"Mond": Kurdwin Ayubs Käfige des Ostens und Westens
Sarah - gespielt von der als Choreografin vielfach ausgezeichneten Florentina Holzinger - ist es schon einmal besser gegangen. Ihr Blut ziert den MMA-Käfig, in dem sie von ihrer Gegnerin gehörig Prügel einsteckt. Dabei war sie nicht immer Punchingball, wie zahlreiche Pokale beweisen. Mit ihrer aktiven Kampfsportkarriere ist es nach dieser Niederlage jedoch vorbei. Stattdessen schlägt sie sich als Trainerin durch den Alltag und bekommt es mit Jugendlichen zu tun, die sehr auf ihren "safe space" bedacht sind. So ein behandschuhter Klaps auf den Kopf zu Trainingszwecken kann schließlich ganz schön verstören - und die Frisur ruiniert er obendrein. Gar nicht instagrammable.
Als Sarah ein gut bezahltes Jobangebot aus Jordanien bekommt, wittert sie Morgenluft. Sie soll drei junge Frauen einer schwerreichen Familie für mehrere Monate trainieren. Dort angekommen, trifft sie auf riesige Luster und Sofas, böse schauende Bodyguards - und viel Geheimniskrämerei. Weder weiß sie, wo sich das Haus genau befindet, noch darf sie Fotos machen oder das Obergeschoß betreten. Und die jungen Frauen erweisen sich als nicht so MMA-begeistert wie von Sarah angenommen. Spätestens als Hilferufe aus einem abgesperrten Raum ertönen, fragt sie sich: Warum ist sie hier, und wieso sind die "Girls" so "weird"?
Ayubs bereits bei den Filmfestspielen in Locarno mit dem Großen Jurypreis ausgezeichneter Film entpuppt sich im Laufe seiner eineinhalb Stunden als spannender Thriller mit einer Portion Drama im Gepäck. Die Intensität steigert sich stetig, "Mond" streift die ihm zugrundliegende Ruhe aber nie gänzlich ab. Garniert ist der filmische Leckerbissen mit Horror- und Actionfährten, die mit Erwartungen spielen.
Ayub fühlt sich mehr der komplexen, häufig ernüchternden Realität als der (Hollywood-)Fiktion voller klarer Antworten und auf Hochglanz polierter Bilder verpflichtet. Der hübsche Bilderfluss wird in "Mond", wie schon in ihrem ebenfalls mehrfach prämierten Erstling "Sonne", immer wieder von grobkörnigen Handy- und Videocallaufnahmen unterbrochen. Die Dialoge sind ungeschliffen authentisch, die Erzählung bleibt bodenständig und entlässt das Publikum mit Fragen, auf die es keine leichten Antworten gibt. Die eine oder andere Parallele zu den Filmen von Ulrich Seidl, der "Mond" als Produzent begleitete, ist kaum zu übersehen.
Vor der Kamera erweist sich Holzinger als Topbesetzung. Die Wienerin wandelt in ihrem Spielfilmdebüt spielerisch leicht von einer Szene zur nächsten. Keine Sekunde verstreicht, in der man ihr die nach außen stoische bis harte, aber innerlich mit sich ringende, desillusionierte Ex-MMA-Kämpferin nicht abnimmt. Und auch wenn Holzinger "Mond" mit ihrer Performance kräftig stützt, hat der Streifen weit mehr als dieses eine Standbein. Es ist ein Film über Freiheit und Käfige, über (Ohn-)Macht, (geplatzte) Träume und bröckelnde Fassaden.
Ayubs Spielfilmdebüt "Sonne" war dreckig, roh, schnell und stimmig. Letzteres trifft definitiv auch auf "Mond" zu. Tempo und Dreck werden aber zugunsten von Spannung und emotionaler Tiefe etwas zurückgeschraubt. Es bleibt großes Kino mit kräftigem Nachhall. Nach "Sonne" und "Mond" kann man die Sterne jetzt kaum noch erwarten.
(Von Lukas Wodicka/APA)
(S E R V I C E - "Mond" am 24. Oktober um 18.15 Uhr im Gartenbaukino und am 26. Oktober im Stadtkino. www.viennale.at/de/film/mond ; https://stadtkinowien.at/verleih/mond/)
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