Polyamorie ist trendy, aber fehlt die Aufklärung?

Wird Polyamorie falsch verstanden?
Was steckt hinter dem Konzept von Polyamorie? Wird dies missverstanden und als Freifahrtschein eingesetzt?

Swiped man dieser Tage auf Dating Apps, so wird man mit vielen verschiedenen Liebeskonzepten konfrontiert. Sapiosexualität, Bisexualität, oder auch Polyamorie. Schön! Denn viele Plattformen bieten eine Bandbreite an Optionen, um die eigenen romantischen Vorlieben zu zelebrieren. Speziell letzteres fällt bei Online-Profilen immer öfter ins Auge – in der Angabe der sexuellen Präferenzen steht oft einfach nur das Wort "poly", manchmal in Kombination mit einem Sparkle-Emoji. Aber sind wirklich alle, die ihre Sexualität auf Apps als polyamor deklarieren ein Teil der Community und wissen, was im Detail dazu gehört, diesen Lifestyle erfolgreich zu leben?

K.at hat sich umgehört und mit jemandem gesprochen, der erste Erfahrungen mit Polyamorie gemacht hat.

In Deutschland identifizieren sich laut einer Schätzung circa 10.000 Menschen als polyamor, wie "Deutschlandfunk" berichtet. Ein vergleichsmäßig kleiner Anteil der Gesellschaft, wenn man dies mit der Häufigkeit vergleicht, mit der man heutzutage (subjektiv) in Gesprächen und auf Dating-Apps über diese Liebesform stolpert. In Österreich gibt es keine genauen Angaben dazu, wie viele Personen polyamorös leben. Laut einer Statistik aus dem Jahr 2021 ist aber für 81 Prozent der EinwohnerInnen das Thema Treue der entscheidende Punkt in Partnerschaften. Scheidungsraten gehen zurück und Zuverlässigkeit genießt einen sehr hohen Stellenwert.

Das alles sind Themen, die in polyamorösen Beziehungen nicht fehlen, aber durchaus anders ausgelebt werden.

Wie entstand Monogamie?

Laut "Spektrum" leben nur ein kleiner Prozentsatz der Säugetierarten paarweise in einer sexuell exklusiven Bindung. Weshalb sich dies bei Menschen so entwickelt hat, könnte mehrere Gründe haben: eventuell ein leichterer Zugang zum/r GeschlechtspartnerIn, bessere Voraussetzungen für gesunden Nachwuchs, beziehungsweise die Sicherstellung des menschlichen Überlebens.

Der Anthropologe Bernard Chapais erklärt in "der Standard" sogar, dass Monogamie die Wurzel des Erfolgs für kulturelle Evolution war. So sollen männliche Urmenschen dadurch erstmals ihre eigenen Kinder erkannt und ein familiäres Bündnis entwickelt haben, was dazu führte, dass sich die Aggression zwischen einzelnen Horden verringerte und Kooperation gefördert wurde.

Monogamie als Erfindung?

"DW" geht sogar einen Schritt weiter und spricht davon, dass Monogamie "nur eine Erfindung" sei. Es wird die Paar- und Sexualtherapeutin Gertrud Wolf zitiert, die erklärt: "Menschen sind von Natur aus nicht monogam". Monogamie als Konzept sei eine "Kulturleistung des Menschen", also quasi "eine Erfindung" – jedoch eine, die auch Sinn ergibt.

Wolf beschreibt nämlich zwei Formen der Sexualität – einerseits als reines Körperbedürfnis, die reine Trieb-Befriedigung und aber auch "Sexualität als Kulturform", die Stärkung der Bindung zwischen Menschen. Wer miteinander schläft schüttet beim Orgasmus das Bindungshormon Oxytocin aus und auch emotional trägt Geschlechtsverkehr dazu bei, sich potenziell tiefer zu verlieben und zu binden.

Definition Polyamorie

"Eros & Du", die psychologische Paar- und Sexualberatung in Wien definiert Polyamorie als Sammelbegriff. Verschiedene Lebens- und Beziehungsformen abseits der Monogamie fallen in den Überbegriff "Poly". Dabei soll der Kommunikationsaspekt sehr wichtig sein, da diese Art von Beziehungen nach speziell definierten Regeln ablaufen würden, die es immer wieder neu zu verhandeln gilt. Zu Polyamorie zählen Primärbeziehungen, Sekundärbeziehungen, offene Beziehungen und Beziehungsnetzwerke.

Nicht immer steht die Sexualität dabei im Vordergrund, sondern vor allem die emotionalen Beziehungen zu mehreren Menschen gleichzeitig definieren ein polyamores Leben.

Was bedeutet Polygamie?

