EU-Wahl: Elefantenrunde mit europaweiten Spitzenkandidat:innen

Von der Leyen geriet im Brüsseler Plenarsaal ins Kreuzfeuer
Die fünf Spitzenkandidaten für den Posten des EU-Kommissionsvorsitzes lieferten sich am Donnerstag im Brüsseler Plenarsaal des EU-Parlaments einen Schlagabtausch.

Terry Reintke tritt für einen EU-Fonds für Verteidigung ein. Sie fordert aber auch ein Ende der Entscheidungsfindung mit Einstimmigkeit im Rat der EU-Mitgliedstaaten in diesem Bereich, "damit (Ungarns Präsident Viktor, Anm.) Orban kein Veto mehr hat". Baier zweifelte an, ob Europa wirklich mehr Geld für das Militär ausgeben sollte: "Die NATO gibt drei Mal mehr aus als China und Russland zusammen, die EU-Länder in der NATO zwei Mal. Ich frage mich, ob das nicht reicht." Europa brauche Geld für ökologische, politische und soziale Zwecke.

Die Grüne Reintke, der Sozialdemokrat Schmit und der Linke Baier strichen hervor, dass es keinen Widerspruch zwischen Klima und Wirtschaft gibt. Reintke forderte einen "Grünen Industrie-Deal" und eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), damit Beihilfen in der EU gerechter verteilt werden. Sie strich auch hervor, dass sie selbst aus einer Bauernfamilie stamme.

Von der Leyen pocht auf Umsetzbarkeit von Umweltmaßnahmen

Von der Leyen pochte auf die Umsetzbarkeit von Umweltmaßnahmen und ging dabei besonders auf die Landwirtschaft ein. Die Bauern ständen hinter den Klimazielen, würden aber gerne von dem System der Konditionalität (EU-Geld nur bei Umsetzen gewisser Maßnahmen) zu einem System der Anreize wechseln wollen. Schmit betonte, dass die grüne Transition auch für nachhaltiges Wachstum sorgen könne. Dafür müssten aber viele Ressourcen mobilisiert werden. Zudem brauche es einen großen Sozialdialog, "damit jeder ein Gewinner (der Transition; Anm.) sein kann".

Die von der Union der Europäischen Rundfunkorganisationen (EBU) übertragene Debatte wurde Englisch abgehalten, eine Verdolmetschung in 24 Sprachen wurde angeboten. Unter anderem ORF III hat live übertragen.

Getreu dem offiziellen Namen "Eurovisionsdebatte" war die Diskussionsrunde von aufwendigen Showelementen und streng getakteten Antwortzeiten geprägt, die wenig Raum für tiefergreifende Diskussionen ließen. Von der Leyen (Konservative EVP), Nicolas Schmit (Sozialdemokraten), Sandro Gozi (liberale Renew Europe), Terry Reintke (Grüne) und Walter Baier (Linke) stellten sich sowohl den Fragen vor Ort sowie von aus ganz Europa live zugeschalteten Bürgerinnen und Bürgern.

EKR und ID schickten keine Vertreter:innen

Keine Vertreter:innen schickten die beiden Rechtsaußen-Fraktionen EKR und ID (FPÖ ist Mitglied), die keine EU-weiten Spitzenkandidaten bestimmt haben. Eine Benachteiligung der rechten Parteien wollten die teilnehmenden Kandidaten nicht erkennen, wie sie mehrheitlich vor der Debatte erklärten: Die Regeln seien klar gewesen und die beiden rechten Fraktionen hätten selbst entschieden, keine Spitzenkandidaten aufzustellen, so der Tenor.

Aber zurück zur Debatte: Der Österreicher Baier betonte, es könne "keinen Kompromiss mit den extremen Rechten geben": "Wir müssen verhindern, dass diese Menschen an die Macht kommen." Er zeigte sich "schockiert", dass von der Leyen in einer vorangegangen Wahldebatte erklärt habe, es hänge vom Wahlausgang ab, ob sie mit den Rechten zusammenarbeiten würde. Solange es in Europa noch so viele soziale Probleme gebe, könne die Rechte nicht besiegt werden.

Von der Leyen entgegnete, sie habe "klare Prinzipien, mit wem sie zusammenarbeite". Diese Gruppen müssten "pro EU, pro Ukraine und pro Rechtsstaatlichkeit" sein. Parteien wie die deutsche AfD oder der französische Rassemblement National sind "Freunde von Putin und wollen unser Europa zerstören, und das werden wir nicht zulassen".

