Expertin erklärt: Gibt es tatsächlich einen vaginalen Orgasmus?

Expertin erklärt: Gibt es tatsächlich einen vaginalen Orgasmus?
ungeniert
Kommt man vaginal "anders"? Und gibt es solche Orgasmen wirklich? Sexologin Monika Seidel erklärt, was dahinter steckt!

Um das Thema Sex und Lust zu enttabuisieren, haben wir das Format "ungeniert - Lippenbekenntnisse der Redaktion" ins Leben gerufen. Dieses soll einen informativen 'Safe Space' zur Aufklärung bieten. Es erscheint zweimal monatlich auf k.at.

Orgasmen sind nicht alles – oder doch?

Vor einigen Jahren war es für mich noch "unmöglich"2, beim Sex zu kommen. Hatte es zwar beim Oralverkehr öfter geklappt, bekam ich beim Akt selbst kaum eine Chance darauf, einen Höhepunkt zu erleben. Nun, es ist natürlich nicht das Hauptziel, beim Sex einen Orgasmus zu erleben – ein tolles "Goodie" ist es aber allemal! Ich erinnere mich, dass ich versucht habe, an meiner Klitoris zu reiben, mich ganz stark zu konzentrieren und Stoßgebete in den Himmel zu senden. Doch irgendwie klappte es einfach nicht. War ich tatsächlich ein Teil der Frauen, die keinen Orgasmus beim Sex hervorzaubern konnten? Egal, ob ich mich zusätzlich klitoral stimulierte, oder nicht? 

Zumindest zeigte eine Studie aus dem Jahr 2018, dass nur 65 Prozent der heterosexuellen Frauen von über 24.100 weiblichen Befragten einen Höhepunkt beim Geschlechtsverkehr erlebten. Im Vergleich dazu erreichten 95 Prozent der heterosexuellen Männer (26.000 Befragte) regelmäßig einen Orgasmus beim Techtelmechtel.  

Ich freundete mich unfreiwillig mit diesem Gedanken an: Ich würde maximal beim Vorspiel kommen, alles andere wäre wohl nur Wunschdenken. 

Es war einmal... der Orgasmus meines Lebens

Alles ändere sich, als ich in einer Beziehung war und meinen damaligen Freund nach einer einmonatigen Reise wiedersah. Die Sehnsucht war groß, die Geilheit konstant und der Sex so lustvoll wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Das Erlebnis war extrem intensiv und plötzlich spüre ich etwas in meiner Vagina, was mich hellhörig werden ließ. Da war dieses Gefühl des intensiven Drucks, der sich bis in meinen Bauchraum erstreckte und ich mich mit beiden Händen an dem Hals meines damaligen Freundes festklammerte. "Hör nicht auf", drängte ich. "Egal, was du tust, hör auf KEINEN FALL auf." Mein Flehen half tatsächlich: Ich erlebte meinen ersten Orgasmus, der nur rein durch die Penetration entstand. Die Lustwelle durchströmte meinen Körper und ich hatte kurzzeitig das Gefühl, dass ich tausend Farben vor mir sehen konnte. 

Ich war high nach diesem Gefühl, ich wollte diese "Art" des Höhepunkts noch einmal erleben. Zwar konnte ich mittlerweile beim Oralverkehr auch immer regelmäßiger kommen, doch den Orgasmus beim Sex während der Penetration (und vielleicht auch noch durch die äußerliche Stimulation der Klitoris) machte mich süchtig. Ein paar Monate später passierte es wieder und dieses Mal war es so intensiv, dass ich zuerst zum Weinen und danach zum Lachen anfing. Mein damaliger Freund sah mich entgeistert an und war besorgt. Er wollte den Sex abbrechen, bis ich nicht Entwarnung gab: "Alles gut, ich bin okay. Ich hatte gerade nur den besten Orgasmus meines Lebens", antwortete ich fast atemlos. 

Heute bin ich nicht nur älter, sondern auch beim Geschlechtsverkehr selbstbewusster. Ich weiß, was mir gefällt, welche Knöpfe man drücken muss und wie ich penetriert werden muss, damit die intensiven Orgasmen beim Sex entstehen. Ein ganz klares Zeichen dafür, dass ein Höhepunkt gleich eintreten wird, ist die Tatsache, dass meine Füße während des Geschlechtsverkehrs plötzlich taub werden. Ich sehe es als "lustvolle Erdbebenwarnung" meines Körpers. 

Weibliche Orgasmen können sich nicht nur unglaublich gut anfühlen, sondern auch sehr spannend sein. Immerhin gibt es mehrere Arten, wie Frauen einen Höhepunkt wahrnehmen können (mehr dazu hier). Um das Thema besser verstehen zu können, habe ich der klinischen Sexologin Monika Seidel dazu einige Fragen gestellt. 

