"A Real Pain": Zwei ungleiche Holocaust-Touris
Es gibt Schauspieler, die ihre Gestalt verändern und sich von Rolle zu Rolle neu erfinden können. Jesse Eisenberg und Kieran Culkin gehören nicht dazu - was nicht unbedingt etwas Schlechtes ist. Eisenberg, der auch das Drehbuch zu "A Real Pain" geschrieben und Regie geführt hat, kennt seine Stärken und hat sich selbst dieselbe Art von Rolle gegeben, die er in den letzten 15 Jahren in Filmen wie "The Social Network" und in Serien wie "Fleishman Is in Trouble" gespielt hat: sein David ist ein neurotischer, gefälliger, verklemmter Streber mit dem für ihn typischen, nervösen Geplapper.
Zwei Gegenpole
Kieran Culkin spielt seinen Gegenpol: einen impulsiven, charismatischen Kerl, den er schon oft in Filmen und zuletzt in der US-Serie "Succession" dargestellt hat. Sein Benji ist ein himmelhoch jauchzender und zu Tode betrübter Exzentriker, der freiheraus sagt, was er denkt, aber auch unter schweren Depressionen leidet. Jeder der beiden will ein bisschen von dem, was der andere hat. "Ich liebe ihn, und ich hasse ihn, und ich möchte ihn töten, und ich möchte er sein", sagt David in einem Moment.
Auf der Suche nach ihrer eigenen Geschichte und die ihrer kürzlich verstorbenen Großmutter, reisen die beiden nach Warschau und nehmen an einer Holocaust-Gruppentour teil, die von Szene zu Szene angespannter wird, da niemand weiß, wie man angemessen mit dem titelgebenden Thema umgehen soll - sei es persönlicher Schmerz oder der Schmerz der Anderen. Der etwas unbeholfene Reiseleiter (Will Sharpe) hält die jüdische Fahne jedenfalls hoch und schwört alle auf "die Aufarbeitung einer schmerzhaften Geschichte" ein, aber Jesse Eisenberg hat seinem Film bei aller Chopin-Klaviermusik auch einige humorvolle Noten verpasst, ohne dabei respektlos zu sein. Während David eine ängstliche und ehrfürchtige Haltung einnimmt, posiert Benji für ein Selfie zwischen Statuen jüdischer Helden.
Mal melancholisch, mal beschwingt
Die Gruppe besucht auch das Konzentrationslager Majdanek, und das wird aus offensichtlichen Gründen der härteste Tag. Die Flecken des Gases und die verwaisten Schuhe zu sehen, ist nicht weniger eindringlich, als wenn man persönlich dort stünde. Der ganze Film ist so bipolar wie seine Hauptfiguren, mal beschwingtes Buddy-Movie über zwei sich zankende Männer, mal melancholisches Drama über unvorstellbares Leid.
Die Reise ist nicht unliebenswert, aber sie leidet unter einigen der gleichen Probleme wie Jesse Eisenbergs erster tragikomischer Regiefilm "When You Finish Saving The World". Er hat einen sehr zurückhaltenden Stil des Filmemachens und Erzählens, der es seiner Tragikomödie nicht erlaubt, sich von zahllosen anderen kleinen Indie-Filmen über die Schmerzen des Lebens abzuheben. Dennoch hat "A Real Pain" kein Wohlfühlende anzubieten, wie es ein schlechterer Film vielleicht getan hätte, sondern schließt mit etwas Zweideutigerem (und das obwohl Disney als Verleih dahintersteht). Denn der "schwere Rucksack", den man trägt, geht zwar mit auf Reisen, kommt aber nicht weniger voll wieder nach Hause zurück.
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