"Pfau"-Weltpremiere in Venedig: Einen Freund mieten
Es gibt mehrere Gründe, weshalb der erste Spielfilm von Bernhard Wenger im Gedächtnis bleiben könnte. Einer ist die aufregend satirische Stimme, die der in Wien lebende Regisseur schon in seinem mehrfach ausgezeichneten Kurzfilm "Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin" (2018) hat anklingen lassen. In seinem Langfilmdebüt "Pfau - Bin ich echt?" macht der 1992 in Salzburg geborene Künstler seine Absichten von der ersten Szene an klar: Ein Golfcaddy brennt lichterloh - eine nicht gerade subtile Metapher für eine in Flammen stehende Hautevolee, aber visuell extrem bestechend.
Ein anderer Grund ist der großartige Albrecht Schuch ("Im Westen nichts Neues"). Mit der Besetzung des deutschen Schauspielers ist Wenger natürlich ein Coup gelungen. In einer Szene sitzt Schuchs Figur Matthias bei einem Gala-Dinner, nackt und mit braungrünem Schlamm beschmiert, schlürft Austern und sorgt zusehends für nackten Terror unter den noblen Geladenen. Der Gastgeber, der seinen Sechziger feiert, hat ihn angeheuert, um seinen Sohn zu spielen, weil der echte nicht mehr mit dem Vater spricht. Aber an diesem Punkt steht Matthias schon kurz vor einem Nervenzusammenbruch. "Das ist eine Performance!", schreit ein Gast. "Das ist große Kunst!"
Ein geschultes Kinopublikum wird sich vielleicht an die legendäre Szene in Ruben Östlunds satirischem 2017er Drama "The Square" erinnert fühlen, in der ein bulliger Terry Notary mit nacktem Oberkörper und mit animalischer Wut einen Raum voller steifer Kunstmäzene durcheinanderbringt. Mit seiner preisgekrönten Satire hielt der schwedische Regisseur der Kunstwelt den Spiegel vor. Bernhard Wengers Stimme ist eine eigene, aber auch er nimmt sich hier ähnliche satirische Ziele vor: Kapitalismus, moderne Kunst und die heile Schneekugel-Welt von Social Media.
"Pfau" wirkt wie eine Reihe handwerklich tadellos inszenierter Sketche (großes Kompliment an die Szenenbildnerin Katharina Haring). Oder, um näher an Wengers Thema zu bleiben, wie eine Ansammlung von Performances. Albrecht Schuchs Figur ist der Top-Performer einer Agentur, die Begleiter für jeden Anlass vermittelt. Souverän nimmt er täglich eine neue Identität an und mimt köstlich den gebildeten Partner beim Avantgarde-Konzert im Wiener Palmenhaus oder den idealen Papa in der Schule. Eine ältere Dame (die wunderbare Maria Hofstätter) möchte lernen, mit ihrem Mann zu streiten - kein Problem für Matthias. Es gibt keine soziale Kompetenz, die er nicht hat, und kein Image, das er nicht gegen ein Honorar aufpeppen kann.
Allerdings scheint er am Ende des Tages nicht mehr zu wissen, wer er selbst ist. Albrecht Schuch zeigt uns einen charmanten Kerl, der wie ein Liebesroboter durch die Welt spaziert und selbst seine Freundin (Julia Franz Richter) wie eine Klientin behandelt. In seinem stylishen Designerhaus weht mehr als nur ein Hauch von dystopischer Kälte. Allerdings ist dieses Szenario keine Dystopie. Wenger hat sich von der Realität inspirieren lassen, in der es solche Agenturen bereits gibt.
Wo hört die Echtheit auf und wo beginnt die Künstlichkeit? Kann irgendein menschliches Gefühl überhaupt als "natürlich" gelten? Der österreichische Filmemacher hat sich richtig dafür entschieden, nicht alle Fragen auch beantworten zu wollen.
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