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Religionsunterricht: Wie sinnvoll ist er wirklich?

Religion? Oder vielleicht doch lieber Ethik? Oder am besten nichts von beidem? Hier ein paar Gedanken dazu.
Christoph Hahn

Unser Redakteur Chris Hahn hat Deutsch und Musik auf Lehramt studiert und war selbst zwei Jahre lang Lehrer an einem Gymnasium. In diesem Artikel macht er sich Gedanken zur Sinnhaftigkeit des Religionsunterrichts.

Das Thema Religionsunterricht strapaziert die Nerven einer Vielzahl von SchülerInnen. Handelt es sich dabei doch um ein Fach, von dem man sich beispielsweise mangels religiöser Bekenntnis einfach abmelden kann. Natürlich neiden Kinder jede Freistunde, die ein anderes Kind hat, und auch ein Ungleichgewicht puncto Fairness und Gleichberechtigung wird spürbar. Doch auch die Sinnhaftigkeit steht immer wieder auf dem Prüfstand. Einer meiner ehemaligen Schüler hat es im Zuge eines Vertrauensgesprächs per Mail an mich einmal folgendermaßen formuliert:

"[…] Auch wenn Mathe in der Schule vollkommener Schwachsinn ist, verstehe ich, dass man es bis zu einem gewissen Grad können muss. Was ich nicht verstehe, ist, warum wir in der Schule Religionsunterricht haben. Der ist komplett sinnlos und sollte gestrichen werden. Es ist vergeudete Zeit, weil was soll das für einen Sinn haben, dass man Bibelstellen nachschlägt oder Erzengel auswendig lernt? Wir leben doch in einer aufgeklärten Welt, in der heute klar ist, dass nicht Gott den Menschen erschaffen hat, sondern umgekehrt. Außerdem hat Religion immer nur zu Kriegen geführt. Ich finde, sie spaltet die Menschen, und wir sollten die Stunden lieber für mehr Sport oder was anderes Sinnvolles verwenden […]"

Eine saubere Reflexion eines hoffnungsvollen Zukunftsträgers, die mir Freude bereitet hat. Speziell die messerscharfe philosophische Ebene zur Gottesfrage hat mich beeindruckt. Mein Anspruch an mich selbst war daher, eine schlüssige und überzeugende Antwort abzuliefern. Challenge accepted!

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Herzensbildung zuerst

Religion aber auch Ethik, Philosophie und Psychologie (Disziplinen, die genau genommen zusammengehören) sollten nicht gestrichen, sondern – ganz im Gegenteil – dringend mit Kunst, Sport und Kompetenzbereichen wie beispielsweise Rhetorik, allem voran oberste Priorität in der Schule haben. Und zwar nicht so, wie Philosophie und Psychologie irgendwann halblustig ein oder zwei Wochenstunden in den letzten beiden Gymnasiumjahren, sondern von der Unterstufe an, jeweils altersgerecht in den Unterricht integriert. Soviel zur Quintessenz meiner ganz persönlichen Haltung.

Warum? Jede Religion verfolgt, so wie auch jede artverwandte Philosophie, ähnliche, wenn nicht dieselben Ziele. Allem voran, ein gutes Leben zu führen. Für sich selbst, aber auch im Umgang mit anderen, der Gemeinschaft, der Gesellschaft. Kurz: ein gutes Zusammenleben zu gestalten. Folglich kann es in der Schule, die bekanntlich auf das Leben vorbereiten soll, nur wünschenswert sein, den Religionsunterricht nicht nur nicht abzuschaffen, sondern ihn verpflichtend für alle zu machen. Natürlich nicht in seiner aktuellen Form, versteht sich!

Eine derart unpopuläre Ansicht schlägt zunächst einmal naturgemäß nicht in die Kerbe pubertierender Jugendlicher. Daher werde ich versuchen, meinen Punkt näher zu erläutern und dadurch vielleicht schmackhafter zu machen.

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Die tatsächlich verlorene Zeit

Allem voran: Jede/r SchülerIn darf sich vom Religionsunterricht abmelden und kann, sollte die Religionsstunde auf die letzte Stunde fallen, früher nach Hause gehen. Ist die Unterrichtsstunde aber irgendwo zwischen erster und letzter angesetzt, muss er/sie diese irgendwie sinnlos überbrücken. Das hat mit geistesbildendem Unterricht und Vorbereitung auf das Leben rein gar nichts zu tun und ist schlichtweg Zeitverschwendung.

