Hört auf, das "Bare Minimum" in Beziehungen zu romantisieren!

Hört auf, das "Bare Minimum" in Beziehungen zu romantisieren!
Anstand, Liebe, Respekt: Ist das Nötigste in einer Beziehung wirklich genug? Wir finden, dass das Bare Minimum nicht ausreicht.

Beziehungen sind nicht einfach. Das ist wohl ein offenes Geheimnis. Jemanden an unserer Seite zu haben, der uns liebt und schätzt, wird von vielen von uns als eine Art "Luxus" angesehen. Ich persönlich habe immer mehr das Gefühl, dass Romantik und Anstand in unserer heutigen Gesellschaft zur Mangelware geworden sind. Und ich habe die große Befürchtung, dass vor allem Online-Dating dazu beiträgt. 

Wir klicken und swipen uns auf Dating-Apps durch Profile und hoffen, dass wir durch unseren Bildschirm die nächste große Liebe kennenlernen. In Zeiten der Digitalisierung und der Pandemie ist Online-Dating einfach essenziell, wenn man eine Partnerschaft finden möchte.

Wenn wir dann auch noch eine Person matchen, die nicht nur die schnelle Nummer sucht, ist es schon um uns geschehen. Wow, er oder sie möchte sich tatsächlich auf jemanden einlassen? Wie beeindruckend! Denn immerhin haben wir auf Tinder, Bumble & Co. stets die Möglichkeit, neue potenzielle Matches zu finden. Wenn es dann tatsächlich passiert, dass sich eine Person Zeit nehmen möchte, uns kennenzulernen, dann sind wir direkt hin und weg.

So nehmen wir diesen Menschen dann oftmals her und stellen ihn auf ein Podest. Und mit ihm auch gleich all die anderen Dinge, die das "Bare Minimum" in einer Beziehung darstellen.

Was ist das Bare Minimum?

Immer häufiger lesen wir diesen Begriff im Internet. "Bare Minimum" bedeutet im Englischen "das absolut Nötigste" – und genau DAS wird in Sachen Liebe unglaublich glorifiziert, wenn ihr mich fragt.

  • Dein/e PartnerIn nimmt deine Sorgen und Ängste ernst?
  • Er/sie sieht dir beim Gespräch in die Augen, anstatt auf sein/ihr Handy zu starren
  • und schreibt dir sogar zurück, wenn er/sie mit FreundInnen unterwegs ist?

Falls du denkst, dass sich das nach einem Jackpot anhört, dann liegst du falsch. Die Person tut einfach nur das Nötigste, was in einer Beziehung gang und gäbe sein sollte. Ich habe das Gefühl, dass sich viele von uns damit abfinden, dass das "Bare Minimum" in der Liebe schon genug Aufwand ist. Dabei ist das meiner Ansicht nach eine absolut toxische Einstellung. Liebe kann und muss doch einfach mehr sein, oder?

Wir werden aus jeder Ecke angeschrien, dass wir uns selbst lieben sollen, uns nicht auf "weniger, als wir verdienen" einlassen dürfen und unsere Ansprüche so hoch wie möglich halten müssen. Wir sind angebliche "Boss Ladies" und "Alpha Men", die wissen, was sie wollen.

Und dann gehen wir eine Beziehung ein, in der wir total aus dem Häuschen sind, wenn unsere PartnerInnen nicht fremdgehen und uns respektieren? "DJ, halt die Platte an, ich glaub da ist ein Sprung" – mein Gehirn setzt jedes einzelne Mal aus, wenn ich mitbekomme, dass jemand in meinem Umfeld das "Bare Minimum" gutheißt.

Liebe, Respekt, Loyalität und Anstand sind Kernpunkte einer Beziehung, die uns nicht gleich ein feuchtes Höschen bescheren sollten. Dass uns unsere PartnerInnen wie Menschen behandeln, verdient keine Medaille. Es sollte selbstverständlich sein. 

Doch warum zur Hölle fahren wir dann so darauf ab? 

Sind unsere Urinstinkte schuld...?

Dass das "Bare Minimum" in Beziehungen für viele schon ein Jackpot ist, konnte ich bisher häufig bei Frauen beobachten, die heterosexuelle Männer daten. Sie werden gefeiert, wenn sie die Periode ihrer Freundin nicht eklig finden oder sie trösten können, wenn sie weint. Sie auch mal den Abwasch tätigen oder ihre Mutter gut behandeln.

