APA - Austria Presse Agentur

"Wald": Eine Rückkehr zu alten Wunden und neuer Ruhe

Als Marian beim Haus ihrer Kindheit ankommt, gibt es zunächst kein Eindringen. Das Tor ist versperrt. Mit Rollkoffer ist sie in die Provinz aufgebrochen, um Abstand zu gewinnen. Wovon, das erschließt sich in Elisabeth Scharangs Drama "Wald" erst. Lose angelehnt an Doris Knechts Roman, geht es um Angst, Verdrängung und Identität, aber auch Zuneigung und Versöhnung. Nach der Weltpremiere beim TIFF-Festival von Toronto kommt der Film am Freitag in die heimischen Kinos.

Brigitte Hobmeier schlüpft in die Rolle der Hauptfigur, die als erfolgreiche Journalistin ihre nur oberflächlich idyllisch anmutende Herkunft längst hinter sich gelassen hat. Als sie eines Tages ein traumatisches Ereignis aus der Bahn wirft, kehrt sie zurück ins Haus ihrer Großeltern, wo sie selbst mit ihrer früh verstorbenen Mutter aufgewachsen ist. Kein Strom, kein Komfort, nur das Holz aus dem nahen Wald und ein paar wenige Lebensmittel reichen ihr vorerst, um alleine zu sein. Denn darum scheint es Marian zu gehen: Isolation, Stille, Leere.

Auf die ihr von der mehrheitlich abweisend reagierenden Dorfbevölkerung immer wieder gestellte Frage, was sie hier mache, erwidert Marian nur stoische Blicke. Stattdessen läuft sie lieber ihre Runden im Wald, entlädt ihre Emotionen in markerschütternden Schreien oder findet Ruhe bei einem Bad im See. Über einen Besuch ihres Mannes Georg (Bogdan Dumitrache) freut sie sich zwar, aber zurückkehren in ihr altes Leben? Nein, das ist nicht möglich. Zunächst steht die Konfrontation mit einem noch älteren Leben auf der Tagesordnung. Mit einem Alltag, in dem offenbar andere Gesetze herrschen, wie ihr Jugendfreund Franz (Johannes Krisch) sie ziemlich wirsch erinnert. "Du passt dich an!" Eine Anweisung wie ein Urteilsspruch.

Scharang, die auch das Drehbuch zu "Wald" geschrieben hat, findet für die emotionale Zerrüttung ihrer Hauptfigur viele schöne wie beklemmende Einstellungen (Kamera: Jörg Widmer), die eine Dichotomie offenbaren. Einerseits ist da der Friede, den Marian in Wald, Wiesen und dem alten, eigentlich abbruchreifen Bauernhof findet. Die herbstliche und schließlich winterliche Stimmung der Landschaft verrät viel über diese Frau, die zurückgekehrt ist, aber auch über jene, die geblieben sind. Und dann schlägt die Idylle schon mal in Härte um - was aber nicht nur Marian, sondern umgekehrt auch die engstirnigen Leute vor Ort merken müssen.

Ganz zentral ist schließlich die mit einigen Mühen wieder aufflackernde Freundschaft zu Gerti (Gerti Drassl), die am Nachbarhof ihre gebrechlichen Eltern pflegt. So eng die beiden als Jugendliche waren, so groß scheint mittlerweile die Kluft zwischen ihnen. Doch erst gemeinsam können die beiden Frauen ihre Wunden, neue wie alte, erkennen und behandeln. Was wurde nur aus den Plänen, aus dem Wunsch nach einem besseren Leben, den großen Reisevorhaben? Im Unterschied zu Franz und Gerti konnte Marian diese in ihrem Beruf zwar einlösen. Vor dem seelischen Absturz hat sie das allerdings nicht bewahrt.

Wer mit Doris Knechts Roman im Kopf in den Kinosaal geht, wird entweder enttäuscht oder irritiert sein. Dieser "Wald" hat mit dem Buch nur die grobe Ausgangslage gemein, bietet seinen (deutlich anders gezeichneten) Figuren stattdessen gänzlich andere Absprungszenarien, um die Suche zu sich selbst anzugehen. Elisabeth Scharang ist auch dank ihrer großartigen Hauptdarstellerinnen Hobmeier und Drassl ein ungemein intensiver Film über ewiggültige Fragen gelungen. Wie gehen wir mit der Vergangenheit um? Wie definieren wir unser Selbst? Und was bedeutet für uns Glück? Die Antworten darauf muss jeder für sich selbst finden. Vielleicht im Eindruck des Blätterrauschens im Wald...