Fokus Miteinander

Die große Frage, die sich weiters stellt, ist, warum evangelischer, katholischer und islamischer Religionsunterricht getrennt abgehalten werden? Verständnis für den/die andere/n zu entwickeln, sollte heute mehr denn je eines der zentralen Ziele des Bildungssystems sein. Dementsprechend wäre es verdammt wichtig, auch möglichst viel über jene Religionen zu erfahren, die eben nicht die "eigene" (anerzogene) sind.

Es wäre verdammt wichtig, über die Überschneidungen aller Religionen und philosophischen Strömungen aufzuklären, die so viel dichter sind, als die Dinge, die sie unterscheiden. Und es wäre auch wichtig aufzuzeigen, dass der gegenseitige Austausch eine Bereicherung sein kann, so wie Andersartigkeit keine Gefahr sein muss. Würde man religiöse und artverwandte philosophische Lehren modern, sinngemäß und altersgerecht vermitteln, wäre schnell aufgezeigt, dass eine der zentralen Botschaften die ist, dass fremde Menschen grundsätzlich nicht unsere GegnerInnen, sondern potenzielle FreundInnen sind.

Denn jede relevante und "seriöse" Religion spricht in irgendeiner Form von Nächstenliebe. So ziemlich jede relevante, "seriöse" Philosophie – egal ob antike (Stoiker, Kyrenaiker oder Hedonisten), östliche oder moderne – beschäftigt sich mit persönlichem Glück und gutem Zusammenleben. Jeder relevante, "seriöse" Glaube (Stichwort indigene Völker und Naturvölker) lehrt in irgendeiner Form Demut – vor der Natur und dem Leben an sich. Und mit der Mischform "Buddhismus" zeigt sich einmal mehr, wie alles untrennbar zusammengehört.

Grundsätzlich dreht sich dieses große Thema um wichtige Werte, die ein glückliches Leben und ein erfolgreiches Miteinander im Fokus haben. Sowas aus dem Schulkontext zu streichen, wäre grob fahrlässig. Und mit Fahrlässigkeiten glänzt der Bildungssektor ohnehin schon zur Genüge.

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Ein ewiger Kampf

Dass Religion immer nur zu Kriegen geführt hat, ist ein durchaus berechtigter Vorwurf, mit dem man sich die Kritik am Unterrichtsfach, meiner Meinung nach, aber zu einfach macht. Klar gab es in der Antike Personen, deren Leben beendet wurde, weil sie den Göttern nicht huldigen wollten. Und auch die Kreuzzüge sind jedem und jeder ein Begriff. Genauso wie religiöse Fanatiker, die sich durch alle Epochen sprengen.

Doch genau hier lässt sich anknüpfen – bei verblendeten Geistern, die einseitig erzogen wurden. Bei Personen, die instrumentalisiert und missbraucht wurden, um meist politische Ziele zu verwirklichen, die unter dem Deckmantel der Religion verschleiert wurden. Und bei denen, deren fehlende Aufklärung und Bildung ein gefundenes Fressen für Beeinflusser und Intriganten war – für jene, die bestimmte religiöse Lehren absichtlich und zu ihrem Zweck missinterpretiert und verstümmelt haben.

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Unterrichtsfach abgesegnet?

Religionsunterricht streichen? Auf gar keinen Fall. Ihn adaptieren, umgestalten, umbenennen? Definitiv! In einen umfangreichen Kontext nämlich, der seiner würdig ist und dem er sich selbst als Bereicherung erweisen kann. Das wäre mein persönliches Fazit.

Religion per se ist nämlich nicht das Problem. Mangelnde Kenntnis darüber, bewusste und unbewusste Missinterpretation religiöser Lehren ist es. Und was religiös motivierte Kriege und Gewaltakte quer durch die Geschichte in erster Linie verdeutlichen, ist, dass die, die um ihr Wissen betrogen werden, oft noch viel gefährlicher sind als die Dummen.