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Warum ich niemals eine offene Beziehung führen werde

Können offene Beziehungen wirklich funktionieren und vor allem glücklich machen? Wir erklären, was genau dahintersteckt.
Selma Tahirovic Selma Tahirovic

Als ich letztens wieder mit einer Packung M&Ms und ein wenig Optimismus die Dating-App Tinder geöffnet habe, sind mir neben Standardfloskeln in den Biografien meiner Matches ("Zu Vino sag ich nie no") auch einige andere interessante Merkmale aufgefallen.

Immer mehr User(Innen) sind offenbar in einer offenen Beziehung – und suchen auf Tinder nach Spaß oder neuen Bekanntschaften. Der Hang zur Polyamorie und zu offenen Liebschaften hat in den letzten Jahren meines Erachtens nach stark zugenommen – kein Wunder, denn eine Schweizer Studie aus dem letzten Jahr zeigt, dass 61 Prozent der 18- bis 25-Jährigen der Meinung ist, dass nicht-monogame Beziehungsformen in Zukunft akzeptiert und normal sein werden.

Doch kann eine Partnerschaft wirklich funktionieren, wenn man nebenbei noch andere Personen datet und mit ihnen sogar intim wird? 

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Was ist eine offene Beziehung? 

Unter einer offenen Beziehung versteht man ein Partnerschaftsmodell, das zwei PartnerInnen beinhaltet, die neben ihrer Liebesbeziehung auch weitere (meist sexuelle) Beziehungen zu anderen Personen führen. 

Der Schlüsselfaktor dieses Prinzips soll vor allem Ehrlichkeit sein. Man erzählt also seinem/seiner PartnerIn davon, wenn man sich mit anderen Menschen trifft oder mit ihnen verkehrt. Wie viel die Liebenden von ihren Erfahrungen teilen, ist ihnen überlassen. Manche PartnerInnen erzählen sich alles von ihren Dates und Sexerlebnissen, andere wissen zwar Bescheid, möchten jedoch nichts von den Erfahrungen ihres Schatzes wissen. 

Häufig sind beide PartnerInnen Teil der offenen Beziehung, manchmal bekommt aber auch nur ein/e PartnerIn diesen "Freipass". Das Wichtigste dabei ist vor allem, dass diese Entscheidung einvernehmlich beschlossen wird – und beide Liebenden zustimmen. Alles andere wäre in diesem Fall quasi Fremdgehen, da es hinter dem Rücken des/der Liebsten passiert.

Ob sich der Kontakt mit den anderen Personen außerhalb der "Hauptbeziehung" nur auf Sex bezieht oder Emotionen involviert sein dürfen, machen sich die PartnerInnen meist selbst aus. Letzteres würde jedoch in den Bereich der Polyamorie übergehen – so werden Beziehungsformen beschrieben, in denen sich mehrere Personen gleichzeitig lieben und auch zusammen sind.

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Kann eine offene Beziehung bereichernd sein?

Während ich mir also eine dritte Hand voller M&Ms in den Mund stopfe, bekomme ich plötzlich die Benachrichtigung für ein neues Tinder-Match. Nach kurzem Small Talk schreibe ich mit F. über seinen Beziehungsstatus. Er erklärt mir, dass er sein sogenanntes "Singleleben" genießt, obwohl er in einer heterosexuellen, offenen Beziehung steckt.

Laut F. sei es eine tolle Erfahrung, er würde seither mit seiner Partnerin besser kommunizieren können – denn wer Vertrauen hat, soll von diesem Partnerschaftsmodell besonders profitieren können. Für F. ist klar: Eine Beziehung sollte nicht durch Besitzansprüche geprägt sein. Deshalb sei es für ihn und seine Freundin auch kein Problem, etwas mit anderen Personen anzubandeln oder intim zu werden. 

Die britische Beziehungsexpertin Jessica Warren sieht das auch so: Sie erklärte gegenüber "Metro", dass beispielsweise "Freipässe" in monogamen Beziehungen oder generell offene Partnerschaften oft dazu führen können, dass Liebende ihre (sexuellen) "Wünsche offen und ehrlich miteinander teilen können".

Die "Angst" davor, betrogen zu werden, fällt weg, da man offen darüber spricht, andere Personen kennenzulernen. Man kann sich dabei entweder allein oder mit seinem Schatz "ausleben", weil der/die PartnerIn in der Regel Bescheid weiß und einverstanden ist. 

