APA - Austria Presse Agentur

Warnschüsse bei Anti-Kriegs-Protest in Russland

Die von Kremlchef Wladimir Putin angeordnete Teilmobilmachung im Angriffskrieg gegen die Ukraine hat am Wochenende für weiteren Ärger und neue Proteste in Russland gesorgt.

In der Teilrepublik Dagestan im Kaukasus gingen Polizisten nach Angaben von Bürgerrechtlern mit Warnschüssen gegen Demonstranten vor. Am Samstag wurden bei Anti-Kriegs-Protesten in über 30 russischen Städten mehr als 780 Menschen festgenommen, wie die unabhängige Organisation OVD-Info berichtete.

Putin will rund 300.000 Reservisten einziehen lassen, um nach den Niederlagen der russischen Armee in der Ukraine die dort noch besetzten Gebiete zu halten. Er hatte deshalb am Mittwoch eine Teilmobilmachung angeordnet, was bei vielen Russen Panik auslöste.

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Nach Angaben von OVD-Info wurden seit Mittwoch fast 2.100 Menschen bei Protesten gegen die Teilmobilmachung festgenommen. Die russische Polizei ging am Samstag teils brutal gegen Teilnehmer der von den Behörden verbotenen Anti-Kriegs-Proteste vor. Aus St. Petersburg wurden in sozialen Netzwerken Videos veröffentlicht, die zeigten, wie Männer in Kampfuniform und mit Helm auf Demonstranten einknüppelten. OVD-Info berichtete unter Berufung auf Augenzeugen, dass die Sicherheitskräfte Elektroschocker eingesetzt hätten.

Im Dorf Endirej in Dagestan blockierten Bewohner eine Straße, um so die von Putin angeordnete Teilmobilisierung zu behindern, wie OVD-Info am Sonntag mitteilte. Auf Videos ist zu sehen, wie Polizisten Gewehre in die Luft richten, dann sind Schüsse zu hören. Laut dagestanischen Medien war der Protest eine Reaktion darauf, dass aus dem Dorf 110 Männer in den Krieg gegen die Ukraine gezwungen wurden.

Später wurden in sozialen Netzwerken Videos geteilt, die Proteste auch in Dagestans Hauptstadt Machatschkala zeigen sollen. Auf einem ist zu sehen, wie ein Polizist einem bereits festgenommenen Mann ins Gesicht schlägt. Ein anderer Clip zeigt, wie Frauen vor einen fahrenden Einsatzwagen rennen, um ihn aufzuhalten.

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Das muslimisch geprägte Dagestan gehört zu den Regionen Russlands, aus denen Beobachtern zufolge besonders viele Männer eingezogen werden. Aktivisten beklagen, dass Angehörige ethnischer Minderheiten besonders stark von der Mobilmachung betroffen sind und sprechen deshalb teils sogar von "ethnischen Säuberungen".

Von offiziellen Stellen mehrte sich Kritik am Vorgehen des Militärs bei der Teilmobilmachung. Der Chef des Menschenrechtsrats beim russischen Präsidenten, Waleri Fadejew, forderte, das "Knüppelsystem" vieler Einberufungsstellen im Land zu beenden. Es bekämen sogar Männer Einberufungsbefehle, die keine Kampferfahrung hätten. In den sozialen Netzwerken in Russland gibt es zahlreiche Fälle, in denen Väter kinderreicher Familien, Männer ohne Kampferfahrung oder auch ältere und chronisch kranke Reserveoffiziere berichten, dass sie eingezogen worden seien.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bot an, dass sich russische Soldaten freiwillig in Kriegsgefangenschaft begeben könnten. Dort würden sie zivilisiert behandelt, sagte er in seiner am Samstagabend veröffentlichten Videobotschaft. Der Staatschef wandte sich damit schon zum zweiten Mal in dieser Woche auf Russisch an die Nachbarn - gegen die "verbrecherische Mobilisierung". Mit Blick auf hohe Strafen für Fahnenflüchtige in Russland, die Kremlchef Wladimir Putin am Samstag in Kraft setzte, sagte Selenskyj, dass niemand erfahren werde, unter welchen Umständen die Soldaten aufgeben.

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Die EU treibt unterdessen ihre Vorbereitungen für neue Sanktionen gegen Moskau voran. Am Wochenende führte die EU-Kommission dazu Gespräche mit Vertretern der 27 Mitgliedstaaten. Deutschland schlug unter anderem vor, dass EU-Bürger keine Spitzenposten in russischen Staatskonzernen mehr bekleiden dürfen. Hintergrund dürfte vor allem der Fall des deutschen Ex-Kanzlers Gerhard Schröder sein, der jahrelang Aufsichtsratschef des russischen Ölkonzerns Rosneft war. Auch die österreichische frühere Außenminister Karin Kneissl hatte bis Mai einen Posten im Aufsichtsrat des russischen Mineralölkonzerns Rosneft inne.

In ihrem Vorschlag für neue EU-Sanktionen, der der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel vorliegt, schlägt die deutsche Bundesregierung auch vor, den Verkauf von Immobilien in der EU an Russen zu verbieten. Mit Blick auf die Führungsposten in russischen Staatskonzernen heißt es, die russische Regierung versuche schon lange, über die gut bezahlten Jobs für EU-Bürger unzulässigen politischen Einfluss auf die EU-Staaten zu gewinnen. Die EU-Länder hatten sich nach der russischen Teilmobilmachung verständigt, weitere Sanktionen zu verhängen. Nun arbeitet die EU-Kommission einen konkreten Vorschlag aus, über den die Botschafter der Mitgliedstaaten dann am Mittwoch beraten könnten. Sanktionen müssen in der EU einstimmig beschlossen werden.