k meets Sex Positivity

Janina Vivianne und Jana Studnicka nennen sich liebevoll Kinky & The Brain. Mit uns reden die beiden Frauen über Sex Positivity und sexpositive Festivals.
Marc Weber

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Janina bezeichnet sich als liebevoll pervers und veranstaltet die Parallel-Universum-Partys . Im Interview erklärt sie uns, worum es bei Sex Positivity wirklich geht und warum Safer Sex unabdingbar ist.

Jana ist ausgebildete Ärztin und Gründerin der Festivalreihe “The Intimate Revolution”, die unter dem Motto “We want to end loneliness and bad sex” steht.

k.at: Was bedeutet Sex Positivity?

Janina: Sexpositiv meint eigentlich einen positiven Umgang mit Sexualität – aber auch einen bewussten Umgang mit beispielsweise sexueller Gesundheit. Und auch einen offenen, nicht verurteilenden Umgang, also dass man andere Praktiken oder Weisen, wie andere Menschen leben, nicht verurteilt.

Also man sagt, dass auch asexuelle Menschen sexpositiv sein können, weil sie ja eine positive Einstellung zu Sexualität haben können, auch wenn sie selbst kein Interesse an Sex haben. Ich glaube generell, dass diese ganze sexpositive Welt eine tolle Möglichkeit ist, an sich zu arbeiten. Und ich glaube, dass man ganz schön viel heilen kann, wenn man sich mal sich selbst anschaut und auch die sexuellen Phantasien, Triebe, Ausdrücke.

Der Begriff “sexpositiv” kommt tatsächlich auch von einem Österreicher: Wilhelm Reich, der so 1915/1920 die sexnegative Gesellschaft in seinen Schriften erwähnt und somit auch den Gegensatz der Sexpositivität erwähnt hat.

Und der Begriff ist dann 1980 mit dem sexpositiven Feminismus nochmal aufgekommen und hat Wellen geschlagen. Und dann wurde der Begriff auch um die 2000er verwendet – in der Schwulenszene, für Menschen, die HIV-positiv sind. Das ist auch jetzt noch manchmal ein bisschen so, also dass der Begriff für beides verwendet wird. Und seit 2011 gibt es auch wirklich diese sexpositive Bewegung, die in Amerika gestartet ist und jetzt auch immer mehr nach Europa übergreift.

In den USA – zum Beispiel in San Francisco – boomt es ganz schön mit der Sex Positivity. Dort gibt es sogar ein Education Center für Sex Positivity und auch sehr viele Vereine und eine richtige Bewegung. Auch in Europee gibt es immer mehr Vereine und Veranstaltungen. Ich selbst arbeite an Projekten, mit denen wir die Menschen, die in Europa in dem Bereich arbeiten, miteinander vernetzen. Und auf der Webseite www.sex-positive.com findet man dann bald einen ganzheitlichen Eventkalender für sexpositive Sachen.

k.at: Was ist das The-Intimate-Revolution-Festival?

Jana: Das The-Intimate-Revolution-Festival ist ein sexpositives Festival, bei dem es um Intimität und Sexualität geht. Es beginnt mit einem Intimitätssymposium, auf dem Experten und Stimmen aus Kultur und Wissenschaft über das Thema Intimität referieren. Und dann geht es darum, dass über einen Zeitraum von mehreren Tagen Workshops in einer Location stattfinden, wo man sich nochmal tiefer und ganz unmittelbar mit diesen Themen auseinandersetzen kann.

k.at: Was ist die Vision hinter dem TIR?

Jana: Die Vision des TIR ist “We want to end loneliness and bad sex”. Es geht uns schon darum, einen Diskurs über Einsamkeit und Sexualität anzufangen. Und auch einfach mal zu schauen, was diese Begriffe bedeuten.

Es ist auch einfach wahnsinnig spannend, wenn man sich Einsamkeit anschaut, dass sich wahnsinnig viele Menschen einsam fühlen, also in verschiedenen Graden natürlich. Es fühlen sich ganz viele Jugendliche, es fühlen sich ganz viele alte Menschen einsam. Ich habe jetzt in der Jahrestagung von pro mente nachgelesen, die machen die zunehmende Digitalisierung und Urbanisierung verantwortlich. Also, dass wir Menschen immer mehr in Städten leben und dass wir immer mehr immer vor irgendwelchen Bildschirmen lesen, und dass wir auch immer mehr Social Media verwenden.

