Zwangsarbeiter-Datenbank in Graz präsentiert
Es ist eine Art "Kaleidoskop der Zwangsarbeit" in Graz, schilderte Barbara Stelzl-Marx, Leiterin des Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung, am Freitag bei einem Pressegespräch im GrazMuseum. Zudem sei es eine "Premiere", denn vergleichbare Daten in dem Umfang seien weder in Wien noch irgendwo anders im deutschsprachigen Raum zu finden, sagte Projektkoordinator Martin Sauerbrey-Almasy. Seit 2018 wurde daran gearbeitet, die vergangenen beiden Jahre intensiv. Die teilweise schlampig in Kurrentschrift verfassten Karten aus der NS-Lagerkartei, manche auch physisch schon in einem schlechten Zustand, wurden dafür einzeln in die Datenbank übertragen.
Angehörige und Nachkommen von Zwangsarbeitern können nun wesentlich einfacher Auskunft erhalten und aus den Daten wurden schon zahlreiche Ergebnisse abgeleitet: So stammten die in Graz angesiedelten Zwangsarbeiter demnach aus 40 unterschiedlichen Nationen und mussten an über 700 Adressen in der steirischen Landeshauptstadt arbeiten - teils in Fabriken, aber auch bei Privatpersonen. 40 Prozent der Menschen waren Hilfsarbeiter, doch auch viele Schlosser wurden eingesetzt - speziell in den ehemaligen Puch-Werken auf der gegenüberliegenden Muruferseite des Lagers Liebenau.
Im Lager Liebenau haben sich zwischen 1941 und 1945 auch fast zwei Drittel aller Zwangsarbeiter in Graz einmal aufgehalten. Es waren bis zu 5.000 Menschen zeitgleich in dem "Ankunftslager", manche nur wenige Tage, ehe sie auf andere Lager oder Arbeitsstätten verteilt wurden. Die nun fertiggestellte Datenbank gibt Einblicke in das System dahinter und bringt "Licht in ein dunkles Thema der Grazer Zeitgeschichte", so Stelzl-Marx. Die Daten können nun auch Grundlage für weitere wissenschaftliche Arbeiten sein. Aus datenschutzrechtlichen Gründen sind sie aber vorerst nicht der breiten Öffentlichkeit zugänglich.
"Die Stadt Graz hat das Projekt mit 50.000 Euro unterstützt", sagte Kultur- und Wissenschaftsstadtrat Günter Riegler (ÖVP). Für die neue Geschäftsführerin des GrazMuseums, Sibylle Dienesch, ist es "ein weiterer Schritt zur Aufarbeitung der NS-Zeit". Aus der Datenbank gehe eine "Fülle an Schicksalen" hervor, die nun für die Erforschung zur Verfügung stehen würden. Stelzl-Marx beschrieb stellvertretend die erfassten Daten von Ivan Anosov aus der ehemaligen UdSSR. Er war mehrfach im Lager Liebenau untergebracht und verfasste dort auch ein handschriftliches Wörterbuch mit deutschen Vokabeln, um sie für andere Zwangsarbeiter auf Russisch zu übersetzen. Darunter waren Begriffe wie "15 Peitsche" oder "2 Uhr Kniebeuge".
Weitere Details aus der Datenbank: Der Großteil der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter waren zwischen 15 und 40 Jahre alt, das Durchschnittsalter betrug 26 Jahre. Mindestens 150 Kinder wurden von Zwangsarbeiterinnen in Graz geboren und haben ihre ersten Lebensjahre im Lager verbracht. Bei sowjetischen "Ostarbeiterinnen" und Polinnen wurden aber auch Zwangsabtreibungen vorgenommen, geht aus anderen Studien hervor.
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