Meinung

Rechtsruck in Europa: Wie bewegen sich Rechtsextreme im Internet?

2024 wird ein spannendes Jahr für die Weltpolitik. Laut "The Economist" wird in diesem "Wahljahr" in 76 Ländern gewählt, darunter in acht der zehn bevölkerungsreichsten Staaten der Welt. Es sind Zeiten mit enormem politischem Potenzial, die Menschen sind in der Stimmung, etwas zu verändern - das merkt man. Nicht zuletzt durch den zunehmenden Rechtsruck, der sich langsam aber sicher sowohl in Europa als auch in den USA bemerkbar macht.

Egal, ob es sich um den x-ten "Einzelfall" handelt, egal, wie oft Parteien wie AfD und FPÖ in Verbindung ,mit rechtsextremen Szene gebracht werden, egal, wie oft die Polizei "verbotene Insignien" beschlagnahmt – das vom Netzwerk "CORRECTIV" aufgedeckte "Remigrations-Treffen" ist eine ernste Warnung - es wird mobilisiert.

Doch wie organisieren und kommunizieren Rechtsextreme im Internet? Welche Communities und Tarnwörter gibt es?

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Rechte in der Opferrolle

Das Narrativ des "Heute darf man nichts mehr sagen" aus der Genderdebatte wurde taktisch gewendet. "Neue Rechte" (Selbstbezeichnung französischer, deutscher rechtspop. Strömungen) schieben sich gerne in die Opferrolle, wenn ihre rechtsextremen oder rassistischen Äußerungen keinen Anklang finden. Rassistische Witze, über die nicht gelacht wird, werden als "falsch verstandener Humor" abgetan.

Das ist so falsch! Humor kann sehr wohl auf Stereotype abzielen, aber hier ist es die Kunst, die Pointe so zu gestalten, dass der Stereotyp eben nicht selbst Gegenstand des Gelächters sein sollte.

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Rechtsextremismus auf Social Media: Safe Spaces für Rechte?

Dass sich Rechtsextreme auf Facebook tummeln, ist kein Geheimnis. In Facebook-Gruppen gibt es mitunter die bestgehütesten Geheimnisse des Internets. Durch die Masse entziehen sie sich der Überwachung durch staatliche und private Organe, verschwinden im Einheitsbrei und geben sich unauffällige Namen. Vor allem bei Twitter (früher X) bleibt seit der Übernahme durch Elon Musk kein Stein auf dem anderen.

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Stattdessen tummeln sich hier ungestört Rechtspopulist:innen und Rechtsextremist:innen und diskutieren ihre Pläne gegen die "links-grün-versiffte Ampelregierung in Deutschland" und für ein "heiliges und freies Deutschland". Völlig ungehindert posten "Journalist:innen" hier rechtsextreme Verschwörungstheorien, sprechen von einer bald kommenden sozialistischen Diktatur und bedienen sich auch sonst der klassischen populistischen "Wir gegen die"-Rhetorik.

Im Juni 2020 werteten BR, NDR und WDR 148 private Facebook-Gruppen aus, 2,6 Millionen Posts und Kommentare aus den Jahren 2010 bis Ende 2019. In dem Datensatz finden sich zuhauf rechtsextreme Hetze und Hassrede. Beiträge, die den Holocaust leugnen stehen neben Hakenkreuzen und anderen Nazi-Symbolen.

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WhatsApp und Telegram-Gruppen im Fokus

Die vom deutschen Journalisten und Komiker Jan Böhmermann aufgedeckte Nutzung von Messaging-Apps wie WhatsApp und Telegram durch rechtsextreme Gruppen innerhalb von Organisationen wie der Polizei hat für Aufsehen gesorgt (k.at berichtete). Diese Plattformen ermöglichen den Austausch und die Verbreitung extremistischer Ideologien unter dem Deckmantel der Anonymität. Die Enthüllungen haben die Debatte über Reformbedarf und den Umgang mit Rechtsextremismus in öffentlichen Organen verstärkt.

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Die Vorfälle machen deutlich, wie schwierig es ist, zwischen Datenschutz und Prävention rechtsextremistischer Aktivitäten zu navigieren. Sie machen auch deutlich, wie wichtig es ist, in diesen Institutionen eine Kultur der Wachsamkeit und des Engagements gegen Extremismus zu etablieren.

