APA - Austria Presse Agentur

Corona: Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur

Im Gefolge der Coronakrise haben auch Verschwörungstheoretiker und ihre Anhänger Hochkonjunktur.

Aus historischer Sicht ist das alles andere als überraschend, fällt das Hochkochen des Phänomens doch oft mit Krisen zusammen, erklärte der Innsbrucker Historiker Claus Oberhauser im Gespräch mit der APA. Neu ist jedoch die Geschwindigkeit der Verbreitung in "alternativen Medien" im Internet und die wieder verstärkte Hinwendung von Teilen der Politik in diese Richtung. So war es etwa im 18. oder 19. Jahrhundert fast normal, dass Politiker Theorien trommelten, bei denen immer eine sinistre, verschworene, elitäre Gruppe mit Weltherrschafts-Ambitionen die Bevölkerung gezielt, planvoll und zu ihrem Vorteil ins Ungemach reitet, so der Professor für Geschichtsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Tirol und Lehrbeauftragte an der Universität Innsbruck. Oberhauser setzt sich u.a. im Rahmen des groß angelegten, fächerübergreifenden europäisch-amerikanischen Forschungsprojekts "COMPACT" (Comparative Analysis of Conspiracy Theories) seit über zehn Jahren mit dem Phänomen intensiv auseinander.

Der Glaube, dass Freimaurer, Illuminaten oder radikale philosophische Strömungen die Weltgeschicke beeinflussen, lasse sich über weite Strecken des 18., 19. und 20. Jahrhundert nachverfolgen. Vielfach gab es hier eindeutige Verbindungen zum Antisemitismus. Das könne man mittlerweile in der Forschung sehr klar belegen, so Oberhauser, der bei der von der Universität Innsbruck organisierten Online-Tagung "Corona verstehen. Die Pandemie aus der Sicht der Geistes- und Kulturwissenschaften" spricht.

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Soziale Medien unterstützen Verbreitung

Durch die gestiegene Reichweite von Medien kamen ab Ende des 18. Jahrhunderts solche Gedankengebilde "sehr stark unter die Leute", so der Historiker. Klar sei, dass sich dieser Effekt heute durch Soziale Medien und viele neue Portale, die eine alternative Lesart der Welt liefern, deutlich verstärkt. Eine zweite, große Verbindung über die Jahrhunderte bestehe darin, dass der verschwörungstheoretische Umsatz in "gesamtgesellschaftlichen Krisen", wie der aktuellen Coronakrise, durchwegs deutlich zunimmt. "Genau in diesen Phasen ist Verschwörungsdenken immer sehr stark aufgetreten. Daher war es für uns sehr klar, dass es jetzt zu einem Anstieg gekommen ist", so der Wissenschafter.

Dafür wurde aber in den vergangenen Jahrzehnten auch intensiv der Boden bereitet: Nachdem Verschwörungstheorien lange im politischen Diskurs sehr präsent waren, traten sie in weiten Teilen des 20. Jahrhunderts wieder in den Hintergrund. Vor allem ab den Terroranschlägen 2001 in den USA ging es mit dem Phänomen wieder bergauf. Hier handle es sich gewissermaßen um den Startpunkt einer neuen Phase des Verschwörungsdenkens.

In den USA und auch in Europa zeigen Studien mittlerweile, "dass ein Drittel bis sogar die Hälfte der Menschen an zumindest eine Verschwörungstheorie glaubt", sagte Oberhauser. In Krisen können diese Vorstellungen dann zu Deutungsmustern werden, "weil sie Unerklärliches erklären können". Aus diesem Muster komme man auch Anfang des 21. Jahrhunderts offenbar nicht heraus. Populistische Politiker wie Donald Trump, Viktor Orban, Jair Bolsonaro oder die deutsche AfD würden ihren Teil dazu beitragen.

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Viel neuer Stoff durch Corona

Die Coronapandemie mit ihren extremen Einschränkungen des normalen Lebens und ihren Folgewirkungen bietet hier viele Althergebrachtes, aber auch neuen Stoff in diesen Zusammenhängen. 5G-Verschwörungstheorien oder Gedankengebäude mit Wirtschaftsmagnat Bill Gates im Mittelpunkt "haben eine sehr klare Geschichte, die jetzt durch den Lockdown katalysiert wird. Diese Dinge sind nicht vom Himmel gefallen. In der Beobachtung der verschwörungstheoretischen Szene ist es sehr klar, wie sich die Dinge jetzt verzahnt haben", sagte Oberhauser.

Als neue Motoren haben sich vor allem "Renegaten" herauskristallisiert. Hier handelt es sich vielfach um vormals "normale Journalisten", die sich nun neu positionieren und "sogenannte alternative Medien" aufgebaut haben. Ihnen haftet der Nimbus des aus dem "System" kommenden, geläuterten Insiders und jetzt neu Wissenden an, die im Internet sehr schnell und gezielt agieren können. Dazu komme der Zeitgeist mit neuen Spielregeln.

Ein Tweet genügt

Wurden die Thesen früher in dicke Wälzer gepackt, reicht zur Verbreitung der neuen "zeichenhaften Verschwörungstheorien" mittlerweile ein Tweet oder Ähnliches. "Die Leute erzählen sich dann diese Dinge selbst hinein", so der Forscher. Die neue Mitmach-Medienlandschaft bietet überdies viele Möglichkeiten zum Verbreiten glasklarer Falschmeldungen, die sich dann aufgrund der Online-Mechanismen deutlich schneller und weiter verbreiten als etwa aufwendig recherchierte Richtigstellungen.

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Man sollte trotzdem die Kirche im Dorf lassen und erkennen, "dass Verschwörungstheorien in Krisenzeiten auch eine normale Reaktion von Menschen sind", so Oberhauser. Gesetzt den Fall, die Lage normalisiert sich, "kann man davon ausgehen, dass vieles zusammenbricht". Für die Politik und die Wissenschaft sei es eine große Aufgabe, aus all dem zu lernen und besser und weniger schlagzeilenhaft zu kommunizieren.

Dazu brauche es laut den Forscher noch mehr Anstrengungen, etwa von großen Online-Plattformen, den "Diskurs im Extremen" etwas einzuschränken, auf mögliche Falschmeldungen hinzuweisen, Warnungen vor falschen Inhalten auszusprechen und Richtigstellungen gezielt anzubieten. Medien sollten auch hinterfragen, ob man wirklich dem einen Forscher unter einhundert, der eine völlig konträre Meinung zu allen anderen vertritt, gleich viel Raum lassen soll, wie Vertretern des wissenschaftlichen Konsens.