Die Expertin warnte jedoch davor, dass die Entscheidung, eine Zeit lang eine offene Beziehung zu führen, oder in monogamen Partnerschaften zwischendurch Techtelmechtel mit anderen Personen zu erlauben, nicht mit jedem/jeder PartnerIn funktioniert.

Wer schnell eifersüchtig wird oder einen zu großen "Glauben" an die Monogamie hat, könnte schnell unglücklich werden, meint Warren. Sie würde empfehlen, den Wunsch und das Verlangen nach einer offenen Beziehung "schrittweise und liebevoll" anzusprechen. 

Könnten also offene Beziehungsformen tatsächlich bald die Zukunft sein?

Der Schweizer Verein bunt_lieben setzt sich für eine Vielfalt von Beziehungen ein und weist auf Instagram darauf hin, dass es auch "toxische monogame Vorstellungen" gibt: Demnach würde unsere Gesellschaft Beziehungen nur dann als "wirklich seriös" ansehen, wenn sie monogam seien.

Das sei jedoch nicht fair – denn auch wer eine offene oder polyamoröse Beziehung führt, kann ernsthaft lieben. 

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Offene Beziehung? Nein, danke!

Obwohl mir F. sympathisch ist, mache ich ihm in unserem Gespräch schnell klar, dass ich die Finger von vergebenen Menschen lasse – auch wenn sie in einer offenen Beziehung stecken. Nachdem mich mein Match fragt, ob es mir emotional zu stressig wäre, höre ich kurz auf zu tippen, höre in mich und muss ihm schlussendlich zustimmen. 

Mit Gefühlen ist es immer so eine Sache beim Daten: Meiner Meinung nach kann man sie einfach nicht kontrollieren. Natürlich weiß man von Anfang an, worauf man sich einlässt, wenn man einen Menschen kennenlernt, der in einer offenen Beziehung ist. Wenn sich trotzdem Gefühle entwickeln, kann das für den Single schnell schmerzhaft werden. Interessiere ich mich für die Person plötzlich doch mehr im romantischen Sinne, werde ich immer mit dem Gefühl zu kämpfen haben, dass ich nicht "die Einzige" bin. 

Zudem habe ich zu viel Respekt vor Beziehungen – ich möchte nicht der Grund sein, warum sich zwei Liebende streiten. Egal, ob der Kontakt mit mir abgemacht war oder nicht. 

Für mich persönlich würde eine offene Beziehung nicht infrage kommen. Vielleicht bin ich da zu romantisch, aber für mich ist die Partnerschaft zwischen zwei Personen immer noch das Nonplusultra oder eben ein Versprechen. Ich sehe offene Beziehungen daher eher als eine Art und Weise, weiterhin (sexuell) Spaß zu haben und danach immer wieder in seinen sicheren emotionalen und sexuellen "Hafen" zurückkehren zu können.

Ich möchte hier niemandem eine Beziehungsform schlechtreden – ich habe nur das Gefühl, dass einige Menschen eine offene Partnerschaft als äußerst bequem ansehen. Ich frage mich häufig, warum man sich überhaupt in einer Beziehung befindet, wenn man ohnehin mit anderen PartnerInnen verkehren will? Die "Hauptbeziehung" bleibt in diesem Szenario immer der Ort, an den man zurückkehren kann. Gehen einem die Gspusis aus, ist das kein Drama, weil der/die PartnerIn ja sowieso vorhanden ist. 

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Liebe? Ja bitte, aber nur gepaart mit Ehrlichkeit!

Die Ansichten in Sachen Dating und Liebe ändern sich laufend. Natürlich gibt es viele Pärchen da draußen, die sich nach einigen monogamen Jahren dazu entschließen, ihre Beziehung zu öffnen und neue Erfahrungen zu sammeln, ohne ihre Liebe zu gefährden.

Andererseits habe ich auch das Gefühl, dass es viele Personen gibt, die in einer offenen Beziehung stecken und dabei unglücklich sind, weil sie dies nur aus Liebe zu ihren PartnerInnen beschlossen haben. 

Wer sich in seiner Beziehung sicher genug fühlt und damit umgehen kann, dass die geliebte Person sich mit anderen trifft und sogar verkehrt, der soll dies auch genießen. Ich finde jedoch, dass diese Entscheidung eine sehr gut überlegte sein sollte, da gebrochene Herzen und vollgerotzte Taschentücher schnell die Folge sein können. 

Egal ob monogam, offen oder polyamorös: Ehrlichkeit sollte immer an oberster Stelle stehen. In puncto Treue haben viele Beziehungen einfach ihre eigenen Regeln – und das ist auch gut so, solange alles mit Konsens passiert.