Im Unterschied dazu, definiert sich Polygamie laut "Spektrum" als eine Eheform, bei der mehr als zwei Personen miteinander verheiratet/zusammen sind. Vielehen sind in den meisten Ländern dieser Erde gesetzlich verboten. Evolutionsbiologisch gesehen sollen sich polygame Populationen im Vergleich zu monogamen Populationen vor allem auch darin unterscheiden, dass ein Geschlecht stärker an der Fortpflanzung beteiligt ist als das andere. Dies sei soziologisch betrachtet am häufigsten die sogenannte Form von Polygonie, also ein Männchen verkehrt mit mehreren Weibchen.

Am Ende also zum Vorteil für das männliche Geschlecht?

Polyamorie unter den Geschlechtern

Wollen sich gleich viele Frauen wie Männer in polyamoröse Beziehungen begeben? Laut "Statista" gaben im Jahr 2017 29 Prozent der deutschen Frauen an, sich eine polyamoröse Beziehung vorstellen zu können. Bei den befragten Männern waren es 28 Prozent.

Eine Studie der Universität Swansea im Vereinigten Königreich zeigt, dass ein Drittel der Männer und eine von zehn Frauen offen dafür sind, mehr als eine:n romantische:n Partner:in zu haben. An der Untersuchung, an der 393 heterosexuelle Männer und Frauen teilgenommen haben, wies ein unterschiedliches Maß an "Offenheit" für solche Beziehungsformen auf. 

  • Etwa 33 Prozent der in Großbritannien befragten Männer erklärten sich bereit, den Gedanken in Betracht zu ziehen, mehr als eine Frau oder Langzeitfreundin in einer festen Partnerschaft zu haben, wenn dies legal und einvernehmlich wäre. 
  • Im Gegensatz dazu zeigten sich nur elf Prozent der Frauen ähnlich aufgeschlossen gegenüber dem Konzept der polygamen Ehe.
  • Neun Prozent der befragten Männer wären bereit, eine;n Partner:in zu teilen, während nur fünf Prozent der Frauen zustimmten.

Persönliche Erfahrung mit Polyamorie

Die k.at-Redaktion hat nachgefragt und schnell gemerkt, dass Polyamorie vielleicht noch immer ein Tabuthema in der Gesellschaft darstellt. Einige Personen wollten lieber nicht öffentlich über ihre Erfahrungen mit polyamorösen Beziehungen sprechen. Welche Hürden und Herausforderungen gibt es jedoch in einer polyamorösen Dynamik, die Poly-Interessierten vielleicht vorab nicht vollends bewusst sein könnten?

Luis (27) hatte eine kürzere Erfahrung mit Polyamorie. Ausschlaggebend dafür, war der Drang sexuell zu experimentieren und neue Beziehungsformen zu entdecken: "Ich glaube es geht vielen jungen Menschen so wie mir. Poly klingt irgendwie spannend und anders. Mit Monogamie hatte ich halt immer meine Probleme." Über eine Dating-App kam er mit einer Freundesgruppe in Berührung, die polyamor lebte und in die er sich für kurze Zeit eingliedern durfte. Nach mehreren Treffen und gemeinsamen Events merkte er aber, dass in diesem speziellen Konstrukt nichts so war, wie es schien: "Oberflächlich wirkte alles wie heile Welt, weil jede/r Spaß miteinander hatte. Aber schnell hab ich dann gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt. Die Kommunikation hat nicht immer gepasst und es gab zu meiner Verwunderung auch Eifersucht und Drama."

Schließlich gestand sich Luis ein, dass er sich hauptsächlich wegen sexuellen Interessen auf das "Poly-Experiment" eingelassen und unterschätzt hat, wieviel an Beziehungsarbeit und Konfliktlösung dazu gehört: "In einer Zweierbeziehung muss ich es mir nur mit einer einzelnen Person ausmachen. Bei Poly muss ich ständig mit mehreren Leuten über jedes Detail reden. Das gehört einfach dazu, weil man auf alle Gefühle aufpassen muss. Ich habe vielleicht unterschätzt, wie viele Leute da wirklich in einer Situation drinhängen."

Dass Luis Situation bestimmt nicht stellvertretend für alle polymorösen Erfahrungen steht, ist selbstredend. Doch gerade Menschen, die sich dafür interessieren Polyamorie zu entdecken, sollten (wie oben von ExpertInnen erwähnt) die emotionale Arbeit, die damit einhergeht nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sexuelles Experimentieren kann aufregend und bereichernd sein, jedoch will die "Sex-Aftercare" und Beziehungsarbeit nicht vergessen werden. Nur so können alle Beteiligten eine gute Erfahrung machen und geben dem Konzept vielleicht doch längerfristig eine Chance als nur für den einen Swipe nach rechts.

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