APA - Austria Presse Agentur

Zweite Welle könnte "größere Wucht haben"

Eine etwaige zweite Welle der Covid-19-Pandemie im Herbst könnte wegen der dann vermutlich breiteren Verteilung des Virus und dem gleichzeitigen Auftreten von Influenzaerkrankungen "auch eine größere Wucht haben". Das sagte der österreichische Virologe Florian Krammer am Montag in einer Video-Diskussion der Universität Linz. Die Impfstoffentwicklung sieht der Forscher auf einem guten Weg.

Historische Beispiele von Pandemien würden zeigen, dass zweite Wellen im Herbst bzw. Winter durchaus auch stärker ausfallen können. Im Fall des neuen Coronavirus sei durchaus möglich, dass es durch die Lockerung der Containment-Maßnahmen nicht mehr nur zu lokalen Clustern, sondern zu einer flächigeren Verteilung mit eher wenigen Fällen kommen kann. Nehmen dann die Ansteckungsraten wieder zu, lasse sich die Situation möglicherweise schlechter in den Griff bekommen als das in den vergangenen Wochen bei den Fall-Häufungen etwa in den Skigebieten der Fall war.

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Gefährlich könnte auch werden, wenn im Winter vermehrt Koinfektionen mit Influenza auftreten. Derartige Fälle habe es bereits gegeben und "sie sind meistens nicht gut ausgegangen", sagte Krammer, der an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York (USA) forscht und dort kürzlich einen Antikörper-Labortest auf das neue Coronavirus entwickelt hat.

Damit gehen er und sein Team nun u.a. dem "sehr komplexen Thema" der Immunität nach überstandener Erkrankung nach. Bei anderen humanen Coronaviren-Infektionen sei man in der Regel für ein bis drei Jahre geschützt. Man könne "davon ausgehen, dass das auch beim neuen Virus so ist", so Krammer, der aber auf das Fehlen von Daten dazu hinwies. Am Mount Sinai-Spital in New York wurden in den vergangenen Wochen teilweise um die 2.000 Covid-Patienten gleichzeitig behandelt. Man habe gesehen, "dass der Großteil neutralisierende Antikörper entwickelt hat", was in den meisten Fällen mit einem gewissen Schutz zusammenhänge.

Der von ihm und seinen Kollegen entwickelte Antikörpertest gebe auch Aufschluss darüber, wie stark die Immunantwort ist - sprich, über wie viele Antikörper eine Person verfügt. Das könnte in einer zweiten Welle sehr nützlich werden, wenn mehr zum Zusammenhang zwischen Antikörpertiter und Schutz vor Infektionen bekannt ist. Aufgrund der Informationen "könnte man vielleicht Personen von Quarantänemaßnahmen ausnehmen", sagte Krammer.

Besonders wichtig für den zukünftigen Umgang mit SARS-CoV-2 ist überdies die Frage der Impfstoffentwicklung. Krammer glaubt, dass es Anfang 2021 erste Vakzine geben wird. Als vielversprechend bezeichnete er zum Beispiel einen Ansatz mit inaktivierten SARS-CoV-2-Erregern. Erste Daten dazu "schauen super aus", so der Virologe. Ein Vorteil dieses Ansatzes sei, dass solche Vakzine auch Firmen in Nicht-Hightech-Ländern produzieren könnten, da das Virus lediglich in Bioreaktoren wachsen muss, dann etwa mittels UV-Licht inaktiviert wird "und das war es", sagte Krammer. Klar sei, dass keine Firma alleine auch nur annähernd den Weltbedarf decken wird können.

Viel gesprochen wird vor allem im deutschsprachigen Raum über sogenannte RNA-Vakzine. Dabei werden genetische Informationen des Erregers - sogenannte Messenger-RNA (mRNA) - in abgewandelter Form über einen Impfstoff in den Körper gebracht. Mit dieser injizierten Erbsubstanz stellen einige Körperzellen die gewünschten Virusbestandteile her, mit denen sich dann das körpereigene Immunsystem herumschlägt. Somit stellt der Körper gewissermaßen selbst das Vakzin her, an dem sich die Immunantwort aufrichtet.

In Deutschland beginnt dieser Tage eine erste klinische Untersuchung zu einem derartigen Wirkstoff. "Wir haben ein Werkzeug, mit dem wir glauben, das Immunsystem sehr präzise anleiten zu können", sagte der Vorstandsvorsitzende der in Mainz ansässigen Firma BioNTech, Ugur Sahin, in einem vom deutschen Science Media Center (SMC) organisierten Pressgespräch am Montag. Der mRNA-Ansatz sei auch deshalb vielversprechend, weil derartige Impfstoffe schnell in großen Mengen herstellbar wären, ihre Entwicklung relativ zügig vorangehe und sie im Körper schnell wieder abgebaut werden.

Dass es noch keinen zugelassenen Impfstoff dieser Klasse gibt, liege vor allem daran, dass die Technologie erst in den vergangenen Jahren zu einem gewissen Reifegrad gelangte. Die Impfstoffentwicklung und vor allem die Zulassung ist jedoch ein langwieriges und teures Unterfangen. Jetzt befinde man sich natürlich in einer Ausnahmesituation, in der die möglichen Vorteile des Ansatzes überwiegen würden, so Sahin.

In Bezug auf das SARS-CoV-2-Virus habe man intensiv überlegt, welche Oberflächenstruktur als Angriffspunkt infrage kommt. Wie viele andere Ansätze habe man sich für das markante Spike-Protein entschieden, das für das Eindringen des Erregers in die menschlichen Zellen entscheidend ist. Da dieses Struktur für den Erfolg des Virus derart wichtig ist, sei auch nicht davon auszugehen, dass es genau hier zu dramatischen Mutationen kommen wird, die es auch dem mit der Impfung trainierten Immunsystem dann unmöglich machen, sich zu wehren.

Trotz all der Verheißungen der Technologie gebe es eine ganze Reihen an potenziellen Restrisiken und Nebenwirkungen wie etwa Fieber, Müdigkeit, Kopfschmerzen etc., räumte Sahin ein. In den Überprüfungen werde man auch genau auf Veränderungen im Blut achten, die auf Organschäden hinweisen. Darum braucht es viele Untersuchungsteilnehmer, die über lange Zeit hinweg verfolgt werden, so der Wissenschafter, der keinem Zeithorizont nannte, in dem es eine Zulassung geben könnte.

Mit der öffentlich bekannt gegebenen Genehmigung der Phase-I/Phase-II-Studie von BioNTech mit rund 200 Probanden sorgte das deutsche Paul-Ehrlich-Institut vergangene Woche für Aufsehen. Trotz der Eile und großen Aufmerksamkeit werde es jedoch "keine Shortcuts zulasten der Verträglichkeit" geben, versicherte Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. Die Technologie sei generell als sicher anzusehen, "es braucht jetzt harte Daten in klinischer Prüfung".