Tatiana Rodriguez via Unsplash

Roma und Romnja in Wien: Der Kampf für ein zentrales Mahnmal

Seit Jahren fordern AktivistInnen ein Mahnmal im Zentrum Wiens für die im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Romnja. Ein Blick auf die offizielle Gedenkkultur in Wien.

Es waren 500.000 – mindestens. 500.000 Roma und Sinti, die während des Nationalsozialismus ermordet wurden. Allein in Österreich wurden von den 11.000 vor 1938 hier lebenden Roma und Romnja 9000 ermordet. Es wundert daher wenig, dass viele heute in Wien lebende Roma und Romnja persönliche Geschichten kennen, die von den Grausamkeiten des Nationalsozialismus erzählen.

Viele kennen Opfer des Nationalsozialismus und wünschen sich eine stärkere Sichtbarkeit dieser Opfer: Durch einen Ort, an dem Blumen niedergelegt werden, aber auch verwelken können. Ein Ort, an dem gemeinsames Erinnern und Gedenken ermöglicht wird. Zentral gelegen in Wien, um Sichtbarkeit und so auch ein Bewusstsein für diesen Teil der Geschichte zu schaffen.

Für dich ausgesucht

Gedenktafeln am Stadtrand

Es gibt Orte in Wien, die Teile dieser Geschichte zeigen: Ein leicht zu übersehender Gedenkstein im 10. Bezirk im Barankapark erinnert an die Opfer des Nationalsozialismus, doch Blumen sind dort selten zu finden. Auch Steine der Erinnerung, die ermordeten Roma und Romnja gedenken, gibt es an diesem Ort.

Ein Park im 7. Bezirk erinnert an Ceija Stojka, die erste Romni, die öffentlich über die Verbrechen der Nazis an ihrer Community sprach. Ein weiterer Park im 3. Bezirk gedenkt Ilija Jovanović und macht die ersten Schritte in Richtung Selbstverwaltung in Wien sichtbar. Dann gibt es da noch die Gedenktafel am Ringelseeplatz in Floridsdorf, die an Roma, Sinti und Lovara erinnen soll, die in Floridsdorf lebten – genauso wie ganz in der Nähe, der Romaplatz, der Lovaraweg und der Sintiweg.

“Bestehende Gedenktafeln und Steine befinden sich meist am Stadtrand. Dadurch sind sie kaum sichtbar für die breite Bevölkerung”, sagt Irina Spataru. Die Romni ist Aktivistin, setzt sich für Menschenrechte ein, ist im Vorstand des Vereins Romano Centro und sie wünscht sich eine Art von Sichtbarkeit, wie es sie auch in Berlin gibt.Dort hat es fast 20 Jahre gedauert, bis aus der Forderung nach einem Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti Realität wurde. Dafür steht dieses heute direkt neben dem Deutschen Bundestag. “Das wünschen wir uns auch in Wien. Ein Denkmal innerhalb des Rings”, sagt Spataru.

Forderung nach einem zentralen Ort

Sie ist mit ihrer Forderung nicht allein, wie auch das Forschungsprojekt “Partizipationsräume und Migrationsbiographien zugewanderter Roma und Romnja in Wien” bestätigt. Ein Team der “Österreichischen Akademie der Wissenschaften” hat sich dafür ein Jahr lang mit dem Aktivismus zugewanderter Roma und Romnja in Wien auseinandergesetzt. Eine dieser WissenschaftlerInnen ist Sabrina Steindl-Kopf.

“Ein sehr großes Thema ist die Auseinandersetzung mit dem Holocaust”, antwortet Steindl-Kopf auf die Frage nach wichtigen Themen der von ihnen befragten AktivistInnen. Zu der Auseinandersetzung mit dem Holocaust zählt eben auch die Forderung eines zentralen Mahnmals.

Es ist ein Anliegen, das von vielen AktivistInnen geteilt wird – egal ob zugewandert oder in Österreich geboren, egal ob aus der älteren oder der jüngeren Generation. ”Dabei geht es ganz stark um die Sichtbarmachung der Community und des kollektiven Gedächtnisses in der Stadt”, so Steindl-Kopf weiter. Und dennoch bleibt diese breite und schon langjährige Forderung genau das: eine Forderung und keine Wirklichkeit.

“Es gibt ja schon ein Mahnmal in Lackenbach”: Das ist eines der Argumente, das Mirjam Karoly immer wieder vonseiten des Bundes hört, wenn es um den Wunsch nach einem zentralen Mahnmal geht. Denn zuständig für die Gedenkkultur in Österreich ist in erster Linie der Bund, erklärt sie.

Die Politologin Mirjam Karoly leitete bis August 2017 die OSZE-Kontaktstelle für Roma-und-Sinti-Fragen beim Büro für Menschenrechte und Demokratisierung in Warschau. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Volksbeirates der Roma in Österreich sowie Vorstandsmitglied des Vereins Romano Centro und des European Roma Rights Center. Und: Sie kennt die Geschichte des Konzentrationslagers Lackenbach aus persönlichen Erzählungen. Ihr Vater wurde hier geboren. An diesem Ort im Burgenland, an dem ab 1940 Roma und Romnja zur Zwangsarbeit verpflichtet und wo viele von ihnen in andere Vernichtungs- und Konzentrationslager deportiert wurden.