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Neue Rechte: Rechtsextreme und ihre Tarnbegriffe

2012 gründete Martin Sellner gemeinsam mit dem Gleichgesinnten Partick Lenart die "Identitäre Bewegung Österreich" (IBÖ). Seit diesem Tag ist Martin Sellner bemüht, die "unwissende Herde" über "die Wahrheit" aufzuklären. Diese werde "dem Volk" vorenthalten und Sellner "kämpft" dafür, dass sie ans Licht kommt. Er und seine Gesinnungsgenossen verwenden bewusst rechtspopulistische Kampfbegriffe, um ihr völkisches und rassistisches Gedankengut zu verbreiten, schließlich identifizieren sie sich damit.

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Gerade im Internet sind diese Begriffe "nützlich", da sie den Austausch von gefährlichem Gedankengut in zivilen Räumen ermöglichen. Abschiebungen und Push-Backs werden zu "Remigration" zusammengefasst, die aufgrund der Angst vor einem "geplanten Bevölkerungsaustausch" auf Verständnis stößt. Die europäische Spitze des Populismus hat es geschafft - die Menschen haben Angst vor Migration.

Begriffe mit rechtspopulistischem Charakter:

  • "Freiheit, Heimat, Identität" - diese drei Begriffe werden von rechten Parteien im politischen Kontext fast inflationär verwendet.
  • "System-/Altparteien" - ein klarer Nazi-Begriff, der zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs von den Nazis benutzt wurde, um Parteien ein System, eine Agenda zu unterstellen. Wieder: Wir gegen die.
  • "Remigration" - eigentlich ein wissenschaftlicher Begriff, der das Ende einer Migration, meist einer einzelnen Person, bezeichnet. Zum Unwort des Jahres 2023 wurde er gewählt, weil Rechtsextreme ihn zum Euphemismus für Vertreibung und Abschiebung gemacht haben.
  • "Abendland und Morgenland" - veraltete Bezeichnungen für die kulturell christlich geprägten "westlichen Länder" und die islamisch geprägten "östlichen Länder". Populist:innen maßen hier oft eine kulturelle Unvereinbarkeit an.
  • "Great Exchange / Der große Austausch" - eine auf den französischen Schriftsteller Renaud Camus (nicht Albert Camus!) zurückgehende Verschwörungstheorie, nach der "linke Eliten und Politiker:innen" die einheitliche Bevölkerung durch nicht-weiße Migrant:innen ersetzen wollen. 
  • "Selbstabschaffung" - ein vom ehemaligen SPD-Politiker Thilo Sarrazin geprägter Kampfbegriff, der "westlichen Ländern" wie Deutschland vorwirft, ihre eigene Kultur zugunsten von "Multi-Kulti" zu begraben.
  • "Klimahysterie" - ein gezielt gewählter Begriff, um Menschen zu diffamieren, die vor den sichtbaren Folgen des Klimawandels warnen.
  • "George Soros" - ein Milliardär und Philanthrop jüdischer Herkunft, der nicht zuletzt durch die antisemitischen Äußerungen des rechtsgerichteten ungarischen Ministerpräsidenten den globalen Rechtspopulisten ein Dorn im Auge ist.
  • "Kulturmarxismus" - im Zusammenhang mit "Politischer Korrektheit" eines der Schlagworte, die Liberalismus, Gleichstellungspolitik und Kulturvielfalt verunglimpfen sollen.
  • "Ethnopluralismus" - nichts anderes als eine neue Form des Rassismus, zumindest für die Neue Rechte. Das Weltbild des Ethnopluralismus teilt die Menschen nicht mehr in "Rassen" ein, sondern in "Ethnien und Völker", für die "fremde Einflüsse" eine Bedrohung der Identität darstellen.
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Neue Rechte müssen Tarnbegriffe verwenden und in Codes sprechen, weil sie wissen, dass ihre Äußerungen und Gedanken nicht ohne Grund gegen das Gesetz verstoßen. Wir haben als Gesellschaft im 20. Jahrhundert genau das erlebt, was nationalistisches und rassistisches Denken hervorbringt, eine Gesellschaft der Angst und der Unsicherheit. Deshalb haben wir gesagt: "Nie wieder!

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