APA - Austria Presse Agentur

Wie SchmerzforscherInnen von giftigen Meeresschnecken lernen

Die vielfältigen Giftkombinationen der Meeresschnecken haben die Schmerzforschung revolutioniert und versprechen einen völlig neuen Zugang bei der Entwicklung von Schmerzmitteln.

Ein Team mit Wiener Beteiligung gibt nun in einem Artikel im Fachblatt "Chemical Reviews" Einblicke in die neuesten Entwicklungen.

Bisher kennt man über 10.000 sogenannte Conotoxin-Sequenzen, die von verschiedenen Arten von fleischfressenden Meeresschnecken der Gattung Conus produziert werden. Ein typisches Gift der rund 750 Arten umfassenden Gruppe enthält hundert bis tausend bioaktive Substanzen, welche über eine Art Harpune in die Beute injiziert werden. Diese können auch auf das menschliche Nervensystem wirken, was für die Forschung besonders interessant ist, da es sich hierbei um Rezeptoren handelt, die wichtig für die Schmerzreizleitung sind.

Für dich ausgesucht

Seit rund 30 Jahren werden die Gifte analysiert. Die AutorInnen des Überblicksartikels aus Österreich, Australien und Frankreich sind in diesem Bereich weltweit führend, so der Medizinchemiker Markus Muttenthaler von der Universität Wien. Das Ziel war in der nunmehrigen Arbeit, den bisherigen Wissensstand darzustellen und einen Blick in die aus Sicht der Schmerzforschung möglicherweise verheißungsvollen Zukunft zu werfen. Denn die vielseitigen Giftstoffe "haben die Schmerzforschung revolutioniert" und auch in den Neurowissenschaften neue Wege eröffnet, so Muttenthaler, der 2017 einen mit rund 1,5 Millionen Euro dotierten "Starting Grant" des ERC erhalten hat.

Neue Wirkweise über die Ionenkanäle

Im Gegensatz zu den wegen der Toleranzentwicklung mit der Gefahr der Abhängigkeit behafteten gängigen Opiaten, wirken die Conotoxine nämlich völlig anders. Während Opiate die Schmerzwahrnehmung im Gehirn dämpfen, können gewisse Giftsubstanzen bereits im Rückenmark oder noch früher die Schmerzweiterleitung blockieren. Diese neue Wirkweise über die Ionenkanäle, also gewissermaßen die Türen und Tore der Nervenzellen, verursacht keine Toleranzentwicklung. Eine erste solche Substanz mit dem Handelsnamen Prialt ist bereits zugelassen.

"Vom perfekten Medikament sind wir aber noch weit entfernt", so Muttenthaler. Das Problem ist etwa, dass diese Peptidsubstanzen im Körper rasch abgebaut werden und man sie deshalb nicht in Tablettenform geben kann, sondern sie über eine implantierte Pumpe im Rückenmark injiziert werden müssen. Dementsprechend wird das Medikament nur bei chronischen Schmerzpatienten eingesetzt, die gegenüber Opiaten schon zu hohe Toleranz entwickelt haben. In den kommenden zehn bis zwanzig Jahren könnte es durchaus Conotoxin-basierte Medikamente geben, wo die Anwendung patientenfreundlicher sein wird und die bereits an den dem Rückenmark vorgelagerten Spinalganglien ansetzen, so Muttenthaler.

Erste dokumentierte Fälle

Viel verspricht man sich etwa von der Hemmung eines bestimmten Natrium-Ionenkanals. Hier gibt es bereits dokumentierte Fälle von Menschen, denen die notwendigen Gene zur Bildung dieses Transportkanals ganz fehlen, "und die komplett schmerzfrei leben", so der Wissenschafter. Momentan suchen daher sehr viele ExpertInnen nach Substanzen, die diesen Natrium-Ionenkanal blockieren.

Die Conotoxine sind aber auch vielversprechende Substanzen, mit denen die Mechanismen der Schmerreizleitung aufgeklärt werden können. In dem Zusammenhang hat Muttenthaler kürzlich im Fachjournal "Australian Journal of Chemistry" einen Ansatz vorgestellt, mit dem die Conotoxine mit fluoreszierenden Markierungen ausstaffiert werden, um dann unter dem Hightech-Mikroskop die Ionenkanäle, an die sie binden, in Zellen sichtbar zu machen.