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Einzelhandel: Das hilft bei Dauerstress mit genervten KundInnen

Im Handel kann ständiger KundInnenkontakt zu extra Stress führen: Vor allem, wenn wegen der Einschränkungen durch die Pandemie ohnehin alle angespannt sind.

Alleine im Homeoffice sitzen: Davon können manche Beschäftigte, die jeden Tag am Arbeitsplatz erscheinen müssen, nur träumen.

"Einerseits erfahren viele Beschäftigte mehr Wertschätzung, andererseits stehen sie im Handel täglich vor der Herausforderung, an die Einhaltung der Regeln zu erinnern", sagt Franziska Stiegler, Leiterin des Projekts "psyGA - psychische Gesundheit in der Arbeitswelt" der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA).

Aber auch unabhängig von der Pandemiesituation reagierten Kunden heute teilweise ungeduldiger oder sogar aggressiver als früher, ergänzt Kathrin Schwarzmann, Referatsleiterin Arbeits- und Organisationspsychologie der Berufsgenossenschaft für Handel- und Warenlogistik (BGHW).

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Die Teflonschicht hält nicht für immer

Was also tun, wenn einen aufgebrachte Kunden immer wieder aus dem Konzept bringen? Stiegler rät dazu, sich zu rüsten und "eine Art kleine Teflonschicht überzuziehen".

Soll heißen: "Ich kann den Kunden nicht ändern, aber ich kann entscheiden, ob ich mich persönlich angesprochen fühle oder in meiner beruflichen Rolle." Diese Distanzierung helfe, sich nicht emotional mitreißen zu lassen.

Eine Handlungsoption bestehe darin, einen freundlichen und höflichen Umgang zu wahren, auch dann, wenn einem nicht wirklich danach ist. Das sei oft hilfreich, damit eine angespannte Situation nicht noch weiter eskaliere.

Allerdings, so warnen die Expertinnen: Je größer die Lücke zwischen dem echten und dem gespielten Gefühl ist, desto wahrscheinlicher seien langfristig negative Konsequenzen. "Das wird beim ersten oder zweiten Kunden noch helfen, aber mit der Zeit wird diese Taktik anstrengend", so Stiegler.

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Letztendlich könne das in emotionaler Erschöpfung enden, sagt Schwarzmann. Die Arbeitspsychologin schlägt vor, die Situation umzubewerten und die Perspektive zu wechseln, sich also in den Kunden hineinzuversetzen. Das ändert zwar nichts an den Emotionen des Kunden oder der Kundin. Man könne ihm oder ihr aber nichtsdestotrotz bestimmt und authentisch freundlich die Situation erklären.

Folge man stets der Devise "der Kunde hat immer recht", liege die Last der Verantwortung für die Unzufriedenheit vollständig bei den Mitarbeitenden, sagt Stiegler. Das sei zwar serviceorientiert, fordere aber enorme Anstrengung und sei nicht immer authentisch.

"In der zweiten Variante verteile ich die Verantwortung, dann können Kunde und Angestellter oder Angestellte sich zum Beispiel gemeinsam gegen die Umstände verbünden, die Kunden fühlen sich ernst genommen und die Mitarbeitenden tragen keine falsche Last", sagt Stiegler. Das sei eine Frage des Trainings, etwas, das man lernen könne.

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Eigenständigkeit hilft

Wer den Umgang mit Kunden als Training begreife, erhalte sich eine gewisse Neugier. "Schützen kann ich die Psyche, wenn ich das Gefühl habe, etwas steuern zu können und mich nicht überwältigt fühle von den Umständen oder dem Gegenüber", sagt Psychologin Franziska Stiegler.

Dazu zählt laut Schwarzmann, Handlungsoptionen zu haben und nicht wegen jeder Entscheidung Chef oder Chefin fragen zu müssen. "Zum Beispiel könnte man eigenverantwortlich einen Gutschein ausstellen dürfen, wenn sich jemand beschwert."

Egal wie gut das Training klappt, entscheidend ist der Rückhalt im Team. Wichtig sei, einen Kollegen oder eine Kollegin nicht alleine zu lassen, wenn man mitbekommt, dass ein Kunde sich unangenehm oder gar übergriffig benimmt, sagt Schwarzmann. Manchmal reiche es schon, Präsenz zu zeigen. So etwas müsse zuvor im Team besprochen werden.

Laut Franziska Stiegler ist es generell hilfreich, sich untereinander auszutauschen und sich gemeinsam aufzuregen oder über eine Situation zu lachen. Dafür müssten Zeiten und Räume seitens der Vorgesetzten eingeplant werden. "Zum Beispiel könnte man sich im Team am Ende des Tages noch einmal aussprechen, damit man das Problem nicht mit nach Hause nimmt."

Das gemeinsame Jammern und Aufregen könne erst einmal entlastend sein. Im zweiten Schritt gelte es dann zu schauen, wie viele Ressourcen man noch habe, um etwas zu ändern. Die Kollegen könnten gemeinsam analysieren, welche Möglichkeiten es im Betrieb gebe, auf Unzufriedenheit der Kunden zu reagieren.

Die Psychologin schlägt zum Beispiel dieses Vorgehen vor: Jeder legt sich eine kleine Strichliste an und bespricht später gemeinsam die Optionen. Im Handel könne es zum Beispiel darum gehen, schneller Kassen zu öffnen, damit Kunden nicht zu lange warten müssen. "Im Zweifelsfall müssen die Angestellten mit den Vorgesetzten sprechen, um eine Lösung zu suchen."

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Grundsätzlich liegt die Verantwortung aber auch beim Arbeitgeber: "Unternehmer und Unternehmerinnen sollten ihre Mitarbeitenden vor bestimmten Situationen von vornherein schützen", sagt Arbeitspsychologin Kathrin Schwarzmann.

Wer sein "Kundentraining" verbessern möchte, kann auch beim Arbeitgeber nach einer Schulung fragen. Manche bieten ihren Beschäftigten an, zum Thema Kommunikation und Umgang mit konfliktbereiten Kunden bestimmte Kurse zu belegen.

Hilfreich ist grundsätzlich, auf dem Nachhauseweg Stress abzubauen, schneller zu laufen, mit dem Hund Gassi zu gehen oder Rad zu fahren, empfehlen Expertinnen. Auch Techniken zum Stressabbau können entspannen und dafür sorgen, dass man am nächsten Tag wieder motiviert zur Arbeit gehen kann.

Wer ständig mit Kundinnen und Kunden zu tun hat, braucht starke Nerven
BERLIN - DEUTSCHLAND: ILLUSTRATION - Zum Themendienst-Bericht von Bernadette Winter vom 29. März 2021: Wer ständig mit Kundinnen und Kunden zu tun hat, braucht starke Nerven. Nach Feierabend sollte man Stress abbauen. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-tmn - Honorarfrei nur für Bezieher des dpa-Themendienstes +++ dpa-Themendienst +++. - FOTO: APA/APA (dpa/gms/Gabbert)/Klaus-Dietmar Gabbert - Das Bild darf nicht in einem das Model diffamierenden Zusammenhang verwendet werden.

APA - Austria Presse Agentur