Wir leben halt nicht mehr in einer Dorfgemeinschaft, wo wir uns kennen und super gut vernetzt sind und unseren Platz in unserer Community haben. Es ist für uns total leicht, als Single in einer Wohnung zu leben und nie unseren Nachbarn zu begegnen und dann als Freelancer den ganzen Tag da zu sitzen und Codes zu schreiben. Und da ist Einsamkeit eine sehr logische Konsequenz.

k.at: Was ist das Parallel Universum?

Janina: Ich veranstalte das Parallel Universum seit zweieinhalb Jahren. Das hat als kleine Privatparty mit 30 bis 60 Leuten angefangen. Jetzt hatten wir in Berlin 120 Teilnehmer. Bei den Festivals, die ich mit Jana zusammen mache, sind auch um die 140 Teilnehmer.

Also das Parallel Universum habe ich jetzt vor drei Wochen in der Nähe von Wien gemacht. Das findet meistens in sehr großen Locations statt, wo es auch einen Garten gibt, einen Pool, eine Sauna, wo es Aerial Silk gibt, wo man mit Rollerskatern, Fahrrädern und Dreirädern rumfahren kann. Wo man ganz viele Kostüme hat, die man anprobieren kann. Ein Eck, in dem es einen Fotografen gibt, wo man fotografieren kann. Es gibt ein riesiges Matratzencamp, wo Workshops stattfinden wie zum Beispiel Playfights, was ein liebevolles Sich-begegnen auf der Matratze ist. Es finden auch andere Workshops statt. Es gibt die Sexploration, bei der man erkundet, was man eigentlich möchte, wie sage ich ‘ja’ – und wie sage ich auch ‘nein’. Untertags hat man verschiedene Workshops, dann essen wir alle gemeinsam und dann am Abend findet eine Playparty statt. Was bedeutet, dass dort Sexualität passieren kann aber nicht muss, es gibt einen Dancefloor, auf dem verschiedene DJs spielen. Und dann gibt es draußen auch noch ein Lagerfeuer, das ist quasi der nicht-sexuelle Ort.

Was das Parallel Universum von den meisten anderen sexpositiven Partys unterscheidet, ist, dass es alkoholfrei und drogenfrei ist. Das ist uns ganz wichtig, weil Consent, also das Einverständnis, nur passieren kann, wenn alle Parteien nüchtern sind.

k.at: Was bedeutet Intimität für euch?

Jana: Intimität ist für mich, wenn man einander nah sein kann, wenn es da diese Nähe gibt. Und diese Offenheit und Ehrlichkeit miteinander. Also das, wo man sich wirklich gegenseitig sieht und sich nichts mehr vorspielen muss – und das Schöne ist diese Intimität, die kann körperlich sein, aber die ist oft einfach nur emotional da. Und das ist auch wahnsinnig schön, und ich habe auch immer erlebt, wenn ich diese Intimität gar nicht in meinem Leben habe, dann fühle ich mich wahnsinnig einsam und isoliert.

Janina: Also ich habe das gerade in meinem Kopf, weil ich kenn das aus meinem eigenen Leben. Also ich bin jetzt irgendwie seit fünf Jahren auf dieser sexpositiven Reise durch die verschiedensten Communitys und es gab definitiv eine hedonistische Zeit, in der ich ganz viel Sex hatte, bis ich festgestellt habe, warum ich so viele wechselnde Partner habe. Weil ich mich eigentlich danach sehne, gesehen zu werden und auch im Arm gehalten zu werden. Also mir waren diese zehn Minuten nach dem Sex viel wichtiger als der Akt an sich. Wenn man das begreift und dann auf das hingeht, was man eigentlich möchte, nämlich gehalten und gesehen zu werden. Ja, dann ändert sich auch das ganze Verhalten mit deiner Sexualität und es ist viel erfüllter.

k.at: Was ist Liebe?

Janina: Ich glaube, ich habe sehr viel geliebt und liebe sehr viel. Ich habe ein sehr großes und offenes Herz, das sich mit Menschen verbindet, nicht nur wenn ich mit ihnen schlafe, sondern auch so sehr schnell. Nicht nur im klassischen Sinne von Mann/Frau sondern auch mit Freunden habe ich sehr viele liebevolle Beziehungen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass diese klassischen Beziehungen auch Abhängigkeit bedeuten und davon versuche ich wegzukommen und zu schauen, wie ich frei lieben kann.

Ich bin ein sehr freiheitsbedürftiger Mensch, der auch nicht denkt, dass ein Partner mir alles geben kann, und möchte diesen Druck auch nicht an einen Partner weitergeben. In meiner Traumvorstellung führe ich eine Beziehung mit einem Mann und einer Frau. 

k.at: Haben wir Millennials wirklich weniger Sex als die Generationen davor?

