WHO fordert von Europa mehr im Kampf gegen HIV und Aids
"Die Situation in der europäischen Region ist eine der dramatischen Gegensätze", ergänzte der Belgier. Manche Länder hätten die Übertragung von HIV fast vollständig gestoppt und stünden kurz davor, sagen zu können, dass das Ende von Aids in Sicht sei. In anderen blieben die Sterberaten dagegen weiterhin inakzeptabel hoch. HIV-Diagnosen erst im Spätstadium blieben heute noch ein Problem, und man müsse sich dringend mit der weit verbreiteten Stigmatisierung der Betroffenen auseinandersetzen, die den Fortschritt weiter behindere.
Kluge hegt Hoffnungen, dass die am Montag beginnende Welt-Aids-Konferenz in München das Thema wieder stärker ins Bewusstsein rückt. "Die Konferenz findet auch zu einem Zeitpunkt statt, an dem das Thema HIV/Aids in vielen Teilen der Welt von der Bildfläche verschwunden zu sein scheint", sagte er. Es sei von "Aids-Müdigkeit" die Rede bei einem Thema, das einst weltweit eine weitaus größere Rolle gespielt habe. Heute müsse man gleich eine ganze Reihe an Gesundheitsherausforderungen meistern - dennoch könne man es sich nicht leisten, bei der Bekämpfung von HIV und Aids nachzulassen.
Zur WHO-Region Europa zählen rund 50 Länder, darunter auch viele östlich der EU. Insgesamt leben nach Kluges Angaben in dieser Region etwa drei Millionen Menschen mit HIV, weltweit sind es demnach schätzungsweise 39 Millionen.
Laut dem jüngsten HIV/Aids-Bericht der WHO Europa und der EU-Gesundheitsbehörde ECDC wurde im Jahr 2022 bei mehr als 110.000 Menschen in dieser Region HIV diagnostiziert, was einem leichten Anstieg im Vergleich zu 2021, aber einem recht deutlichen Rückgang im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 entspricht. Ein Großteil der Diagnosen wurde 2022 demnach im Osten der Region gestellt, mit den höchsten Pro-Kopf-Raten in Russland, der Ukraine und Moldau.
Dem WHO/ECDC-Bericht zufolge ist die Zahl der gemeldeten Aids-bedingten Todesfälle in Europa von 2021 bis 2022 weiter rückläufig gewesen. Die jüngsten Modellberechnungen gehen nach WHO-Angaben jedoch von wieder steigenden Todesfallzahlen und Neuerkrankungen aus, darunter auch nicht diagnostizierte.
Insgesamt sei die Welt im Kampf gegen HIV und Aids sehr weit gekommen, lobte Kluge. Jahrzehntelang sei eine HIV-Diagnose für Millionen von Menschen einem Todesurteil gleichgekommen, doch dann habe sich die Antiretrovirale Therapie (ART) als "Game-Changer" erwiesen. Zwischen 2000 und 2021 sei die weltweite Zahl der HIV-Neuinfektionen um satte 49 Prozent gefallen, die der HIV-bedingten Todesfälle gar um 61 Prozent.
"Der Kampf gegen HIV/Aids ist sowohl eine Erfolgsgeschichte als auch ein warnendes Beispiel", sagte Kluge. Im Falle Europas sei man noch nicht am Ziel angelangt - und das nicht wegen eines Mangels an Mitteln, sondern wegen Intoleranz und Stigmatisierung.
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