"Love Lies Bleeding": Sex, Blut und Steroide
Kristen Stewart geht gerne an ihre Grenzen: von der Provokation ihres jüngsten Rolling Stones-Covers bis zu ihrer Interpretation von Prinzessin Diana in "Spencer" und ihrer lesbischen Weihnachtskomödie "Happiest Season". In der ersten Szene von "Love Lies Bleeding" steckt die amerikanische Schauspielerin bis zu den Ellbogen tief in einem verstopften Klo. Sie spielt die stets zornige Lou, die in einem abgefuckten Fitnessstudio in einer schäbigen Ecke von New Mexiko arbeitet. Testosteron liegt in der Luft. Die Wände sind mit machohaften Mottos wie "Schmerz ist Schwäche" beschmiert, und fast jeder, der bei der Tür hereinkommt, ist ein testosteron- oder steroidgesteuerter, frauenfeindlicher Hinterwäldler. Wir befinden uns in den 1980ern, also tragen fast alle Vokuhilas, einschließlich Lou. Ihr Vater (wunderbar schmierig Ed Harris) ist ein unterdrückerischer Waffenschmuggler mit einer Shooting Range. Obendrein ist Lous Schwester (Jena Malone) mit einem aggressiven Widerling (Dave Franco) verheiratet. Da spaziert rechtzeitig die muskelbepackte Bodybuilderin Jackie (eine sensationelle Katy M. O'Brian) in ihr Studio. Ein ganz neuer Typus von Frau zeigt sich hier: selbstbewusst, stark und schön. Lou ist natürlich sofort verknallt, und die Funken zwischen den beiden werden heiß genug lodern, um die Kinoleinwand zu versengen.
All dies bereitet die Bühne für einen magisch realistischen Erotikthriller der Sonderklasse, wunderbar orchestriert von der britischen Regisseurin und Drehbuchautorin Rose Glass, die mit ihrem zweiten Film auf den Spuren von Ridley Scotts "Thelma & Louise" und David Cronenbergs schwarzhumorigem Body-Horror wandelt. Körperflüssigkeiten fließen. Fäuste zerschlagen ganze Unterkiefer. Jackie hat Momente, in denen sie auf surreale Weise wie ein wutentbrannter She-Hulk Muskeln aufbaut, und die ehemalige Bodybuilderin und Kampfsportlerin Katy O'Brian ("Ant-Man and the Wasp: Quantumania") hat mehr Charisma als jeder CGI-Superheld. Wie schon Susan Sarandon und Geena Davis im Jahr 1991 vor ihnen, steuern Lou und Jackie kompromisslos ihrer Freiheit entgegen, um sich von der Männerwelt zu emanzipieren.
Ansonsten hat "Love Lies Bleeding" einen beeindruckenden technischen Stil. Kameramann Ben Fordesman ("Saint Maud") hat ihn wie einen Neo-Noir mit Anleihen an Filme wie David Lynchs "Lost Highway" gedreht. Die eine Hälfte ist voll von unheimlichen Bildern leerer Straßen und einsamen Scheinwerfern, Schießereien bei Sonnenuntergang und in Rot getauchten Rückblenden. Die andere Hälfte ist in prickelndes Neonlicht getaucht, das unser Liebespaar beleuchtet. Lou streichelt fasziniert die Bizepsadern ihrer Freundin. Sie steckt ihren Finger zwischen ihre Beine und leckt einen Schoko-Eiweißshake von ihren Brustmuskeln. Glass hat ein echtes Gespür dafür, den zwanghaften, manchmal heißen Rausch der Liebe einzufangen, während die explosive Elektro-Musik von Clint Mansell ("Requiem for a Dream") dahinbrettert.
Der Titel könnte sich durchaus auf eine der Leichen im Film beziehen. Er könnte jedoch auch existenzieller gelesen werden: Körper bluten, sterben, lieben. Denn obwohl schmutzig, verschwitzt und brutal, ist dies trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, immer noch eine berauschende Geschichte über den Wahnsinn, den wir Liebe nennen.
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