Jana: Es ist ganz spannend, wenn man sich das anschaut – und da bin ich auch erst vor ein, zwei Jahren darauf gekommen. Bei einem Tinderdate mit einem Autor, der sich auch mit dem Thema Sexualität beschäftigt hat und dann irgendwie begonnen hat, mit mir zu diskutieren, weil ich gesagt habe: “Wir sind ja so viel toleranter als früher und natürlich haben wir mehr Sex.” Und er so: “Aber die Studien sagen was anderes!” Und ich so: “Was? ”

Und da gibt es wirklich diesen Abwärtstrend, den die Wissenschaft immer mehr wahrnimmt, und zu dem sie sich die Frage stellt, warum das eigentlich passiert? Man kann das noch nicht so wirklich an einem Faktor festmachen.

Die Sexualität ist zwar durch die sexuelle Revolution befreit worden, aber auf einer sehr oberflächlichen Ebene. Die ganzen tieferen Themen, bei denen es dann um Intimität und Beziehungen geht und um die Emotionen, sind einfach noch total verschlossen.

Und genau deswegen gibt es TIR: Weil es das Gefühl gibt, es ist auf einer oberflächlichen Ebene schon ganz viel befreit, aber jetzt geht’s darum, sich die tieferen Gefühle und Ebenen anzuschauen. Und die noch zu befreien und zu verändern.

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k.at: Wie steht ihr zu Tinder?

Janina: Ich habe auch viele Tinderdates gehabt, für mich sind die Menschen dort nicht besonders sexpositiv, weil sie nicht wirklich sehr bewusst mit dem Thema Sexualität umgehen, sondern weil das Ganze eher ein Konsumwahn ist – von Menschen. Und die meisten Menschen achten auch nicht wirklich auf ihre sexuelle Gesundheit. Ich find’s schöner, dass ich einen Menschen vor mir habe, der weiß, warum er das gerade tut und warum er anderen Menschen begegnen möchte. Anstatt in dieses ‘Ich möchte heute noch eine knallen’ reinzugehen.

Jana: Einer dieser großen Cornerstones von der TIR ist Consent, also die Fähigkeit Grenzen zu setzen, Grenzen auszusprechen und zu den eigenen Bedürfnissen zu stehen. Und bei Tinder habe ich dann oft das Gefühl, – wenn ich mit irgendwelchen Menschen außerhalb meiner Bubble in Kontakt bin komme – dass Consent noch nicht allgegenwärtig und nicht für jeden klar ist. Sondern dass es da auch Menschen gibt, die das erste Mal mit diesem Thema in Kontakt kommen. Aber für mich ist das beim Thema Sex Positivity ein fundamentales Konzept.

k.at: Wie würde eure Traumgesellschaft in Punkto Sexualität aussehen?

Jana: Es wäre eine Gesellschaft, die sehr viel offener und toleranter ist. Es wäre auch eine Gesellschaft, die viel offener ist, was die eigenen Gefühle angeht. Was die eigenen emotionalen Bedürfnisse angeht.

Und natürlich auch eine Gesellschaft, die aus Safer Sex und sexueller Gesundheit nicht so ein stigmatisiertes, schambehaftetes Thema macht, sondern sagt, ‘Ok, sexuelle Gesundheit ist ein Teil von Gesundheit, wir müssen uns dieses Thema anschauen’. Wenn ich Sex habe, dann muss ich mich mit sexueller Gesundheit auseinandersetzen.

Janina: Das Thema Aufklärung und ein bewusster Umgang sind auch für uns Erwachsene essentiell. Das Wichtigste ist, sich regelmäßig testen zu lassen. In Österreich ist das leider etwas schwieriger als in Deutschland, aber auch kostenlos möglich. Das Wichtigste ist, dass man weiß, dass man auch Geschlechtskrankheiten im Hals oder im Anus haben kann. Und dass man manche auch mit Kondom bekommen kann und viele davon keine Symptome zeigen. Und deswegen ist das Testen essentiell.

Jana: Und natürlich eine Gesellschaft, die sich mit Consent auskennt und in der es keine sexuelle Gewalt gibt. Das fände ich sehr, sehr toll.

k.at: Was bedeutet Consent?

Janina: Consent ist das Einverständnis aller Beteiligten. Also zu allem, was man möchte, ‘ja’ zu sagen, und ‘nein’ zu sagen, zu dem, was man nicht möchte. Und wenn man ‘vielleicht’ sagt, ist es auf jeden Fall ‘nein’.

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