"Anqa": Was von einer Frau bleibt

Frauen aus Jordanien überlebten Gewalt von Männern nur knapp
Das "intime Porträt" ist ein Klischee, aber im Fall von "Anqa" trifft es zweifelsohne zu. Die in Wien lebende kurdische Regisseurin Helin Çelik hat drei Frauen aus Jordanien gefilmt, die Gewalt von Männern nur knapp überlebt haben. Çelik skizziert ihre posttraumatischen Umstände in imposanten Bildern, die im Kopf verweilen. Der österreichisch-spanische Dokumentarfilm kommt nun am Dienstag ins Kino.

Ein Vorwort des persischen Dichters Rumi bereitet die Bühne für den Film von Helin Çelik: "Verstehen Sie: Zeit ist ein Bild der Melancholie. Außerhalb der Zeit ist unsere wahre Form. Denn diese weltliche Zeit ist ein Käfig." Der Käfig ist auch ein Sinnbild für die drei muslimischen Frauen, um die es hier geht.

Bilder dreier Gefangener

In den Eröffnungsmomenten von "Anqa" verdeutlicht die Regisseurin bereits ihre Absicht, das Leben dieser Gefangenen wie eine Art Horrorgeschichte zu erzählen. Die ersten Bilder von Spinnweben sind von einem leise brodelnden Rauschen unterlegt. Wir betreten einen dunklen Gang mit einem kleinen Fenster am Ende. Die Bilder sind manchmal genauso verschleiert und unscharf wie die grauenvollen Dinge, die diese Frauen erlebt haben.

Die Kamerafrau Raquel Fernández Núñez verweilt dann in einer extremen Nahaufnahme auf den Lippen und der Hand einer älteren Frau, während diese sagt: "Manchmal wünschte ich, das Ende der Welt würde kommen." Das Ende der Welt scheint erträglicher als ihr Leben. Sie wird später gestehen, dass sie sich heimlich wünscht, ihre Kinder würden im Schlaf sterben. Nicht, weil sie ihre Kinder nicht liebt, sondern weil sie ihnen das schreckliche Schicksal ihrer Mutter ersparen möchte.

Leben in der Abgeschiedenheit

Alle drei Frauen sind ihren Peinigern entkommen und leben abgeschieden in ihren Wohnungen, weil sie die "Ehre ihrer Familien" verletzt haben. Eine Frau verbrachte einige Zeit im Gefängnis, weil man es für einfacher hielt, das Opfer und nicht den Täter einzusperren - zum "eigenen Schutz". Eine andere Frau schaut sich Henry Barakats "The Nightingale's Prayer" an, ein beliebtes ägyptisches Melodram aus dem Jahr 1959 über eine junge Frau, die auf Rache für ihre Schwester sinnt, die von ihrem Onkel ermordet wurde, weil sie die Familie beschämt hat. Es ist, als würde sie sich ihre eigene Geschichte ansehen.

Über lange Strecken hinweg ist kein Wort zu vernehmen. Çelik zerlegt ihren Film in Fragmente, so wie sie auch diese starken, aber gebrochenen Frauen in ihre einzelnen Körperteile zerlegt. Wir sehen ihre Gesichter, ihre Beine, aber wir sehen sie nie ganz. Wir sehen immer wieder ihre Hände. Hände, die ihre Augen bedecken, vor Scham, vor Einsamkeit, vor Verzweiflung. Hände, die sich an ein Eisengitter klammern, das sie vom Rest der Welt trennt, aber auch Hände, die zärtlich ein Kind streicheln. In den kargen Räumen herrscht ständige Dunkelheit. Einer Frau wurde das Augenlicht genommen, und sie erlebt den Horror jedes Mal, wenn sie versucht zu schlafen, wie einen Albtraum. "Deshalb schlafe ich an den meisten Tagen nicht", erzählt sie.

Den Opfern eine Stimme geben

Der Titel des Films spielt auf den weiblichen Vogel in der arabischen Mythologie an, eine Art Phönix, der der Sonne zugetan ist. Die Frauen zupfen immer wieder an zugezogenen Vorhängen, aber manchmal verirrt sich auch ein warmer, gelber Sonnenstrahl hierher, fast wie ein Scheinwerfer. Çelik möchte diesen sehr mutigen Frauen ein stückweit Sichtbarkeit und Raum zurückgeben, was der jungen Regisseurin eindringlich gelungen ist. Die Frauen sind mehr als nur die Summe ihrer Traumata. "Die Leute sagen, Sie seien die Überreste einer Frau", sagt eine Stimme aus dem Off zu einer der Überlebenden. Die Frau mit ihren tiefen Falten ist gekränkt. "Ich bin kein Überrest", sagt sie. "Ich existiere."

(Von Marietta Steinhart/APA)

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