In den sozialen Medien findet man immer wieder Videos, die ein solches Verhalten glorifizieren. Für mich absolut unverständlich, denn warum sollte es so toll sein, wenn er einfach das tut, was sowieso klar sein sollte?

Die Ehe- und Familientherapeutin Moraya Seeger DaGeare erklärte gegenüber "Refinery29", dass diese Anziehung gegenüber Männern, die nur das Nötigste in der Partnerschaft tun, in unseren Urinstinkten verwurzelt sein soll. "Das hat eine genetische Ursache: Der Mann in Frage tut Dinge, die du an einem Partner schätzt, und das findest du superheiß", sagte die Expertin. Dieses Verhalten löst also ein "hormonelle, viszerale Reaktion des Verlangens in uns aus." 

... oder doch das Patriarchat?

Dabei soll auch das Patriarchat eine Rolle spielen, denn laut der Therapeutin haben sich "Frauen um alles zu kümmern" – vor allem um Männer. Das wird uns schon seit Jahren gepredigt und in die Wiege gelegt – und das auch, obwohl der Feminismus auf dem Vormarsch ist. 

Deswegen werden viele von uns so darauf konditioniert, dass wir nur mehr das Allernötigste von Männern erwarten: "Weil unsere Wünsche so oft enttäuscht werden, veranstalten wir beinahe eine Parade, sobald dann ein Mann auch nur das absolute Minimum leistet."

Laut der Expertin ist also die "Sehnsucht" nach so einem Männertyp eher ein Schutzmechanismus, um nicht mehr enttäuscht zu werden. Würden wir unsere Ansprüche hochschrauben, würde auch das Risiko steigen, eine weitere Enttäuschung in Sachen Liebe einstecken zu müssen – und genau das möchten wir vermeiden. 

Zudem führt diese Art von Romantisierung dazu, dass wir mit Scheuklappen durch die Welt gehen. Wir haben das Gefühl, dass "Mr. Nice Guy" (oder Mrs. Nice Girl!) ausgestorben ist und wir einfach nicht mehr erwarten können.

Das ist meiner Meinung nach falsch. Mit so einer Einstellung spielen wir den heutigen Dating-Vorlieben und der darauffolgenden Frustration in die Hände. Ich denke, dass es definitiv nicht zu viel verlangt sein kann, dass mich mein/e PartnerIn gut behandelt. 

Das Nötigste ist nicht die Liebe, die du verdienst!

Fassen wir noch einmal zusammen: Wenn dein/e PartnerIn einmal den Müll rausträgt, sich selbstständig darum kümmert, was ihr beim nächsten Date macht, oder endlich einmal abhebt, wenn du sie/ihn anrufst, dann hat dein Schatz keine Standing Ovation verdient. 

Es scheint, als würden wir in der heutigen Gesellschaft nur mehr toxische Beziehungsmodelle mit manipulativen Verhaltensweisen, Eifersucht und Fremdgehen kennen, sodass wir gar nicht mehr wissen, dass es selbstverständlich sein sollte, seine Liebsten gut zu behandeln. 

Vergiss nicht: Das absolut Nötigste in einer Partnerschaft ist nicht die Liebe, die du tatsächlich verdienst. Es ist okay, Ansprüche zu haben, und es ist auch vollkommen in Ordnung, seinem/seiner PartnerIn zu verdeutlichen, dass man mehr als das "Bare Minimum" erwartet. 

Wir haben alle unterschiedliche Erwartungen und Vorstellungen einer Beziehung – und es sollte uns allen bewusst sein, dass unser Herzblatt kein Schloss für uns bauen kann. So realistisch müssen wir schon sein. Wenn man jedoch jemanden aufrichtig mag und mit ihm oder ihr sein Leben verbringen möchte, dann sollte es keine glorreiche Errungenschaft sein, wenn er oder sie dich tatsächlich aufrichtig liebt oder respektiert. 

Merke dir: Lass dir deinen Selbstwert nicht absprechen, nur weil du Angst hast, keine Beziehung zu finden oder nicht geliebt zu werden. Es gibt für jede/n da draußen eine Person, die uns genau dieselbe Liebe zurückgeben wird, die wir zur Verfügung stellen. Und bis du den passenden Deckel für deinen Topf gefunden hast, solltest du es vermeiden, dich an zu heißen Herdplatten zu verbrennen!

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