APA - Austria Presse Agentur

Vietnam steht auf Dieter Bohlen und Boney M.

Das National Convention Center in Hanoi ist bis zum letzten Platz gefüllt. 4.000 Vietnamesen klatschen und recken ihre Arme in die Luft, als die Boney M.-Leadsängerin Liz Mitchell den Evergreen "Rivers of Babylon" anstimmt. "Ihr werdet mich noch zum Weinen bringen, das ist großartig!", ruft sie der Menge zu, die lautstark den Refrain mitsingt.

Das war 2016. Mittlerweile wurde der Youtube-Clip zu dem Auftritt der in den 1970er Jahren von Frank Farian gegründeten Disco-Formation mehr als 50.000 Mal geklickt. Das zeigt den Erfolg, den die Band bis heute in Vietnam genießt. Die Begeisterung für Songs von "Daddy Cool" über "Ma Baker" bis "Rivers of Babylon" ist in dem Land am Mekong ungebrochen.

Noch zwei Beispiele: Bei einem weiteren Boney-M.-Konzert im März 2019 sprangen gleich mehrere freudestrahlende Fans auf die Bühne und tanzten ausgelassen zusammen mit der Band zu den Klängen des Ohrwurms "Rasputin". Auch der Hanoi-Gig von Thomas Anders mit den Superhits von Modern Talking war vor fünf Jahren komplett ausverkauft, obwohl die Tickets rund 40 Euro kosteten - eine stolze Summe in dem südostasiatischen Land.

Als Anders den Superhit "Cheri Cheri Lady" anstimmt, gibt es im Saal kein Halten mehr. Ganz jung ist das Publikum nicht mehr, es sind eher Menschen gekommen, die mit den Hits von Dieter Bohlen und Thomas Anders aufgewachsen sind. Der Clip dazu wurde schon mehr als 150.000 Mal angesehen.

"Ich bin ganz verrückt nach Modern Talking", sagt Pham My An, eine 47-jährige Modedesignerin, die die Konzerte beider Bands in ihrer Heimat erlebt hat. "Thomas Anders wieder in Hanoi zu sehen...", strahlt sie verträumt. "Er hat immer noch die Macht, mir gute Laune zu machen und mich zu dieser vertrauten, leidenschaftlichen Musik tanzen zu lassen."

Boney M. sei hingegen eine der einzigen internationalen Bands gewesen, deren Musik es in den 1980er Jahren bis nach Vietnam geschafft habe. "Sie waren die Pioniere, die den vietnamesischen Markt erobert und die Herzen vietnamesischer Musikliebhaber gestohlen haben", erzählt Pham My An. Dann kamen andere deutsche Popgrößen hinzu, neben Modern Talking etwa auch Sandra ("Maria Magdalena"). Auch die glänzenden, extravaganten Disco-Outfits aus dieser Zeit fanden damals eine ungewöhnlich große Anhängerschaft.

Aber wie gelangten die westlichen Klänge an den Mekong? Nach einem jahrelangen, blutigen Krieg mit mehreren Millionen Toten war Vietnam erst 1976 wiedervereinigt worden. In den 1980er Jahren litten viele Menschen in dem kommunistischen Land noch immer unter den Folgen des Konflikts. Viele in den 1960er Jahren geborene Vietnamesen gingen damals zum Studium in die Sowjetunion und andere osteuropäische Länder, wo sie erstmals mit westlicher Musik konfrontiert wurden - vor allem auch aus Deutschland.

1978 traten Boney M. dann sogar in Moskau auf - das Lied "Rasputin" durften sie dort aber nicht spielen, erinnern sich noch manche an Erzählungen. "Die Studenten brachten die Musik dann mit zurück nach Vietnam und ließen sie ständig laufen. Bis heute ist es Tradition, diese Musik bei fast allen Hochzeiten zu spielen", sagt Bui Xuan Loc, der Sänger einer populären Indieband aus Hanoi.

Lokalen Medien zufolge geht gerade Boney M.'s riesige Fangemeinde in Vietnam aber vor allem auf die Fußball-WM in Spanien im Jahr 1982 zurück. Die Rundfunkstationen spielten damals immer wieder "Rasputin" in den Halbzeitpausen oder vor Beginn der Partien. Millionen vietnamesischer Fußballfans kamen so auf den Geschmack, was dazu führte, dass Disco - vor allem aus Deutschland - eine ganze Generation geprägt hat.

Laut den Angestellten eines Plattenladens in Hanoi gab es in den 1990ern kaum einen Club in der Hauptstadt, in dem nicht auf "Rasputin" getanzt wurde. Die Vinyl-Version des Albums "Nightflight to Venus", auf dem der Song zu finden ist, ist mit einem Preis von mehr als 30 Euro eine der teuersten Schallplatten im Geschäft.

Die 28-jährige Tran Ngoc glaubt, dass ein Ende des vietnamesischen Disco-Fiebers nicht in Sicht ist. Auch, oder vielleicht gerade weil das Genre und seine eingängigen Gassenhauer für viele untrennbar mit Erinnerungen an die Jugend verbunden sind. "Noch heute reicht es für mich, die Melodien von Modern Talking zu hören - und plötzlich bin ich wieder Kind."