Martin Thür blickt auf heurige ORF-"Sommergespräche" voraus

Martin Thür freut sich auf ernsthafte Politikgespräche
Am Traunsee ohne Showeinlagen Löcher in Politikerstatements bohren: Das ist das Vorhaben von Martin Thür bei den heurigen ORF-"Sommergesprächen" von 5. August bis 2. September.

Der "ZiB2"-Anchorman führt erstmals die viel beachteten Interviews mit den Spitzen der Parlamentsparteien. Im Gespräch mit der APA spricht der 41-jährige Niederösterreicher über schönen Aufwand, seinen Wunsch an trainierte Politiker und den ORF "für alle".

APA: Sie leiten heuer zum ersten Mal die "Sommergespräche". Haben Sie sich in der Vergangenheit schon gefragt, wann es endlich soweit sein wird?

Martin Thür: Nein, weil ich schon 2019 das erste Mal gefragt wurde. Ich habe damals abgesagt, weil ich der Meinung war, dass ich erst meine Stimme - so esoterisch das auch klingt - finden musste und wissen wollte, wie ein "ZiB2"-Interview für mich ausschaut. Jetzt funktioniert die "ZiB2" für mich wunderbar, und ich freue mich auf die neue Aufgabe.

APA: Fürchten Sie sich gar nicht vor dem Aufwand, der mit den "Sommergesprächen" einhergeht?

Thür: Ach, gar nicht. Aufwand ist was Schönes im Journalismus. Denn das heißt, man kann recherchieren und sich länger auf ein Gespräch vorbereiten. Das ist bei der "ZiB2" schwieriger. Oft hat man dort nur wenige Stunden Zeit für die Vorbereitung.

APA: Was darf man sich von Ihrer Gesprächsführung erwarten?

Thür: Wir werden heuer sicher weniger Showeinlagen haben. Wir werden nicht grillen oder Eierspeis' kochen. Wir werden uns darauf konzentrieren, was wichtig ist: die Krisen, was sie mit dem Land machen und für die Bevölkerung bedeuten. Wir beschäftigen uns mit ernsthafter Politik und weniger mit der jeweiligen Person.

APA: Heiß diskutiert wird stets der Ort der Gespräche. Wohin gehts heuer? Ins klimatisierte Kammerl oder doch zu den Gelsen?

Thür: Wir gehen nach vielen Jahren in Wien wieder mal raus, nämlich in die Nähe des geografischen Mittelpunkt Österreichs: an den Traunsee. Der ist wahnsinnig schön, wahnsinnig idyllisch. Direkt am Fuße des Traunsteins haben wir ein schönes Platzerl gefunden, wo die Interviews stattfinden. Auch für eine schöne Regenlocation ist gesorgt - eine solche muss man im Salzkammergut immer mitdenken.

APA: Haben Sie das Gefühl, der ORF ist zu Wien-zentriert?

Thür: Ich glaube, dass der Journalismus ganz generell immer wieder die Frage stellen muss, ob man die Realitäten der Bevölkerung richtig abbildet. Wir wollen ein bisschen weg von Wien, um eben auszudrücken, dass wir ein öffentlich-rechtlicher Sender für alle sind.

APA: Die Parteichefinnen und -chefs sind ja keine Unbekannten für Sie. Von welchen erwarten Sie sich ein konstruktives Gespräch?

Thür: (lacht) Die Herausforderung ganz generell ist, dass die Politikerinnen und Politiker immer ein anderes Interesse als der Interviewer haben. Sie wollen die Bevölkerung von sich überzeugen und ihre Statements rüberbringen. Meine Aufgabe ist, Löcher reinzubohren, zu sagen: "Moment, es ist komplexer, als Sie das darstellen." Oder: "Das haben Sie schon mal anders gesehen." Jeder Interviewpartner ist auf seine eigene Art herausfordernd. Ich nehme keines der Gespräche auf die leichte Schulter.

APA: Wenn Sie den Interviewpartnern eine Gesprächstaktik abdrehen könnten, welche wäre das?

Thür: (lacht) Natürlich wäre mein Wunsch, dass Politikerinnen und Politiker tatsächlich auf meine Fragen antworten.

APA: Ist dieses Ausweichen in den vergangenen Jahren stärker geworden?

