"De Facto": Gewalt und Grausamkeit im Plauderton
Nach dem Mann in einer Jacke mit Anklängen an Uniform und Häftlingskleidung spricht ein Zweiter, der all die Untaten intellektuell rechtfertigt, beschönigt, ihn moralisch emporhebt. Sie sitzen einander in einem historisierenden Tempel im Pötzleinsdorfer Schlosspark in Wien gegenüber. Vor den Fensteröffnungen rauschen die Bäume, ab und zu ist der Glockenschlag der alten Pötzleinsdorfer Kirche zu hören - eine Idylle, in der das Grauen zur Sprache kommt.
So wie sich der Tempel auf das reine Denken der Antike bezieht, so will die Argumentation der beiden auf einer Basis selbstgeschaffener Moral fußen. Man selbst war nicht böse, "es war klare Dienstanweisung", sagt der Mann (Christoph Bach). Die Brutalität schaue man sich von den anderen ab, wer es einmal gemacht hat, tue es immer wieder. Der vom Schauspieler rezitierte Text hört sich selbstbezogen, gefühllos und wehleidig an. "Ich habe immer geschaut, dass ich mich schone", heißt es einmal.
So, als würde ein Facharbeiter seine Tätigkeit schildern. Dabei geht es um das Abschlachten von Menschen, "Tiere", wie er sie nennt, um das Verrecken in den eigenen Exkrementen, um widerlichste Folterpraktiken - mitunter bis an die Grenzen des Erträglichen. Es sind Textcollagen aus Interviews und Zeugenaussagen. Man denkt zuerst an die Nazigräuel, dann an die Exzesse im Bosnienkonflikt und schließlich an die gegenwärtigen eklatanten Menschenrechtsverletzungen im Ukrainekrieg. Bis man erkennt: Solche menschlichen Grausamkeiten kennen nicht nur ein Datum in der Geschichte.
Sie werden auf einer philosophischen Ebene durch den Mann am anderen Ende des Tisches, in Strickjacke und Krawatte (Cornelius Obonya), reingewaschen. Er spricht sein (während des jeweiligen Monologes unsichtbares) Gegenüber in der Du-Form an, vertraulich, kumpelhaft. "Klug ist, der sich nicht verausgabt für solche Banalitäten", sagt er und meint all das sadistische Geschehen in totalitären Regimen und während kriegerischer Auseinandersetzungen.
Erniedrigung sei das Wichtigste, gibt der Täter in beiläufigem Ton zu. Und wenn der Täter nicht mit geschändet hat, dann nur, weil er sich "nicht unrein machen" wollte. Bestenfalls rücken die beiden von den "Schlächtern und Perversen" in den eigenen Reihen ab.
Zynismus ist die Grundmelodie der Bekenntnisse, die keine sind, sondern zusammengezimmerte Täter-Opfer-Umkehrung. Die besten eigenen Jahre geopfert zu haben, scheint vordringlicher zu sein als sich mit dem zigfachen Leid derer auseinanderzusetzen, die von eigener Hand geschändet, gedemütigt und gefoltert wurden.
"Du lebst im Recht", beruhigt der zweite Sprecher. Das Grauen wird in reine, saubere Ideenwelten wegabstrahiert. Es sind starke Bilder, die trotz filmisch äußerster Reduktion, oder vielleicht gerade deshalb, trotz starrer Kamera und emotionsloser Rezitation im Plauderton entstehen. "De Facto" ist de facto kein Film für Blockbuster- und Serienfans. Man sollte vorher wissen, worauf man sich einlässt.
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