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k meets Leonie-Rachel – Mein Leben mit Borderline

Leonie-Rachel ist Bloggerin und beschäftigt sich öffentlich mit ihrer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Wie dies ihren Alltag beeinflusst, hat sie uns erzählt.
Marc Weber

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Leonie-Rachel ist Bloggerin und schreibt über mentale Gesundheit. Sie selbst hat Borderline. 

k.at: Wie zeigt sich die Borderline-Persönlichkeitsstörung bei dir?

Leonie-Rachel: Es gibt neun Kriterien, davon müssen fünf zutreffen. Dazu gehört unter anderem Impulsivität. In meinem Fall hat sich das immer sehr stark gezeigt, wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen geht. Ich kann dann manchmal meine Gefühle einfach nicht regulieren.

Dann ist beispielsweise auch selbstzerstörerisches Verhalten charakteristisch. Dazu zählen Selbstverletzung oder Suizidversuche teilweise auch Suizid. Ich habe mich als Jugendliche selbst verletzt, aber das mache ich nicht mehr. Das kanalisiere ich anders.

Bei mir ist auch dieses innere Gefühl von Leere sehr stark. Ich kenne aber auch genau das Gegenteil, ich werde auch immer wieder sehr wütend. Das sind ein paar dieser Kriterien, die ich auch erfülle.

Was kann dieses Krankheitsbild auslösen?

Meistens wird es durch ein Trauma ausgelöst, das in der Kindheit passiert ist. Das ist bei mir auch der Fall gewesen.

Wie fühlt sich BPS an?

Also es ist ganz schwierig zu beschreiben, weil das so viele Gefühle sind. Ich kann innerhalb von Sekunden superglücklich sein und danach todunglücklich. Es ist dieses Hin und Her von allen Gefühlen, von Freude, Trauer, Wut. Genauso gibt es diese Leere, teilweise fühlt es sich dann so an, als würde es einem die Kehle zuschnüren.

Es ist so schwer, das zu beschreiben. Es ist wie bei Harry Potter, wenn die Dementoren kommen. Wenn du so richtig ausgesaugt wirst, du bist dann so leer. Und die nehmen dir jede Freude.

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Dein Hund Waldi hat dir geholfen?

Ich habe ihn seit vier Jahren. Ich war immer schon jemand, der sich um etwas oder jemanden kümmern wollte. Dass ich ihn bekommen habe, hat mir extrem geholfen, einen geregelten Alltag zu haben. Ich muss jeden Morgen raus, ich muss mich einfach mit ihm beschäftigen.

Das hat mir Halt und eine gewisse Struktur gegeben. Ich muss ehrlicherweise sagen, dass es gut tut, einfach jemanden da zu haben, wenn es einem schlecht geht. Es hilft, wenn du nicht komplett alleine bist. Manchmal habe ich Tage, an denen ich mein Bett nicht verlassen will oder kann. Aber ich muss halt für ihn. Allein dass ich mich dann bewegen muss, tut gut. Also ja, er ist mein kleines Tierchen, mein Krafttier.

Wie lässt sich dein Krankheitsbild mit deinem Job vereinbaren?

Früher hatte ich das Gefühl, dass es sich gar nicht vereinbaren lässt. Ich hatte das Gefühl, dass ich in einer oberflächlichen Welt lebe, in der kein Platz ist für diese Krankheit, weil diese Krankheit ja auch sehr unperfekt ist.

Jetzt habe ich das Gefühl, dass es sich sehr gut vereinbaren lässt, weil ich es zum Thema mache. Weil ich glaube, dass jeder diese Gefühle, die ich empfinde, nachempfinden kann. Vielleicht nicht in dieser Intensität, die ich kenne. Aber jeder kennt das, wenn er sich leer fühlt, jeder kennt das, wenn er einfach ein unbeschreibliches Gefühl des Unglücklichseins in sich hat. Wenn ich darüber schreibe, kann ich Leuten auch helfen, und das gibt mir auch sehr viel.

