Iran-Revolution: "Meine Mutter ist das erste Mal hoffnungsvoll"

Die Proteste im Iran wüten weiter, weltweit setzen sich unzählige Personen für Menschen- und Frauenrechte ein. Bricht ein neues Zeitalter an?
Selma Tahirovic
Die Proteste im Iran wüten weiter: Wir haben mit zwei Betroffenen aus Österreich über die Notlage im Land gesprochen.

Seit September herrschen im Iran zahlreiche Proteste gegen das Mullah-Regime. Grund dafür war der Tod von Jîna Mahsa Amini. Die 22-Jährige wurde von der islamischen Sittenpolizei festgenommen, weil sie ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß den strengen Kleidungsvorschriften getragen haben soll. Amini verstarb drei Tage später in einem iranischen Krankenhaus. 

AugenzeugInnen zufolge, soll die Frau aufgrund von Gewalteinwirkung der Polizei gestorben sein. Unzählige Frauen und Männer gehen seitdem im Iran und auch weltweit auf die Straßen, um gegen das Mullah-Regime zu protestieren. Doch dies geschieht nicht ganz ohne Gefahren – und weiteren Toten. 

Folter und Hinrichtungen im Iran

Immer wieder häufen sich die Nachrichten, dass Protestierende angeklagt oder hingerichtet wurden. Auch Promis, wie beispielsweise die Schauspielerin Taraneh Alidoosti, sind betroffen: ihr wird vom iranischen Regime vorgeworfen, dass sie  "falsche und verzerrte" Informationen verbreitet sowie "zum Chaos angestiftet" habe. Der Filmstar hat sich immer wieder auf Social Media zu der Protestbewegung bekannt.

Laut der NGO Iran Human Rights sollen insgesamt knapp 450 Menschen während oder aufgrund der Iran-Proteste gestorben sein (Stand November 2022) – Tendenz steigend. Auf Social Media wird über immer mehr Verhaftungen, Misshandlungen, Vergewaltigungen und Todesfällen berichtet. 

Angst und Unsicherheiten bei Iran-Demos

Dorna und Tamara sind zwei Wienerinnen mit iranischen Wurzeln, die sich für die Menschenrechte ihrer Familienmitglieder im Iran einsetzen und regelmäßig auf Social Media über die Situation posten. Sie haben mit uns über ihre Erfahrungen sowie Gefühlslage gesprochen – und wie sie versuchen, mit ihren Verwandten im Iran Kontakt zu halten. 

"Es werden unbewaffnete Menschen, Alt und Jung, die nicht einmal aktiv an der Revolution teilnehmen, sondern nur spazieren oder zum Einkaufen gehen, auf offener Straße schwer verletzt und ermordet. Ich habe ständig Angst, dass das auch meiner Großmutter, Tante, Cousine oder meinem Onkel passieren könnte", erzählt uns Tamara. 

An den Protesten außerhalb des Irans teilzunehmen, sei ebenfalls riskant – auch in Österreich: "Viele aus der iranischen Diaspora nehmen nur vermummt mit Sonnenbrille und Maske an den Demos teil, weil sie Angst vor Bespitzelung haben. Sie fürchten, bei einer späteren Einreise in den Iran direkt am Flughafen von den Behörden abgefangen, verhört oder eingesperrt zu werden oder ihre Familie im Iran in Gefahr zu bringen, weil sie sich im Ausland regimekritisch zeigen", sagt die 28-Jährige. 

Die junge Frau würde täglich "zwischen den Gefühlen von Wut, Trauer, Verzweiflung und Unverständnis" schwanken: "Ich verfolge laufend, wie die Menschen im Iran im wahrsten Sinne mit Füßen getreten werden. Oft fühle ich mich mit diesen Emotionen in meiner europäischen Bubble nicht verstanden. Die wöchentlichen Demos sind wie Therapie für mich, mein Safe Space. Da kommen Menschen zusammen, die sich alle ähnlich verloren und machtlos fühlen. Das Gefühl von Gemeinschaft und sichtbarer Solidarität lindern den Schmerz zumindest für ein paar Stunden."

Auch die 29-jährige Dorna versucht mit ihrer Familie im Iran Kontakt zu halten, das Internet sei jedoch großteils gedrosselt. Mit ihren Verwandten zu telefonieren sei schwierig, da die Verbindung häufig ausfällt: "In den kurdischen Regionen ist es ohnehin ganz schlimm", sagt Dorna. 

Die Menschen im Iran seien unglaublich stark, weil sie auf die Straßen gehen, obwohl das Regime versucht, die Protestbewegung zu "erschlagen". "Die Generation ist echt ein absoluter Wahnsinn, ich würde keine Worte finden, um den Mut dieser Menschen zu beschreiben", erzählt die Wienerin weiter. Laut der 29-Jährigen würde es sich um eine iranische Revolution handeln, denn die BürgerInnen würden sich wünschen, dass dieser Begriff auch in den Medien vermehrt aufgegriffen wird. 

Dieser Meinung ist auch Tamara: "Wir befinden uns mitten in der ersten feministischen Revolution unserer Geschichte. Hier geht es nicht um Anti-Hijab-Proteste. Frauen und Männer aller sozialen Schichten und Klassen dieses Vielvölkerstaates kämpfen vereint für fundamentale Menschen- und Frauenrechte, für Freiheit. Die gesamte Bevölkerung, unabhängig von Ethnizität, Religion, Alter in Stadt und Land wollen gemeinsam ein Regime Change, keine Reformen. Sie wollen eine 'Scheidung von der Islamischen Republik.' Die Medien müssen endlich aufhören, diese Revolution als Proteste abzustempeln."

