"Memoir of a Snail": Der Rückzug ins Schneckenhaus

Es verwundert nicht, dass sich die junge Grace gern in ihr selbst geschaffenes Schneckenhaus zurückzieht. Mit einer Lippenspalte auf die Welt gekommen, wird sie von ihren Mitschülern tagtäglich gehänselt. Die Welt da draußen, sie scheint nur Ablehnung bereitzuhalten, wie auch der frühe Tod ihrer Mutter untermauert. Einzig Brüderchen Gilbert steht für sie ein, legt sich mit den Fieslingen an und kassiert selbst ein blaues Auge. Der Vater verliert sich währenddessen trotz manch heller Momente in alkoholgetränkter Trauer, um seiner Gemahlin bald zu folgen.
Sehnsucht nach Geborgenheit
Die rosarote Brille sucht man vergeblich, wenn "Mary and Max"-Schöpfer Elliot zu seinen Knetfiguren greift. Wie bei seinem großen Erfolg um ein kleines Mädchen und ihren mürrischen, älteren Brieffreund, gilt auch in dieser Schneckenwelt: Es kommt immer schlimmer, als man denkt. Die knuffigen Stop-Motion-Charaktere Grace und Gilbert werden folglich durch das Jugendamt voneinander getrennt und wachsen in neuen, wenngleich nicht unbedingt warmherzigen Familien auf. Die Sehnsucht nacheinander, nach Sicherheit und Geborgenheit scheint nicht erfüllbar.
Am Totenbett ihrer Freundin Pinky - eine ebenso faltige wie liebenswert-schrullige Dame, die sich als ihre Retterin entpuppen soll - wagt Grace schließlich den großen Rückblick, anhand dessen Elliot seine Erzählung aufrollt. Ein ums andere Mal lässt der Filmemacher seinen schwarzen Humor durchblitzen und fährt eine ganze Parade an schrägen Figuren auf, die ins Leben seiner Protagonisten treten, um meist kurze Zeit später das Zeitliche zu segnen. Immer wieder scheint sich für Grace dabei ein Silberstreif am Horizont abzuzeichnen. Doch die Realität schaut für die Schnecken in allen Formen und Größen sammelnde junge Frau stets ein wenig anders, ein wenig monochromer aus.
Wechselbad der Gefühle
Somit ist es nicht die fleckenfrei polierte Welt eines Disney-Universums, die sich in "Memoir of a Snail" auftut. Elliot hat mit seinen Designern und Animatoren ein düster-realistisches Australien geschaffen, in dem man sein eigenes Glück erzwingen muss. Und trotzdem: Immer wieder gibt es Menschen und Momente, die es gut meinen mit Grace und Gilbert. Ein stabiles Gemüt kommt dennoch nicht ganz ungelegen, wenn man sich diesem Wechselbad der Gefühle hingibt. Eins ist aber sicher: Der Blick ins Schneckenhaus lohnt sich ebenso wie jener nach draußen.
(S E R V I C E - www.polyfilm.at/film/memoir-of-a-snail)
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