Themenblock Migration

Beim Themenblock Migration fiel das Fehlen der Rechtsaußenparteien besonders auf. Von der Leyen fiel somit gewissermaßen die Hardliner-Rolle zu. Wer ein Recht auf Asyl habe, solle dies auch erhalten. Die EU müsse aber selbst entscheiden, wer in die Union komme, und nicht Schmuggler, betonte die EVP-Kandidatin. Sie sprach sich für einen stärkeren Fokus auf die Transitländer aus. Hier hakte S&D-Kandidat und Kommissionskollege Schmit ein und kritisierte Abkommen wie jenes zwischen der EU und Tunesien. Mit Blick auf jüngst bekannt gewordene Misshandlungen von Flüchtlingen auch in Tunesien sagte er: "Das ist nicht Europa. Dies sind nicht europäische Werte."

Reintke und Gozi strichen die Notwendigkeit hervor, das Sterben im Mittelmeer zu beenden. "Wenn Menschen im Meer sterben, dann fährt man hin und rettet sie", so Gozi, der sich klar hinter den jüngst beschlossenen EU-Asyl- und Migrationspakt stellte. Europa sei ein alternder Kontinent, der Arbeitskräfte brauche, meinte Reintke.

Baier begründete seine aufgeschlossene Haltung gegenüber Flüchtlingen auch mit der eigenen Familiengeschichte. Seine Großmutter sei in Auschwitz gestorben, weil andere Länder ihre Türen für Flüchtlinge zugemacht hätten. Er kritisierte auch den Asyl- und Migrationspakt, weil dieser es EU-Staaten ermögliche, sich aus der solidarischen Aufteilung von Flüchtlingen freizukaufen.

Reintke betonte, dass ein demokratischeres Europa ein stärkeres EU-Parlament und Eigenmittel brauche. Zudem "müssen wir die Art und Weise, wie wir entscheiden, verbessern". Sie fordert ein Ende der Einstimmigkeit bei allen Entscheidungen im Rat der EU-Länder und eine institutionelle Reform der EU, vor allem angesichts einer weiteren Erweiterung. Gozi und Schmit betonten die Möglichkeiten der EU, die Rechtsstaatlichkeit zu überwachen.

Armut reduzieren und gute Jobchancen

Im Wirtschaftsteil der Debatte dominierte die Sozialpolitik. Man wolle die Armut reduzieren und hierfür brauche es gute Jobchancen, meinte Sozialdemokrat Schmit. Dafür müsse vor allem in die Ausbildung der Menschen investiert werden. Von der Leyen sah auf eine Frage zum Pensionssystem nicht in erster Linie die EU am Zug, da dies eine Länderkompetenz sei.

Für die grüne Reintke gilt es vor allem, den scheinbaren Widerspruch von Klimapolitik und Wirtschaft aufzubrechen. Die grüne Transition biete große Chancen für den Arbeitsmarkt. Der größte Fehler wäre jetzt, in Sparsamkeit zurückzufallen, so die Deutsche. Der Österreicher Walter Baier forderte beim Thema Sozialpolitik, konkret zu werden. Er ging enger auf die Wohnungsnot ein. Zwangsräumungen sollten laut Baier verboten werden und er forderte europäische Regeln, um Mieten zu deckeln.

Die amtierende EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen appellierte im Bereich Verteidigung erneut für neue europäische Eigenmittel, um die europäischen Verteidigungskapazitäten zu stärken: Neue Aufgaben erforderten neue Finanzierungen. Sie betonte die Notwendigkeit einer weiteren Unterstützung Europas für die Ukraine. Zudem müsse die "Zersplitterung der Verteidigungsindustrie Europas überwunden" werden: Es gebe "kein entweder oder, sondern beides".

Schmit betonte, dass Geld für die Verteidigung der Ukraine nicht zu Abstrichen beim sozialen Zusammenhalt in Europa führen dürfe: Alles müsse möglich sein. "Wir haben uns nicht für den Krieg entschieden", sagte er. Aber: Es sei "für unsere Sicherheit entscheidend, unsere Werte verteidigen zu können." Der liberale Gozi zeigte sich überzeugt, (Russlands Präsident Wladimir, Anm.) "Putin wird keinen Rückzieher machen. Wir müssen in der Ukraine siegen." Renew wolle eine starke gemeinsame Verteidigungsindustrie, denn Europa müsse "mächtig sein, sonst wird über unsere Köpfe entschieden".

Vor allem die amtierende Kommissionspräsidentin und Kandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP) Ursula Von der Leyen kam unter Druck: Ihr wurde von ihren Mitbewerberinnen und -bewerbern vorgeworfen, sich zu sehr der extremen Rechten anzunähern.

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