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Was ist die Matura eigentlich wirklich noch wert?

Die sogenannte Reifeprüfung war in der Vergangenheit Maßstab für besondere Schulbildung. Doch was ist heute davon übrig?
Christoph Hahn

Unser Redakteur Chris Hahn hat Deutsch und Musik auf Lehramt studiert und war selbst zwei Jahre lang Lehrer an einem Gymnasium. Seine Ansichten und Gedanken zum Thema Matura teilt er mit euch in diesem Artikel.

Zu Wochenbeginn hat wieder für rund 40.000 MaturantInnen die Zentralmatura begonnen. Am Montag waren die schriftlichen Klausuren in den humanistischen Fächern Latein und Griechisch an der Reihe. Heute, am Dienstag (3. Mai 2022), folgt jene in Mathematik – ein Fach, das vielen SchülerInnen auch als "Angstfach" bekannt ist.

Doch welchen Wert hat die Matura heutzutage wirklich noch? Ist sie tatsächlich noch ein Schlüssel zu höherer Bildung? Oder ist sie nicht schon vielmehr, so wie viele andere schulische Phänomene, ein längst überholtes Ritual – antiquiert, verstaubt und längst nicht mehr am Puls der Zeit?

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Bedenken und Sorgen

Die sogenannte Zentralmatura (seit dem Schuljahr 2015/2016) war von Anfang an heiß umstritten und musste viel Kritik einstecken. Als 2020 dann die Corona-Pandemie Einzug gehalten hat, verlagerten sich die Kritikpunkte auf den Entfall der mündlichen Prüfung und den fünfzig-prozentigen Einbezug der Jahresnote in die Bewertung.

SchülerInnen sowie deren VertreterInnen und Eltern waren in Sorge um das Stigma eines Corona-Maturajahrganges und die damit verbundenen Vorurteile eines vergleichsweise wertloseren Schulabschlusses. Das gesellschaftliche Ansehen der Matura und ihr tatsächlicher Wert sind aber, wie ich finde, zwei verschiedene Paar Schuhe! 

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Grundsätzliche Frage

Man könnte die Frage aufwerfen, ob ein junger Mensch, der in einem Zeitraum von zumindest acht Jahren bewiesen hat, dass er des Lernens fähig ist, überhaupt so etwas wie eine finale Reifeprüfung notwendig hat? Der Bildungsforscher Stefan Hopmann beantwortet diese Frage mit Ja und begründet in der Ö1-Sendung "Die Matura und ihr Sinn" seine Haltung mit der psychologischen These, dass wichtige Errungenschaften mit einem besonderen Erlebnis verbunden werden sollten.

Diesem Phänomen ist vermutlich nichts entgegenzuhalten. Doch gibt es dafür nicht Maturabälle und Maturareisen? Markieren solche Erlebnisse den Abschluss der eigenen Schulzeit nicht viel nachhaltiger, in den allermeisten Fällen auch positiver? Und wäre daher nicht eine logische Schlussfolgerung, dass die Matura aus heutiger Sicht nicht vielmehr von entwicklungspsychologischem Wert als von bildungsspezifischem ist?

Zumal sie in der Tat den Abschluss eines wichtigen Lebensabschnitts markiert, der mit der unmittelbaren Veränderung sozialer Strukturen einhergeht. Der ein neues Maß an Verantwortung mit sich bringt und den Pool der Möglichkeiten im Leben zum Ozean ausdehnt.

Traumata und Ängste

Die Rechnung ist denkbar einfach: Wer über acht Schuljahre hinweg beweist, dass er oder sie Wissen erwerben und verinnerlichen kann, ist per se schon reif für den nächsten Schritt. Dazu braucht es dann keine zusätzliche abschließende Instanz wie etwa eine Reifeprüfung, wie ich finde.

Diese ist, so wie auch sämtliche Prüfungen, Tests und Schularbeiten während der gesamten Schulzeit, stets eine Momentaufnahme. Ihre Ergebnisse, meist in Form von Noten, sind Beurteilungen punktueller Leistungen, die von vielen Faktoren abhängen. Was heute ein "Befriedigend" ist, könnte dank der eigenen Tagesverfassung morgen ein "Gut" oder übermorgen gar ein "Sehr gut" sein.

Die Matura jedoch ist ein Ergebnis, das ein Leben lang repräsentativ sein soll. Ein einziges, endgültiges Endergebnis. Die Frage, ob das wertvoll oder gar sinnhaft ist, kann sich an dieser Stelle jede/r selbst beantworten. Ebenso jene, wie viel Wert Prüfungsangst für das eigene Seelenleben hat. Diese bleibt, über die eigene Schulzeit hinaus, nämlich für viele ein unliebsames Nebenprodukt, das für so manchen Albtraum verantwortlich zeichnet.

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Kernfrage und Resümee

Alle Wege führen nach Rom. Und viele zu einem Studium! Daher zur eigentlichen Kernfrage: Ist die Reifeprüfung noch eine unbedingte Notwendigkeit für eine (akademische) Karriere? Denn auch Studienberechtigungsprüfung und Co. machen's möglich.

Sollte es auch in Zukunft dabei bleiben, dass acht erfolgreich absolvierte Schuljahre nicht Beweis genug für eine Studienreife sind, wird die Matura wohl weiterhin ein begehrtes Mittel zum Zweck bleiben. Wohlgemerkt eines von mehreren. Die Möglichkeiten, in akademische Gefilde vorzudringen, waren nämlich noch nie so breitgestreut, vor allem aber so leicht zugänglich und umsetzbar wie heute. Der Satz "Ohne Matura verbaust du dir viele Chancen" hat meiner Erfahrung nach heute definitiv keine Gültigkeit mehr!