Forschungsarbeit für sechs Wochen komplett auf Analysen zur Pandemie umgestellt, erklärte CSH-Chef Stefan Thurner.

Dass dieses auf den relativ neuen Bereich der Komplexitätsforschung spezialisierte Institut in Wien entstanden ist, sei "erstaunlich", sagte das Staatsoberhaupt. Es brauche überzeugende Personen und starke Netzwerke, damit so eine Gründung in einem innovativen, datengetriebenen Forschungsfeld auch gelingt. Nach der Gründungsphase stelle sich nun die Frage, "wie man das dauerhaft auf bessere finanzielle und organisatorische Beine stellt." In "Einzelfällen" wie dem Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg (NÖ) sei das mit langfristigen Budgetpfaden auch in Österreich gut gelungen, "auch bei den Universitäten ist einiges besser geworden", so Van der Bellen.

Bei neuen Instituten wie dem CSH sei immer noch viel Überzeugungsarbeit hinsichtlich der "Notwendigkeit einer neuen Entwicklung" gefragt. "Die Komplexitätsforschung in dieser Form ist tatsächlich etwas Neues", so der Bundespräsident. Auch wenn es das CSH in kurzer Zeit geschafft habe, eine "wissenschaftlich sehr erfolgreiche Institution" zu werden, kämpfe man noch mit der Nachhaltigkeit, sagte auch die Wissenschaftsforscherin und ehemalige Präsidentin des Europäischen Forschungsrats ERC, Helga Nowotny. Man dürfe aber nicht vergessen, dass sich an so einem Institut vor allem für junge Forscher viele neue Möglichkeiten böten, so die Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats des CSH.

Angesichts der viele jungen, talentierten Menschen, die in der neugierdegetriebenen Grundlagenforschung großes Potenzial hätten, "kann man sich nur wünschen, dass das auch etwa ernster als bisher genommen wird", so Van der Bellen. Von den teils hochgegriffenen politischen Zielen der Vergangenheit sei mitunter leider nicht viel realisiert worden. Im Gegensatz zu vielen Bereichen der angewandten Forschung sei das Verständnis für die Bedürfnisse in der Grundlagenforschung in Österreich "nicht hoch genug".

Am CSH arbeiten aktuell rund 40 Forscher an unterschiedlichsten Fragestellungen. Mit dem gemeinsamen mathematischen Ansatz zum Verständnis von sich dynamisch verändernden komplexen Systemen - vom Wirtschafts- bis zum Gesundheitssystem über emotionale Entwicklungen in Sozialen Medien, bis zur Ausbreitung einer Epidemie in einer modernen Gesellschaft - könne man ein großes Spektrum an Entwicklungen beschreiben und analysieren. Thurner: "Wir sind da vielleicht ein bisschen mehr 21. Jahrhundert als manche Unis."

So wurde die Expertise der Wiener Komplexitätsforscher um Thurner auch in der Coronakrise zu einer wichtigen Entscheidungshilfe für den Krisenstab der Bundesregierung. Grundlage dafür war u.a. eine Arbeit aus dem Bereich der Grundlagenforschung, die im Fall von Covid-19 unerwartet zum relevanten Anwendungswerkzeug wurde. Die Wochen im "Corona-Modus" hätten auch gezeigt, wie rasch ein solches Institut reagieren könne. Eine Datenbank zur Analyse der Wirkung von Corona-bedingten Maßnahmen in fast allen Ländern der Erde werde etwa von der WHO genutzt und vielleicht für etwaige zweite Wellen noch sehr aufschlussreich, sagte Thurner.

Ein weiteres Beispiel für die Forschung am CSH ist ein am Dienstag veröffentlichter "Policy Brief", der sich mit Lieferketten im österreichischen Wirtschaftssystem auseinandersetzt. In einer während der Coronakrise durchgeführten Umfrage unter Tausenden heimischen Unternehmen habe sich etwa gezeigt, dass rund ein Drittel der Betriebe droht stillzustehen, wenn ihr wichtigster Lieferant ausfällt. Für einen Wissenschafter, der sich mit der Widerstandsfähigkeit von Systemen auseinandersetzt, sei das eigentlich "eine furchtbare Aussage", sagte Thurner.