"Dear Beautiful Beloved": Der Kriegsalltag im Hinterland der Ukraine

Film fängt den Ukraine-Krieg aus anderer Perspektive ein
Von alten Menschen, Frauen und ihren Kindern sowie von jungen Männern handelt der Film "Dear Beautiful Beloved" des ukrainischen Regisseurs Juri Rechinsky. Die gebrechlichen Alten werden in einem mühevollen Prozess evakuiert und in Notunterkünfte gebracht. Frauen und Kinder verlassen mit Sonderzügen ihr Land. Die Überreste toter Soldaten werden an der Front eingesammelt, in Leichensäcke verpackt und zur Beerdigung in ihr Heimatdorf geschickt.

Der im Hinterland der ukrainischen Front gedrehte österreichische Dokumentarfilm, der in Locarno Weltpremiere feierte, erzählt drei sich langsam entwickelnde Erzählstränge, die im deutlichen Kontrast zu Hektik, Panik und Vehemenz der eigentlichen Kriegshandlungen stehen. Sirenengeheul und Kanonendonner sind nur gelegentliche Hintergrundgeräusche für Maßnahmen, die allesamt in Ruhe und großer Ordnung ablaufen und einen Kriegsalltag zeigen, der Routine geworden zu sein scheint.

Der 1986 in Turkmenistan geborene Regisseur, Cutter und Autor Rechinsky wuchs in Kiew auf und lebt seit 2013 in Wien. Hier entstanden der Spielfilm "Ugly" (2017) sowie die Dokumentarfilme "Sickfuckpeople" (2013) und "Signs of War" (2022), der mit dem Wiener Filmpreis ausgezeichnet wurde. Der Fotograf und Co-Autor Pierre Crom war 2014 im ukrainisch-russischen Grenzgebiet und hielt den Aufmarsch auf beiden Seiten in Bildern fest, die das Geschehen gleichzeitig dokumentieren und kommentieren.

Ein Blick hinter die Front

Für "Dear Beautiful Beloved" folgt Rechinsky mit seinen Kameraleuten Serhiy Stetsenko und Serafin Spitzer Freiwilligen, die alte Menschen aus gefährdeten Kriegszonen abholen. Mit Kleinbussen und Zügen werden sie in provisorische Quartiere gebracht. Es sind Menschen am Ende ihres Lebens, am Rande ihrer Kräfte und an der Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit: So schwierig der physische Teil des Transports ist, so emotional gestaltet sich der Versuch, ihnen klar zu machen, was genau mit ihnen passiert, und dass sie sich trotz aller erlittenen Schrecken keine Sorge machen sollen.

Auch die jungen Frauen, die an einem Bahnhof auf das Eintreffen eines Sonderzugs nach Budapest warten, können jede Art von Hilfe und Information brauchen. Dass sie all ihre verbliebene Energie zusammennehmen müssen, um ihre kleinen Kinder zu tragen, zu beruhigen und zu beschäftigen, steht ihnen ins Gesicht geschrieben.

Forensische Teams bei der Arbeit

Besondere mentale Stärke erfordert auch die Arbeit der forensischen Teams, die sehr diskret dabei gefilmt werden, wie sie Knochen und andere Überreste von Soldaten aus zerbombten Häusern und zerschossenen Panzern einsammeln und in Leichensäcken verstauen. Langwierig und mühsam gestaltet sich die Identifizierung der sterblichen Überreste, die dann per Lieferwagen ausgeliefert und ihren Familien zur Bestattung übergeben werden.

Es sind bedrückende Bilder, die auf verschiedenste Weise zeigen, was dieser Krieg anrichtet. Wer gegen wen und warum kämpft, ist in dem Film kein Thema und wird auch von den traumatisierten Menschen nicht angesprochen. Es geht nicht um Politik, nicht um eine Nation, sondern ums Überleben, ums Funktionieren, um die Möglichkeit, sich einen Weg aus der verzweifelten Situation des Augenblicks zu bahnen. Es sind kleine Gesten des Zusammenstehens, die der großen Vernichtungs- und Zerstörungsmaschinerie etwas entgegensetzen.

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