Homosexuelle Menschen mit besonderen Bedürfnissen

Christian Sterk auf Unsplash

Ich bin schwul und behindert – und damit ein personifiziertes Tabu

Homosexuelle Menschen mit besonderen Bedürfnissen werden immer noch unsichtbar gemacht – und doppelt diskriminiert, auch innerhalb der LGBTIQ-Szene.
Manuel Simbürger Manuel Simbürger

k.at-Meinung: Wir wagen es heute. Das beinahe Unvorstellbare.

Denn über Homosexualität wird viel und gerne gesprochen – das ist gut, richtig und wichtig. Über Menschen mit besonderen Bedürfnissen wird schon weniger gesprochen, aber immerhin noch ein bisschen. Aber über homosexuelle Menschen mit besonderen Bedürfnissen? Das ist ein Doppel-Tabu, den sich nur die wenigsten Medien (und sonstige Menschen in der ach so aufgeklärten Gesellschaft) annähern trauen.

Ich bin schwul und behindert. Und deshalb ein personifiziertes Doppel-Tabu auf zwei Beinen.

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Doppelt gemoppelt

Im frühen Kindesalter hat ein Arzt bei mir eine sehr seltene rheumatische Muskelerkrankung festgestellt. Im Teenager-Alter hab ich selbst, ganz ohne Arzt, Homosexualität bei mir festgestellt. Das war erstmal ein Schock, nicht, weil ich Schwul-Sein für verwerflich halte – das habe ich nie und werde ich nie. Aber weil ich wusste: Ich werde ein Doppel-Leben führen – aber anders, als ihr an dieser Stelle vielleicht denkt:

Ich werde auf ewig ein doppelt so hohes Risiko aufweisen, diskriminiert zu werden. Ich werde doppelt ein Außenseiter bleiben, doppelt "anders sein", nie wirklich zu 100 Prozent wo dazugehören. Und ich werde mich ewig doppelt outen müssen (oh, wie ich dieses Wort hasse! Denn "outet" man sich nicht nur, wenn man ein schlimmes Geheimnis hat?! Aber das ist anderes Thema ...).

Anders gesagt: Ich gehöre gleich zwei Minderheiten an. Doppelt gemoppelt.

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Ein Leben geprägt von Outings

Die queere Theoretikerin Eve K. Sedgwick hat die These des Coming-Outs bei Heterosexuellen ins Leben gerufen. Das betrifft zum Beispiel mehrgewichtige Menschen oder Menschen mit einem Sprachfehler. Menschen, die auf irgendeine Weise nicht der Norm entsprechen. Als behinderter Schwuler (oder schwuler Behinderter?) ist das Leben nur so geprägt von Coming Outs: bei Heten outet man sich als schwul (und behindert), bei Homos als … nun ja, behindert eben. In letzterem Fall bist du innerhalb einer Minderheit eine gesonderte Minderheit. Das kann mitunter sehr anstrengend sein. Vor allem aber unsichtbar machen.

Weil man dem Anders-Sein nie entkommt. In jeder Welt der Außenseiter ist. Du überall starrende Blicke einfängst. Stets übergriffige Fragen beantworten und dich mit ebensolchen Statements auseinandersetzen musst. Und du überall – Stichwort: "Doppel-Leben" – zweimal mehr als der Durchschnitt beweisen möchtest, dass du etwas draufhast. Du musst dich selbst doppelt beweisen –  weil du gleich doppelt aus der heteronormativen Matrix rausfällst.

Für die meisten Menschen ist es eine Beleidigung, zu hören, sie seien "so wie alle anderen" und sie würden sich nicht von der Masse unterscheiden. Ich wollte nie etwas anderes.

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Gays, bitte seid toleranter!

Dass in der "schwulen Welt", das ist kein Geheimnis, ein ausgeprägter Körperkult herrscht, hilft dabei nicht wirklich. Mitunter wird man hier ja bereits ausgesondert, wenn man eine Brille trägt. Oder Glatze hat. Übrigens: Auf mich trifft beides zu. Get the picture?! (Von meiner Situation in der Gay Szene, nicht von mir. Aber das vielleicht ja auch). Deshalb, ganz ehrlich: Mehr Toleranz in der Gay Szene wäre bitter nötig.

Als Single sind Datingportale natürlich Teil meines Alltags – und des Teufelskreises, denn Akzeptanz, nach der schließlich jede/r von uns sucht, sollte man sich hier in großem Ausmaße nicht erwarten. Und ich weiß, was ihr jetzt alle denkt: Hat der Typ, das arme Hascherl, überhaupt Sex? Haben behinderte Menschen überhaupt sexuelle Bedürfnisse?

