Hoher Prozentsatz junger PatientInnen mit Long-Covid-Symptomen
Müdigkeit, Belastungsintoleranz, Schmerzzustände, verminderte Muskelkraft und viele andere Symptome können Kennzeichen eines Long-Covid-Syndroms sein. Immunologie und eine Schädigung der Blutgefäße durch die SARS-CoV-2-Infektion sind offenbar die Ursache. Auch viele junge Ex-Covid-19-Patienten leiden daran, erklärte Freitagabend Carmen Scheibenbogen (Charite Berlin) beim Interdisziplinären Symposium zur Suchterkrankung in Grundlsee in der Steiermark.
Das von der Wiener Psychiaterin und Suchtspezialistin Gabriele Fischer (MedUni Wien) organisierte Symposium, in diesem Jahr wieder als Präsenzveranstaltung, beschäftigte sich auch mit den Konsequenzen von Covid-19 auf die psychische Gesundheit. "Das Post-Covid-Syndrom hat massive psychische Auswirkungen. Fast noch wichtiger erscheint mir das Post-Lockdown-Syndrom", sagte der Wiener Hausarzt und Experte auf dem Gebiet der Drogensubstitution Norbert Jachimowicz (Ärztekammer Wien) in seinem Einleitungsstatement.
Allzu schnell sollte man Long-Covid-Probleme allerdings nicht in Richtung Psychiatrie schieben. Die Hämatom-Onkologin Carmen Scheibenbogen von der Berliner Universitätsklinik, auch Leiterin der Immundefekt-Ambulanz für Erwachsene, verwies in einem Online-Referat auf harte immunologische und andere pathologische Abläufe hinter diesen lang anhaltenden Beschwerden. "Wir kennen seit langem chronische Fatigue-Syndrome (Erschöpfung/Müdigkeitszustände; Anm.) auch nach anderen Infektionen. Seit vergangenem Sommer haben wir so viele Anfragen von jungen Patienten, die nach Covid-19 einfach nicht mehr fit werden."
Atemnot, Brust-, Kopf-, Muskelschmerzen, anhaltende Riech- und Geschmacksstörungen, Bauchbeschwerden, Angstzustände, Abgeschlagenheit, schlechtere Muskelkraft und physische Belastungsintoleranz - dies und weitere Symptome können Zeichen eines Post-Covid-Syndroms sein. Häufig sind solche Komplikationen über alle Altersgruppen hinweg. Die Hämatologin: "Auch viele junge Menschen haben diese Symptomatik."
Die Expertin nannte Daten aus der sogenannten Oxford-Studie: Mehr als vier Wochen nach Beginn der SARS-CoV-2-Infektion leiden an Post-Covid-Symptomen 46 Prozent der Zehn- bis 21-Jährigen, 61 Prozent der über 65-Jährigen, 64 Prozent der wegen Covid-19 stationär aufgenommenen Patienten und 73 Prozent nach Aufenthalt auf einer Intensivstation. Im Endeffekt, so Carmen Scheibenbogen sind das zehn bis 20 Prozent der Ex-Covid-19-Patienten mit mildem bis moderaten Krankheitsverlauf und jedenfalls mehr als 50 Prozent der Kranken nach schwerer Covid-19-Problematik.
Es ist nicht die sprichwörtliche "Psyche", die dahinter steckt, wie die Expertin erklärte: "Es ist relativ klar, dass das Immunsystem überreagiert. Wir haben Daten, wonach die Gefäßfunktion gestört ist. Außerdem kommt es zu einer anhaltenden Aktivierung der Blutgerinnung." Wahrscheinlich kommt es insbesondere zu einer Schädigung der sogenannten Beta-2-adrenergen Rezeptoren in der inneren Auskleidungsschicht der Blutgefäße (Endothelzellschicht), die für die Gefäßerweiterung wichtig sind. Vermittelt wird diese Schädigung offenbar durch die Bildung von Auto-Antikörpern gegen die Rezeptoren, was die Erweiterung der Gefäße erschwert, gleichzeitig die Sauerstoffversorgung erschwert und die Pulsfrequenz bei Belastung krankhaft steigert (Tachykardie).
Das würde laut der Expertin auch erklären, warum die Betroffenen oft einen drastischen Abfall ihrer physischen Leistungsfähigkeit erleben. "Sie haben eine Belastungsintoleranz. Die Beschwerden nehmen unter physischer Belastung zu. Die Betroffenen versuchen zum Beispiel zu joggen und liegen danach drei Tage 'flach'." Das geht hin bis zu Hobby-Marathonläufern, die infolge des Long-Covid-Syndroms kaum mehr irgendeiner sportlichen Betätigung nachgehen können. "Die Hälfte der Patienten ist nach sechs Monaten noch nicht arbeitsfähig.", sagte die Expertin.
Mit psychiatrischen Erkrankungen hat das nichts zu tun. "Die (körperliche; Anm.) Belastungsintoleranz ist sehr typisch für das Chronic Fatigue Syndrom. Sie gehört nicht zu einer Depression", sagte Carmen Scheibenbogen.
Eine ursächliche Therapie gibt es bisher nicht. Allerdings befinden sich zahlreiche Behandlungskonzepte für Menschen mit Long-Covid-Syndrom in klinischer Erprobung. "Bisher ist die Behandlung nur symptomorientiert. Eine frühe pulmonale Rehabilitation nach einer (Covid-)Pneumonie ist wichtig", sagte die Expertin. Energie-Management, Maßnahmen zur Verstärkung der Stresskontrolle, Atemtherapie etc. sind hier wichtig.
Gegen die Schädigung der Endothelzellschicht der Blutgefäße mit einer niederschwelligen Entzündung werden derzeit anti-entzündlich wirkende Medikamente erprobt. Dazu gehören zum Beispiel herkömmliche Cholesterinsenker. Es gibt auch Versuche, die Autoantikörper gegen die Beta-Rezeptoren der Blutgefäße aus dem Blut abzufiltern.
Das Problem mit dem Long-Covid-Syndrom wird laut Carmen Scheibenbogen noch länger anhalten: "Wir gehen davon aus, dass auch ein bis zwei Prozent der jungen Covid-19-Erkrankten ein Long-Covid-Syndrom entwickeln. Speziell die jüngeren Menschen sollten sehr viel Respekt vor Long Covid haben. Wir haben nur die Alternative: Impfen oder Covid." Die Covid-19-Impfung sei auch das beste Mittel, um die langfristigen Komplikationen einer SARS-CoV-2-Infektion zu verhindern.
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