Entspannt sitzt Daniel Chanoch da. Sein Hintergrund ist ein dunkles und fortwährendes Schwarz, aber jede Furche in seinem freundlichen Gesicht ist hell beleuchtet. Sein kahler Kopf strahlt wie aus einem schwarzen Loch. Seine 91 Jahre alte Gesichtslandschaft erzählt von einem ereignisreichen Leben, das die Gräuel des Nationalsozialismus überlebt hat. "Ich hatte den besten Arzt!", sagt er schelmisch in die Kamera gleich zu Beginn: "Dr. Mengele".
Natürlich war der "Todesengel von Auschwitz" kein guter Arzt. Der charmante Chanoch hat einen bewundernswerten schwarzen Sinn für Humor, der ihm geholfen haben muss, als Kind sechs Konzentrationslager zu überleben - anders kann man sich das nicht erklären. Es ist ein außerordentlicher Überlebensmechanismus. Wenn der in Litauen geborene Zeitzeuge Gruppen heute Auschwitz zeigt, dann selektiert er die Kinder - so wie er damals von Dr. Mengele selektiert wurde, erzählt er. "Das kommt nicht so gut an" bei den Leuten, lacht er. Weil sie denken, "es könnte traumatisch sein". "Aber die Wahrheit ist nicht traumatisch", betont der Überlebende. Bis heute sieht er es als seine Pflicht zu erzählen, was damals passiert ist.
Christian Krönes und Florian Weigensamer hören ihm dabei zu, wie er sein Leben vor uns ausbreitet: Im Sommer 1941 mit dem Einmarsch der Nazis in Litauen endet seine Kindheit schlagartig. Da ist er acht Jahre alt. Die jüdische Familie wird in ein Ghetto gebracht, dann getrennt und deportiert. In Auschwitz-Birkenau arbeitet er an der Rampe, schafft als gerade mal Zwölfjähriger die Toten auf Holzkarren zu den Krematorien, darunter vielleicht auch sein Vater, und wird zum Vorzeigepatienten des berüchtigten Dr. Josef Mengele. Bei den Inspektionen des Roten Kreuzes wird er von dem Arzt vorgeführt - um zu demonstrieren, wie "gut" man sich um die jüdischen Häftlinge kümmert. Mengele ist offensichtlich angetan vom "arischen" Aussehen des Buben. Als Daniel Chanoch an Pocken erkrankt, veranlasst er, dass man dem blonden Kind Medizin gibt. Es rettet sein Leben.
Er wird schließlich den Todesmarsch in Richtung Westen überleben, nur um im oberösterreichischen KZ Mauthausen zu landen und Zeuge von Kannibalismus zu werden. "Das ist immer noch ein Tabu", sagt er in die Kamera. "Mauthausen war schlimmer als Auschwitz". Wir sehen nicht nur ihn, wie er spricht, sondern wir bekommen Bilder von abgemagerten, kranken Häftlingen zu sehen. Leichen türmen sich. In den Stacheldrahtzäunen hängen menschliche Überreste. Über Chanochs letzte Station in Gunskirchen, eines von 49 Nebenlager von Mauthausen, schreibt der kommandierende US-Offizier später: "This is the true corner of hell!"
"A Boy's Life - Kind Nummer B2826" ist bereits die dritte Dokumentation des Wiener Blackbox-Kollektivs, das sich dem Nichtvergessen verschrieben hat. Für ihren nicht unkomplizierten Film "Ein deutsches Leben" (2017) holten sie eine vermeintlich unpolitische Mitläuferin vor die Kamera: Brunhilde Pomsel, die einstige und inzwischen verstorbene Sekretärin im Büro von Joseph Goebbels. In "Marko Feingold - Ein jüdisches Leben" (2021) erzählte der titelgebende und inzwischen auch verstorbene Österreicher davon, wie er den Holocaust überlebt hat.
Das schwarz-weiße Setting, die extremen Nahaufnahmen, der unkommentierte Monolog, es ist alles abermals vorhanden. Neben den Interviewszenen beinhaltet auch dieser Film wie die beiden Vorgänger viele Ausschnitte aus US-Aufklärungsfilmen und NS-Propagandafilmen, die das Gehörte untermauern. Die enorme Wichtigkeit, sich Daniel Chanochs Geschichte vor Augen zu führen, kann eigentlich nicht genug betont werden.