Wie wirkt sich BPS auf deine Beziehungen und Freundschaften aus?

Ich habe schon Leute dadurch verloren, vor allem was Beziehungen betrifft. Ich habe jetzt einen sehr verständnisvollen Freund, der sich extrem bemüht, wenn er merkt, dass es mir nicht gut geht. Er sagt mir dann, dass das nicht so schlimm ist.

Da gibt es diesen Spruch: “Ich hasse dich, verlass mich nicht.” Das kenne ich auch, dass ich jemanden total wegstoße und total scheiße zu ihm bin, und er mich trotzdem beruhigen kann.

Ich habe letztens mit einer Freundin geredet, die mich schon etwas länger kennt. Und die meint, dass ich früher superimpulsiv und unberechenbar war. Ich war wie so ein Tornado meiner Gefühle und hab eigentlich alle Gefühle mitgerissen. Auf der einen Seite hat sie gemeint, war es super spannend und lustig, mit mir fort zu gehen, auf der anderen Seite war es auch sehr auslaugend für sie. Und sie findet es jetzt ganz schön, dass wir auf einer ganz anderen Ebene sind. Es gibt natürlich Menschen, die damit nicht klarkommen oder so. Aber das Schöne sind die Menschen, die bleiben, das sind eh die wichtigeren. Ich brauche keine 1000 Freunde.

Wann hast du beschlossen, deine Krankheit öffentlich zu thematisieren?

Ich habe vor ungefähr zwei Jahren den Beitrag online gestellt, in dem ich darüber geschrieben habe. Ich wollte es nicht mehr verstecken. Ich habe diese Krankheit, was ich so mitbekommen habe, ein Leben lang gehabt. Und ich habe in dieser oberflächlichen Welt gelebt, es ging nur um Avocadobrote und Pfingstrosen – was auf Instagram halt damals in war. Und es ist mir auf die Nerven gegangen. Ich war Teil dieser Welt, aber ich war auch irgendwie angewidert und angepisst von dieser Welt, weil es überhaupt nichts mit dem zu tun hat, wie ich mich gefühlt habe.

Ich hatte das Gefühl, dass ich lüge und ich verleugne, wer ich bin. Dann habe ich mir gedacht, ich möchte mehr im Einklang haben. Seit ich es öffentlich gemacht habe und dazu stehe, habe ich auch eine Verbesserung gespürt.

Weil dieser Druck es zu verbergen nicht mehr da ist, dieses Gefühl, dass das niemand wissen darf, habe ich das erste Mal wirklich eine Verbesserung empfunden. Damals habe ich sehr lange gehadert mit dem Beitrag. Ich habe den Beitrag ein halbes Jahr bevor ich ihn veröffentlicht habe geschrieben. Ich hab ihn immer wieder umgeändert, ich wusste nicht, wie weit ich mich aus dem Fenster lehne.

Ich habe ihm Nachhinein auch Kunden verloren. Es wollen viele Leute oder Firmen nichts mit psychischen Erkrankungen zu tun haben. Dieses Stigma ist so groß und viele denken immer noch, dass du in die Klapse gehörst, wenn du eine psychische Erkrankung hast.

Mir war es irgendwie auch wichtig, Leuten zu zeigen, die auch vielleicht diese Krankheit haben, dass man ein gutes Leben führen kann.

Wie ist das Feedback?

Also das Feedback von meinen Lesern oder Followern ist sehr gut, sehr positiv. Ich habe dadurch auch sehr viele Leute dazu gewonnen, weil das Thema mentale Gesundheit für viele wichtig ist. Da habe ich ganz viel Feedback dazu bekommen, dass viele das toll finden, dass ich öffentlich die Aufs und Abs zeige, dass nicht immer alles perfekt ist, weil die Leute sich damit connected fühlen.

Hattest du jemals die Gedanken, dir selbst schaden zu wollen?