Für dich ausgesucht

Bemühungen der Behörden

Dass ein Mahnmal in Lackenbach an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnert, ist daher auch notwendig, sagt Karoly: „Das ist natürlich eine sehr wichtige Gedenkstätte, aber einfach nicht ausreichend. Es ist nicht so zentral, nicht für jeden zugänglich.“ Ob sich dies mit der neuen Bundesregierung ändern wird, bleibt unklar.

Das aktuelle Regierungsprogramm lässt vermuten, dass Gedenk- und Erinnerungskultur künftig eine wichtige Rolle spielen wird. Die 75 Jahre, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen sind, sind für die Bundesregierung ein Anlass, um das Jahr 2020 “als Ausgangspunkt für eine neue, umfassende und auf breiter gesellschaftlicher Basis stehende Gedenkkultur sowie geschichtswissenschaftliche Arbeit in Österreich” zu nehmen. “Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft entsprechend gestalten”, heißt es im Regierungsprogramm.

“Bereits seit dem Erinnerungs- und Gedenkjahr 2018 ist das Holocaust-Gedenken ein Schwerpunkt der Tätigkeit im Bundeskanzleramt im Bereich der Roma und Romnja”, antwortet das Büro für Volksgruppenangelegenheiten im Bundeskanzleramt auf die Nachfrage, was dies konkret für die Forderung der Roma und Romnja bedeute. #

Zudem erarbeite die Nationale Roma-Kontaktstelle seit 2017 einen Forderungskatalog der Roma-Zivilgesellschaft, regt die Errichtung von Gedenkstätten an und fördert die Forschung zur namentlichen Erfassung der Opfer. Ende Februar hat sich Kanzleramtsministerin Susanne Raab außerdem mit VertreterInnen der sechs anerkannten Volksgruppen zu einem Austausch getroffen und werde das auch weiterhin tun, um die Vernetzung verschiedener AkteurInnen voranzutreiben. Was all dies konkret für einen zentralen Ort in Wien bedeute, blieb unbeantwortet und damit weiterhin unklar.

Fehlende Aufarbeitung und Anerkennung

Laut der Politologin Karoly ist der Hinweis auf bestehende Mahnmale auch nicht der einzige Grund, wieso die Forderung schon derart lange unerwidert bleibt. So wurde der nationalsozialistische Völkermord an den Roma erst sehr spät anerkannt, erste Schritte in diese Richtung wurden Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre gemacht.

Diese fehlende Auseinandersetzung sehe man nicht nur, wenn es um die Sichtbarmachung in Form eines Mahnmals geht, sondern auch im Schulbereich, so Karoly weiter: “Es gibt kaum Unterrichtsmaterialen zum Roma-Holocaust. Einige Materialien wurden dafür zwar erstellt, im Lehrplan ist das Thema jedoch nicht vorgesehen. Es liegt also an den Lehrern und Lehrerinnen, ob sie das Thema aufnehmen oder nicht.” Und auch eine größere Lobby fehlt, genauso wie eine breite Debatte zur Aufarbeitung und Anerkennung.

Eine Art Unsichtbarkeit, nicht nur in puncto Gedächtniskultur, weiß auch die noch junge Aktivistin Spataru: “In Wien wurde ich nie als Romni wahrgenommen, obwohl ich mich ab meinem 13. Lebensjahr als Romni geoutet habe. Aber wie die meisten Roma und Sinti bin ich unsichtbar – wir entsprechen nicht dem stereotypen Bild und den Vorurteilen, die so viele Menschen uns gegenüber haben.”

Die mediale Berichterstattung zeichnet ein Bild von Roma und Romnja als schlecht integriert, bettelnde Menschen werden oft mit ihnen gleichgesetzt, das vielfältige gesellschaftliche und politische Engagement bleibt dagegen meist unsichtbar, fasst auch die Wissenschaftlerin Steindl-Kopf zusammen. Dabei handelt es sich bei den Roma und Romnja um die größte ethnische Minderheit in Europa, gleichzeitig auch um die am meisten diskriminierte.

“Ich denke, es ist noch ein weiter Weg, bis die Gesellschaft uns als das sieht, was wir sind: als Frauen, Männer, Jugendliche, Wiener, Schülerinnen, Studierende, Ärztinnen, Anwälte, Journalistinnen, Bäcker, Politikerinnen und vieles mehr. Genau deswegen müssen wir uns an die Geschichte erinnern und das Gedenken bewahren“, so Spataru abschließend.

 

Der Artikel ist Teil eines Rechercheprojekts, das auch unter romnja.valentine-auer.at abrufbar ist. Gefördert wurde die Recherche im Rahmen des Stipendiums “Forschung und Journalismus” der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.