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Ich habe einen Pick Up Artist gedatet: Das habe ich dabei gelernt

Wie ist es, wenn man mit einem Dating-Coach ausgeht? Unsere Redakteurin plaudert aus dem Nähkästchen.

Dating-Coaches sind aus der Popkultur nicht wegzudenken: Spätestens seit Filmen wie "Hitch – Der Date-Doktor" oder dem MTV-Star Mystery, der im Fernsehen Verführungskunst lehrte, kennt man ihre Masche.

Mittlerweile weiß ich: Traue niemals einem Mann, der einen Fedora-Hut trägt. Als ich mich unverhofft auf einem Rendez-Vous mit einem Dating-Coach wiederfand, wurde mir so einiges über Verführungstaktik und Psychologie klar.

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Berufsbild Dating Coach?

Sogenannte Dating-Coaches oder Pick-Up-Artists existieren, um Männern dabei zu helfen, ihr "Game" mit Frauen zu verbessern. Unterscheiden kann man die beiden Berufsbilder aber schon: Pick-up-Artists, also "Verführungskünstler" setzen sich mit Anziehung, beziehungsweise gezielter Manipulation von Frauen auseinander, mit dem Ziel, diese ins Bett zu bekommen. Dating-Coaches bedienen sich einer ähnlichen Klaviatur, nur wird manch sozial scheuem Mann vielleicht tatsächlich dabei geholfen, eine Partnerin zu finden.

Radikalisierung von jungen Männern

Man denkt dabei, dank medialer Präsenz, schnell an die extremistische Anschauung von sogenannten "Incels", was wir euch hier erklärt haben. Dies ist ein Online-Phänomen, wobei sich Männer als involuntary celibates (unfreiwillige Zölibatäre) sehen und die gesamte sexuelle Entscheidungsgewalt den Frauen zuschreiben.

Laut dieser extremen Ansicht würden Frauen sich die Sexualpartner in heterosexuellen Beziehungen aussuchen und Männer wären machtlos. Aus diesem Gedankengut erwachsen laut "Terre de Femme" auch Gewaltgedanken. Immer wieder versuchen (vor allem amerikanische) Medien einen Zusammenhang zwischen der Incel-Community  und Amokläufen herzustellen. Was hier ins Extrem getrieben wird, ist jedoch bereits in Ansätzen sehr schädlich – wie wir auch persönlich herausgefunden haben. 

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Wie ist es also einen Dating Coach zu daten?

Es war einer dieser heißen Sommer 2014, in denen vieles möglich erscheint: Allein auf Urlaub zu fahren zum Beispiel, oder sich von einer FreundInnengruppe bei der U-Bahn ansprechen zu lassen und kurzerhand mit Fremden in einen Londoner Club zu gehen. Es war auch möglich, dass da ein netter Typ war, mit dem man sich gut unterhalten hat. Man kennt's: einer dieser Typen, die viele Fragen stellen. Vielleicht haben er und seine FreundInnen einen auch noch zum Nachtbus gebracht und auf Facebook geadded. Wahrscheinlich war dies gerade das Medium der Stunde. Damals.

So kam es, dass ich am nächsten Morgen auf mein Mobiltelefon blickte und eine ungeöffnete Nachricht im Facebook-Messenger vorfand. Da stand so etwas wie: "Ich möchte dich wiedersehen. Wann hast du Zeit?" Marcus (Name von der Redaktion geändert) war eloquent und recht gutaussehend. Dunkles Haar, ein leicht verwegener Blick und irgendwie fordernd. Die perfekte Mischung für Trouble also.

Ich geh auf ein Date

Das Date wurde für den nächsten Tag fixiert und ich ging schnurstracks zum nächsten Routinepunkt über: Recherche. Seinen französischen Nachnamen zu googlen fühlte sich leicht und gleichzeitig genüsslich an, spuckte es doch mehrere Tausend Treffer aus. Und da war er, verewigt in diesem Internet, und er nannte sich "Dating-Coach". Nicht nur die Berufsbezeichnung war speziell, auch seine Kolumne in der britischen Ausgabe der "GQ" ließ sich ansehen. Und natürlich tat ich das.

Ich las Marcus Ausführungen darüber, wie sexuelle Anziehung funktioniert, wie man das männliche Selbstbewusstsein stärkt und vor allem wie Frauen ticken würden. Außerdem: Ein Youtube-Channel mit hunderttausenden Klicks zu Videos wie: "Reasons why you don't have a girlfriend".

Irritiert und ja, interessiert, beendete ich diese informative Session und beschloss: Ich werde dieses Date nicht absagen. Ich werde es nutzen und prüfen, wie es ist, einen Dating-Coach zu daten.