Ich bin auch schon auf dem Fensterbrett gestanden. Bei mir war es oft so, dass ich mit diesem Gefühl der inneren Leere und der Zerrissenheit überhaupt nicht klarkomme. Aber dieser Step, dass man dann wirklich was macht, war nicht da, – Gott sei Dank, sonst würde ich nicht hier sitzen.

Das macht einem auch Angst. Wenn du das Gefühl hast, das ist dein einziger Ausweg. Dieser Gedanke, dass das dein einziger Ausweg ist – und dann bricht oft wie in einem Kartenhaus alles in einem zusammen und man ist einfach fertig mit den Nerven. Dieses Gefühl habe ich aber Gott sei Dank ganz lange nicht gehabt.

Was würdest du anderen Menschen raten, bei denen BPS diagnostiziert wird?

Ich würde ihnen raten, diese Diagnose zwar ernst zu nehmen, aber sich dadurch nicht abgestempelt zu fühlen. Es ist nicht einfach und man muss viel daran arbeiten und sehr viel kämpfen, damit die zwischenmenschlichen Beziehungen funktionieren.

Aber man darf nicht aufgeben. Man sollte offen darüber reden können. Das ist nicht immer einfach, besonders im Job. Aber ich finde zumindest im Freundschaftskreis oder in Beziehungen sollte man so ehrlich wie möglich sein. Ich sage ganz oft Leuten ab, wenn ich nicht kann, also wenn ich wirklich psychisch nicht kann. Ich habe Gott sei Dank einen Freundschaftskreis, der das versteht. Da gibt es sicher auch Leute, die das nicht so einfach tolerieren.

Was wünschst du dir im öffentlichen Umgang mit der Krankheit?

Ich würde mir viel mehr Diskurs wünschen, nicht nur was Borderline betrifft, sondern was alle psychischen Erkrankungen angeht. Ich finde, dass wir in der Schule ganz wenig lernen, was wirklich wichtig ist fürs Leben. Mitgefühl und Empathie, kann man halt auch erlernen.

Ein Ansatz wäre vielleicht diese Krankheiten nicht als Krankheiten zu sehen. Eine Freundin von mir sagt immer, es ist meine Superpower, weil es macht mich ja auch zu etwas Besonderem.

Es gibt auch ganze viele Musiker, Schauspieler, Autoren, die eine psychische Erkrankung haben oder hatten. Deren Werke sind unglaublich wichtig für die Menschheit geworden. Und wenn diese Menschen diese Krankheit nicht gehabt hätten, hätten sie vielleicht nicht diese Werke geschaffen. Auch das Positive sollte man zeigen, wie ich finde.

Viele negative Dinge werden auch durch Medien verbreitet. Der Mörder in einem Krimi ist dann immer der psychisch Kranke. Auch in Zeitungsartikeln liest man sowas immer wieder: “Jemand bringt seine Familie um, war er psychisch krank?” Es gibt Schlagzeilen, bei denen sich bei mir die Nackenhaare aufstellen. Da hilft eigentlich nur Aufklärung durch viele Gespräche und Diskussionen.

Wer Suizid-Gedanken hat, sollte sich an vertraute Menschen wenden. Oft hilft bereits das Sprechen über die Gedanken dabei, sie zumindest vorübergehend auszuräumen. Wer für weitere Hilfsangebote offen ist, kann sich an die Telefonseelsorge wenden: Sie bietet schnelle erste Hilfe an und vermittelt Ärzte, Beratungsstellen oder Kliniken. Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Depressionen betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge in Österreich kostenlos unter der Rufnummer 142.

www.suizid-praevention.gv.at

Das neue österreichische Suizidpräventionsportal www.suizid-praevention.gv.at bietet Informationen zu Hilfsangeboten für drei Zielgruppen: Personen mit Suizidgedanken, Personen, die sich diesbezüglich Sorgen um andere machen, und Personen, die nahestehende Menschen durch Suizid verloren haben. Das Portal ist Teil des österreichischen Suizidpräventionsprogramms SUPRA des Gesundheitsministeriums.

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