Dorna hat sich bei den Iran-Demos bisher immer unverschleiert gezeigt, doch ihre Tante habe "wahnsinnige Angst", erkannt zu werden und sei deshalb inkognito unterwegs. "Ich glaube nicht, dass ich in den Iran fliegen kann, ohne wirklich schlimme Konsequenzen zu erwarten, beziehungsweise einem Risiko ausgesetzt zu sein, verhaftet zu werden", sagt Dorna. "Wenn sich das Regime nicht ändert, kann ich wahrscheinlich meine Familie gar nicht wiedersehen."

Obwohl es wahnsinnig gefährlich ist, auf Demos zu gehen und sich regierungskritisch zu äußern, soll besonders Dornas Mutter "das erste Mal in ihrem Leben hoffnungsvoll" sein, dass sich etwas ändern wird. "Ich habe sie noch nie so gesehen. Sie geht auf jede Demonstration. Sie sagt, das nächste Mal, wenn ich im Iran bin, kann ich ohne Kopftuch dort sein", erklärt die 29-Jährige weiter. 

(K)ein Ende der Sittenpolizei?

Beide Frauen sind der Meinung, dass die österreichischen Medien sowie die Politik in Bezug auf die Situation im Iran zu wenig handelt. "Es ist wichtig, dass öffentliche Medien regelmäßig über die Morde, Folterungen, Vergewaltigungen und Inhaftierung unschuldiger BürgerInnen in der IR-Diktatur berichten. Die im Ausland lebende iranische Community weiß, was im Iran passiert. Es braucht die breite Aufmerksamkeit. Nur so können wir den Druck auf unsere Regierungen erhöhen, endlich aktiv zu werden", betont Tamara. 

Anfang Dezember berichtete unter anderem der "ORF", dass laut dem Generalstaatsanwaltes Mohammed Dschafar Montaseri die Sittenpolizei im Iran aufgelöst worden sei. Offiziell bestätigt wurde dies jedoch nie. Dorna ist sich sicher, dass es sich bei dieser Nachricht nur um ein "Ablenkungsmanöver" des Regimes handeln würde: "Ich hatte mit meiner Cousine Kontakt und sie hat mir bestätigt, dass das natürlich völliger Schwachsinn ist. Es würde einfach helfen, wenn mehr über die echten Geschichten berichtet wird, über das, was wirklich vor Ort abgeht, nicht das, was die das Propaganda-Regime von sich gibt."

Aktivismus mit Grenzen?

Dass viele Personen des öffentlichen Lebens und InfluencerInnen mit iranischen Wurzeln ihre Reichweite nicht nutzen, um über die "Revolution und humanitäre Notlage im Iran zu informieren und animieren", ärgert Tamara sehr. "Mit so wenig Aufwand könnte so große Wirkung gezeigt werden."

Sie betont dabei: "Wer möchte später zurückblicken und sagen, dass sie nicht ihren bestmöglichen Beitrag geleistet haben. Wir wissen doch, wie wichtig es ist, die Stimme für die tapferen Menschen im Iran zu sein." Besonders auf Instagram stößt sie immer wieder auf Einschränkungen, wenn es um ihren politischen Aktivismus geht. 

Instagram schränkt Postings ein

"Instagram hat für mich gar nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun und ist eine reine Konsum-Plattform. Sobald vermehrt politische Inhalte gepostet werden, wird die Reichweite extremst gedrosselt. Alles was nicht mit Hashtags wie 'fashion', 'good life' oder 'good vibe' zu tun hat, wird vom Algorithmus ignoriert. Das wird auch der Grund sein, weshalb sich viele Infuencer und Influencerinnen nicht politisch äußern wollen, weil sie finanziell von dieser Plattform abhängig sind. Konsum und Werbung vor Menschenleben und Menschenrechten."

Die Wienerin betont, dass sie "regelmäßig" von Instagram eingeschränkt wird, weil sie sich anscheinend "zu oft" unter den Beiträgen von UNO, NGOs sowie EU- und Regierungsparteien kritisch zeigen würde. Tamara weist dabei vor allem auf die Befreiung des Irans vom terroristischen Mullah-Regime sowie auf den aktuell herrschenden Genozid im Land ihn.

Tamara gibt nicht auf und hat nun eine Mailaktion gestartet, die Maßnahmen gegen das Regime der islamischen Republik im Iran enthält. Diese soll an mehrere österreichische Abgeordnete versendet werden: "Die große Handlungsmacht liegt bei unseren PolitikerInnen. Doch von denen kommen nur leere Worte der Teilnahme. Davon werden keine Menschenleben gerettet! Es braucht Taten!", sagt die Wienerin abschließend. 

Iran aus UN-Frauenkommission ausgeschlossen

Am 14. Dezember wurde beschlossen, den Iran aus der UN-Frauenkommission zu streichen. So wird das Land "für den Rest der vierjährigen Amtszeit bis 2026 aus der Kommission für die Rechtsstellung der Frau ausgeschlossen". 29 Länder des 54-köpfigen UN-Wirtschafts- und Sozialrats stimmten für einen Ausschluss. 16 Länder enthielten sich ihrer Stimme. 

In dem Dokument werden die Maßnahmen der iranischen Regierung seit September 2022 gegen die Bevölkerung kritisiert, die "die Menschenrechte von Frauen und Mädchen kontinuierlich untergraben und zunehmend unterdrücken" – und zwar "oft unter Anwendung von übermäßiger Gewalt". 

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