Filmfestival San Sebastian fiebert Muschelvergabe entgegen
Allen voran ist der in Deutschland geborene österreich-schweizerische Regisseur Edward Berger zu nennen, der in San Sebastian nach seinem Oscar-Erfolg "Im Westen nichts Neues" den hoch spannenden Vatikan-Thriller "Konklave" präsentierte. Schon der gleichnamige Bestsellerroman von "Vaterland"-Autor Robert Harris, auf dem Bergers Film basiert, sorgte 2016 für große Aufmerksamkeit.
"Konklave" handelt von der Wahl eines neuen Papstes. Als sich die Türen zur Sixtinischen Kapelle zum Konklave schließen, beginnt zwischen den aus aller Welt angereisten Kardinälen ein bitterer Machtkampf. Die konkurrierenden Favoriten spiegeln die unterschiedlichen Positionen in der gegenwärtigen Kirchenpolitik wider, aber auch globale Machtinteressen innerhalb der Weltkirche. Während Millionen von Menschen darauf warten, dass weißer Rauch dem Schornstein der Kapelle entsteigt, versucht Kardinal Lawrence (Ralph Fiennes) die Intrigen und möglichen Gefahren für die Kirche aufzudecken, kommt dabei aber einem Geheimnis auf die Spur, das die Grundfeste seines Glaubens und der Kirche selber erschüttern könnte. Berger gelingt ein eindrücklicher Blick in den Mikrokosmos der kirchlichen Macht, bei dem Ralph Fiennes durchaus Anwärter auf die Silberne Muschel für die beste schauspielerische Leistung ist.
Auch die bekannte spanische Filmemacherin Icíar Bollaín konnte Publikum wie Filmkritiker mit ihrem spannenden, hochemotionalen Drama "I am Nevenka" überzeugen, welches die Geschichte der Stadträtin Nevenka Fernández erzählt, die im Jahr 2000 als erste Frau in Spanien einen Politiker erfolgreich wegen sexueller Belästigung verklagte. Hauptdarstellerin Mireia Oriol ist mit Sicherheit bei der Jury auch im engeren Kreis für die Silberne Muschel für die beste Schauspielleistung.
Hier dürfte aber auch Pamela Anderson ein Wort mitreden. Die "Baywatch"-Ikone aus den 1990er-Jahren spielt in Gia Coppolas Film "The Last Showgirl", der ebenfalls chancenreich im Muschel-Rennen zu sein scheint, beeindruckend die in die Jahre gekommene Las Vegas-Tänzerin Shelley, die sich nach dem Ende ihres langjährigen Bühnenspektakels neu erfinden muss und mit Angst in die Zukunft schaut.
Als eine der Favoritinnen für den Preis der besten Schauspielleistung gilt allerdings auch die Portugiesin Joana Santos aus dem beeindruckenden Sozialdrama "On Falling" von Laura Carreira, das ebenfalls von den Filmkritikern als ernst zu nehmender Anwärter auf die Goldene Muschel gehandelt wird. Santos spielt die portugiesische Auswanderin Aurora, die im schottischen Edinburgh als Lageristin in einem Verteilzentrum eines Online-Giganten arbeitet. Gefangen zwischen dem monotonen Alltag im anonymen Lager und der Einsamkeit in ihrer WG-Wohnung, droht sie in der Isolation zu verkümmern und sich von sich selbst zu entfremden. Einfühlsam und bewegend erzählt der Film von der Vereinsamung der Menschen in einer digitalen, von Algorithmen beherrschten Welt, in der menschliche Kontakte zu wahren immer schwieriger wird.
Aber niemand sollte den mittlerweile 91-jährigen griechisch-französischen Altmeister Costa-Gavras im Rennen um die Goldene Muschel unterschätzen. In seinem Sterbedrama "Last Breath" nimmt ein Palliativarzt den selber von einem Krebs befallenen Philosophen Fabrice Toussaint an die Hand, der ein Buch über das begleitete Sterben schreiben möchte. In dem dialogreichen Film dominiert ein ruhiger, nachdenklicher Tonfall, während die Figuren über das Leben und den Tod sprechen. Wann ist der richtige Zeitpunkt, um loszulassen? Wie lassen sich Selbstbestimmung und Würde garantieren? Antworten will der Film nicht geben. Er endet aber mit der Erkenntnis, dass es auch ein möglichst angstfreies Leben mit einer Krankheit geben kann.
Sollten das Festival und die Jury aber mutig sein, könnte auch der diesjährige "Skandalfilm" "Tardes de Soledad" gewinnen. Der Dokumentarfilm des spanischen Regisseurs Albert Serra handelt von der Angst des Stierkämpfers vor dem Tod. Weder romantisiert der intensive, großartig gefilmte Dokumentarstreifen den Stierkampf, noch spricht er sich klar dagegen oder dafür aus. Klar sind jedoch zwei Dinge: Niemals zuvor hat man in dieser Art einen Blick in die Welt des Stierkampfs bekommen. Und aufgrund der teils brutalen Bilder ist der Film nichts für diejenigen, die kein Blut und Gewalt sehen können. Ein Film der aufwühlt, erschüttert und gleichzeitig fasziniert.
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