Thür: Es ist insofern stärker geworden, als es mehr trainierte Politikerinnen und Politiker gibt. Michael Häupl (Anm.: ehemaliger Wiener Bürgermeister) hat am Ende des Tages für eine gute Pointe jedes Parteiwording rausgeworfen und sozusagen die eigene Oma geopfert. So etwas gibt es heutzutage nicht mehr - und schon gar nicht in der Bundespolitik vor Wahlen. Wir werden sehr kontrollierte, gecoachte Parteichefs sehen. Das heißt, dass ich noch besser vorbereitet sein muss, um Antworten auf die für die Bevölkerung brennenden Fragen zu bekommen.

APA: Hand aufs Herz, aus wie vielen "ZiB2"-Interviews gehen Sie heraus und denken sich, der Erkenntniswert war überschaubar oder salopp gesagt: "Das war für die Fisch'?"

Thür: Das gab es schon, ja. Der Punkt ist nur, ich möchte mir danach nicht vorwerfen lassen, ich hätte es nicht probiert. Natürlich gibt es Politiker, die dreimal auf die gleiche Frage, dreimal die gleiche Nicht-Antwort liefern. Ich glaube aber, dass die Zuseherinnen und Zuseher merken, wenn Fragen nicht beantwortet werden und Politikerinnen und Politiker sich drüberschwindeln.

APA: Sie sind erst 41 Jahre alt und haben mit dem Concordia- und dem Hochner-Preis schon zwei der renommiertesten Auszeichnungen für Journalisten hierzulande erhalten. Auf Ihrer Homepage verweisen sie darauf mit "Manche finden meine Arbeit ganz ok." Cooles Understatement oder sind Sie tatsächlich so bescheiden?

Thür: Beide Preise haben mich natürlich gefreut, aber man muss es mit etwas Distanz sehen. Wir Journalisten machen das alles nicht für uns, nicht dafür, dass jemand unsere Arbeit gut findet. Wir machen es hoffentlich für unsere Leserinnen oder Zuseher. Das darf man nie aus den Augen verlieren.

APA: Jetzt werden Sie nicht nur gelobt, sondern hin und wieder sicher auch kritisiert...

Thür: Der Klassiker ist, dass Sympathisanten der jeweiligen Parteichefs oder Politikerin sagen: "Naja, da fragen Sie ja viel härter und brutaler als bei anderen." Da muss man sich nur meine Interviews anschauen, um diesen Kritikpunkt beurteilen zu können. Eine andere Kritik, die mich manchmal verwundert, ist, dass manche Interviews zu detailreich seien. Das finde ich aber ganz gut. (lacht)

APA: Die FPÖ ist weit ORF-kritischer als die anderen Parteien, reitet regelmäßig Attacken gegen das öffentlich-rechtliche Medienhaus und beschuldigt den ORF, gegen die Freiheitlichen eine Kampagne zu fahren. Wie geht man als ORF-Mitarbeiter mit solchen Anschuldigungen um, wenn einem Herbert Kickl gegenüber sitzt? Ist es da schwieriger, ruhig zu bleiben und die Äquidistanz zu wahren?

Thür: Gar nicht. Es ist ein bewusst gesetztes politisches Mittel, um die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren. Ich kann nur soweit in die Politik gezogen werden, wie ich es zulasse.

APA: Der FPÖ schwebt eine Reduktion des ORF auf einen "Grundfunk" vor, sollte sie in Regierungsverantwortung kommen. Fürchten Sie schon um ihren Job?

Thür: Ich finde es schön, dass offenbar mehr Journalisten Angst um meinen Job haben als ich selbst. Nein, ich fürchte mich gar nicht. Ich war 18 Jahre lang im Privatfernsehen. Ich mache mir keine Sorgen, dass ich einen Job finden würde. Ich glaube aber, dass es in einer Demokratie immens wichtig ist, dass es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt, der nötige journalistische Versorgung leisten kann und dafür auch die Ressourcen hat.

APA: Gibt es für einen Politikjournalisten, wie Sie einer sind, eigentlich noch eine Aufstiegschance hier im Land, wenn man bereits die "ZiB2" moderiert?

Thür: Die "ZiB2" ist ganz sicherlich die wichtigste und tollste Nachrichtensendung des Landes - ein bisschen wichtiger als die "ZiB1". (lacht) Nein, ich denke so nicht. Als Journalist hat man keine Möglichkeit aufzusteigen. Man kann nur Chefredakteur werden, aber das ist ein ganz anderer Job. Es gibt nur möglichst gute Arbeit.

(Das Gespräch führte Lukas Wodicka/APA)

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