Newsflash: Ja, haben wir. Und ja, ich habe Sexdates. Sicherlich weniger als andere schwule Männer, vielleicht mehr als manche Hetero-Singles. Jedes Date mutet für mich aber wie eine Mutprobe an. Denn im Augenblick der Wahrheit sind die Blicke auf meine dürren Armen und die zahlreichen Narben auf meinem Körper unausweichlich. Manchmal schwingt Enttäuschung mit, beim Anderen. Bei mir immer. Was Sex nicht gerade einfacher macht.

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"Du wärst ja eigentlich ganz geil, wenn du deine Krankheit nicht hättest"

Und eine Beziehung sowieso nicht. Frei heraus: Mit 37 Jahren hatte ich noch nie eine ernsthafte Beziehung. Politische Korrektheit hat eben oftmals nichts mit dem Herz zu tun. Ich bin überzeugt davon, dass mein Ewig-Single-Dasein hauptsächlich auf meine Behinderung zurückzuführen ist. Davon zeugen Kommentare, die mir bereist entgegen geschleudert wurden, weil man möchte "ja nur ehrlich" sein. Ein Beispiel? "Du wärst ja eigentlich ganz geil, wenn du deine Krankheit nicht hättest." Danke, Francesco, ich hab dich auch lieb.

Vielleicht wollen schwule Männer keinen Partner mit besonderen Bedürfnissen, weil sich das Doppelt-Anders-Sein dann auch auf sie selbst überträgt. Weil die Blicke, die alltäglichen Herausforderungen dann noch größer werden. Vielleicht aber kann man manchmal auch mit der eigenen Erkrankung sogar schlechter umgehen als das Gegenüber und überträgt seine Sicht auf den Anderen (ja, Psychotherapie bringt doch etwas!). Vielleicht blockt man absichtlich ab, baut Mauern auf, weil man die Wahrheit gar nicht so genau wissen will – und bemerkt dann gar nicht, wenn das Glück tatsächlich am Herz (oder am Penis) anklopft.

Vielleicht ist es von überall ein bisserl was.

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Ich möchte kein Doppel-Tabu mehr sein

Ich möchte aber niemanden entmutigen (jedoch ehrlich sein). Mein Anders-Sein hat dazu geführt, dass ich hart gearbeitet habe, dass ich tolle Menschen in meinem Leben habe, dass ich meinen Traumberuf verwirklichen konnte und jetzt gerade diese Zeilen verfasse. 

Ich würde mir aber wünschen, dass wir die Koppelung "homosexuell und behindert" endlich tabuisieren. Serien und Filme gehen seit geraumer Zeit in die richtige Richtung, zeigen schwule Protagonisten mit besonderen Bedürfnissen, sorgen für Sichtbarkeit. Bitte weiter so, denn Sichtbarkeit kann Leben retten, zeigt Betroffenen, dass es Menschen da draußen sind, die "so sind wie ich".

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Aber es ist noch viel zu tun. Es darf kein betretenes Schweigen mehr herrschen, wenn das Thema angesprochen wird. Es muss auf Prides und allen voran in Medien präsenter sein, die Ausrede "Das betrifft ja nur sehr wenige Menschen!" war noch nie akzeptabel und sie wird es niemals sein.

Inklusion und die gerne angepriesene Toleranz muss endlich tatsächlich gelebt werden, auch innerhalb gesellschaftlicher Minderheiten (die eigentlich wissen sollten, wie sich Diskriminierung anfühlt). Spart euch euer Mitleid, aber habt Mitgefühl. Konzentriert euch auf Verbindendes anstatt Trennendes – und ihr werdet merken, dass wir alle eigentlich gleich sind.

Helft mit bei der Ent-Tabuisierung. Denn ich möchte nicht länger als Doppel-Tabu leben.

 

Der Terminus "behindert" ist hier absichtlich gewählt worden, um die persönliche Erfahrung des Autors zu betonen.


Hier findest du Hilfe

Wer Selbstmordgedanken hat oder an Depressionen leidet, sollte sich an vertraute Menschen wenden. Oft hilft bereits ein einzelnes Gespräch. Wer für weitere Hilfsangebote offen ist, kann sich rund um die Uhr kostenlos unter der Rufnummer 142 an die Telefonseelsorge wenden. Sie bietet schnelle erste Hilfe an und vermittelt ÄrztInnen, Beratungsstellen oder Kliniken.  www.suizid-praevention.gv.at
 

Wer unter (Cyber-)Mobbing leidet, sollte sich an vertraute Menschen wenden. Oft hilft bereits ein einzelnes Gespräch. Wer für weitere Hilfsangebote offen ist, kann sich rund um die Uhr kostenlos unter der Rufnummer 142 an die Telefonseelsorge wenden. Sie bietet schnelle erste Hilfe an und
 

Die  Psychiatrische Soforthilfe steht ebenfalls rund um die Uhr als Not- und Krisendienst unter der Rufnummer (01) 31330 zur Verfügung.

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