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Date in Notting Hill

Bei Notting Hill, mir der popkulturellen Referenz sehr bewusst, wartete ich auf "Hitch". So nannte ich ihn fortan in meinen Gedanken. Und auf einmal war er da und er sah gut aus und ich war bereit: Ich wollte jeder seiner Handlungen analysieren. Meine Mission war possible.

Wir schlenderten durch pittoreske Straßen und sprachen über Vieles. Ich ertappte mich dabei, seine Erzählungen ein wenig zu interessant zu finden. Zurück ins richtige Mindset! Aber was mir an mir selbst auffiel: Ich liebte es, wie viele Fragen er stellte und wie interessiert er an meinen Ausführungen war. Meistens hatte ich das Wort. Und so war es mir auch recht.  

Später, bei über-crunchy, koreanischem, frittiertem Hühnchen lachten wir über britische Politik und er verbesserte mein Englisch. Auch sie waren omnipräsent: Komplimente, die eigentlich keine waren. So wie: "Ich liebe deinen Akzent, du klingst so rustikal." Verletzte dies mein Ego ein wenig? Natürlich! Stellte es ihn, mit britischer Aussprache, direkt auf ein Podest: Ja, schon. Was ich logisch einordnen konnte, triggerte dennoch tiefsitzende Minderwertigkeitsgefühle in mir. Der innere Kampf war real und ich atmete durch.

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Absacker zum Gähnen

Der nächste Programmpunkt: ein Absacker in einer von Notting Hills Bars, die in ihrer Gesamtheit wohl nur aus Spanplatten zusammengespaxt war. Trendy und "rustikal" wie ich bemerkte und Marcus einen tiefen Blick in seine Augen schenkte. Er lachte aus Gründen. Oft erwähnte er auch, dass er Frauen aus Großbritannien nicht gut finde, da sie eher oberflächlich seien. Im Vergleich natürlich zu mir, denn ich sei ja anders.

Mit dem Konzept von #notLikeOtherGirls war ich damals leider noch nicht vertraut und so zahlte er maximal auf meine eigene internalisierte Misogynie ein. Dabei werde laut "TV Tropes" ein weiblicher Archetyp geschaffen, der gut aussieht, aber auch typische "Männerinteressen" hat und sich wenig für die "langweiligen" Dinge interessiert, die Frauen normalerweise gut finden. Dass dadurch Frauen generell denunziert und nur eine "ausgewählte" Person auf ein Podest gestellt wird, schwingt unangenehm mit.

Bei Rotwein (classy) fragte er mich, wie das Leben in Österreich sei und ich begann mit meinen Erzählungen. Dabei lehnte er sich genüsslich in die roten Samtpolster zurück und gähnte ausgedehnt. Ich lehnte mich instinktiv vor und bemühte mich ein wenig mehr, ihn zu unterhalten. Langweilte ich ihn?

Zehn Sekunden später fiel es mir jedoch wie Schuppen von den Augen: ich kannte diesen Move bereits aus einem seiner Youtube-Videos. Ich wurde sauer, lachte es aber weg und lehnte mich ebenfalls instinktiv zurück. Wir setzten die Unterhaltung ohne weitere Zwischenfälle fort.

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Ein Kuss zum Schluss

Am Weg zurück zur U-Bahn musste ich bemerken, dass es trotz der Psychospiele doch ein netter Abend war. I couldn't help but wonder: Mochte ich ihn wirklich oder hatte er mich den gesamten Abend nur manipuliert? Abgesehen von den Tricks, die ich nur erkennen konnte, weil ich bereits vorbereitet in dieses Date ging?

Bei der Verabschiedung küsste er mich und ich ließ es auch zu. Ich bedankte mich und sagte: "Gute Nacht, es war sehr schön, dich kennenzulernen, Hitch!" Er geriet nur minimal aus der Fassung und bemerkte entgeistert: "Google?"

Was seitdem geschah

Wiedergesehen habe ich Marcus seitdem nie wieder, uns verbindet aber eine nette Social-Media-Freundschaft. Er fragt mich auch ab und zu nach meinem Befinden. Die Kolumne in der "GQ" gibt es mittlerweile nicht mehr und auch der Youtube-Kanal hat sich verändert. Der Dating-Coach hat nämlich umgesattelt und gibt mittlerweile Tipps, wie man ein erfolgreiches Unternehmen führt.

Die Mindset-Coachings bietet er aber noch immer an, nur ein wenig anders – weniger frauenfeindlich. Darauf gefragt, weshalb er seine Fedora an den Nagel gehängt hat, antwortete er nur: "Der Zeitgeist hat sich gewandelt." Ich ergänze dies gerne frei mit: Es ist schön, dass Manipulation von Frauen mittlerweile nicht mehr applaudiert wird.