Gibt es einen Unterschied zwischen klitoralem und vaginalem Orgasmus? 

Expertin Seidel erklärt, dass man von einem klitoralen Orgasmus dann spricht, wenn "die Klitoris an der Vulva stimuliert wird." Um einen vaginalen Orgasmus handelt es sich, wenn "die Frau ohne zusätzliche klitorale Stimulation durch die reine Penetration zum Orgasmus kommt." Dies kann aber auch mit den Fingern oder auch einem Sextoy erfolgen. Wie Seidel weiter ausführt, gibt es dazu jedoch zu wenige Untersuchungen: "Einige Studien gehen davon aus, dass auch der vaginale Orgasmus indirekt ein klitoraler Orgasmus sei, weil die Klitoris ein viel größeres Organ ist, als ursprünglich gedacht. Die Klitoris verfügt über zwei Schenkel und zwei Schwellkörper, die in den Körper reichen", erklärt die Sexologin. "Ihr Nervengeflecht reicht bis in die Vagina und die geschwollenen Schwellkörper führen bei Erregung zu einer Verengung der Vagina und lassen diese viel empfindlicher auf Berührungen werden. All dies spielt beim vaginalen Höhepunkt eine wichtige Rolle. Es wird angenommen, dass durch die indirekte Stimulation der Klitoris die Frau zum vaginalen Orgasmus kommt."

Fühlen sich klitorale bzw. vaginale Orgasmen "anders" an?

"Das Orgasmusempfinden ist sehr individuell und eine Frau kann ganz viele unterschiedliche Wellen der Lust empfinden. Dadurch fühlen sich auch diese beiden Orgasmen anders an. Wahrscheinlich würde jede Frau dafür andere Worte finden", erklärt Seidel. "Wichtig ist, dass es keinen besseren oder schlechteren Höhepunkt gibt. Jeder Orgasmus ist wunderbar und richtig, so wie er ist, egal ob rein klitoral oder rein vaginal oder in Kombination."

Stimmt es, dass viele Frauen "vaginal" nicht zum Höhepunkt kommen können?

"Ja, das stimmt. Viele Frauen tun sich schwer, nur durch die Stimulation in der Vagina zum Höhepunkt zu kommen. Die Penetration reicht oft nicht aus, um die 'richtigen' lustvollen Areale in der Vagina zu stimulieren, egal ob der Penis klein oder groß ist", weiß die Sexologin. "Der G-Punkt und der A-Punkt, zwei Areale, die für Frauen sehr lustvoll sein können, liegen in der Vorderwand der Vagina, also zur Bauchdecke hin. Da braucht es ein bisschen den 'richtigen' Winkel bei der Penetration und natürlich müssen diese Areale erst zum Leben erweckt werden."

Hat der vaginale Orgasmus etwas mit dem G-Punkt zu tun? 

Laut Monika Seidel kann der vaginale Orgasmus auch etwas mit dem G-Punkt zu tun haben: "Es gibt Studien, die sagen, dass das klitorale Nervengewebe bis in den G-Punkt reiche und es somit eben ein indirekter klitoraler Orgasmus sei. Der G-Punkt kann zu einem sehr lustvollen Bereich erweckt werden, wenn er immer wieder berührt und stimuliert wird. Das heißt, wenn eine Frau in der Vagina beziehungsweise beim G-Punkt nichts spürt, so kann sich das noch ändern."

Wie die Expertin weiter ausführt, gibt es auch noch den A-Punkt, der "noch tiefer in der Vagina liegt, ebenso zur Bauchdecke hin kurz vorm Muttermund." Wird dieser stimuliert, kann dies ebenfalls zu einem sehr intensiven Orgasmus führen. "Auch hier gilt, dass dieser Bereich erst durch bewusstes Berühren und Hinspüren zum Leben erweckt werden muss", betont Seidel. 

Gibt es einen vergleichbaren Orgasmustypen beim Mann?

"Oft wird gesagt, dass die Prostata, wie der G-Punkt der Frau sei. Ein Orgasmus durch eine Prostatamassage kann für viele Männer als sehr intensiv empfunden werden", weiß Seidel.

Was sind die häufigsten Gründe dafür, dass man keinen Höhepunkt erreicht? 

Warum man beispielsweise beim Geschlechtsverkehr keinen Orgasmus erreicht, kann mehrere Gründe haben. Sexologin Monika Seidel hat einige davon aufgezählt: 

  • Zu wenig Kenntnis über den eigenen Körper. Vor allem darüber, wo und wie man berührt werden möchte und wie man die eigene Lust selbst steigern kann. Durch Bewegung, Atmung und Beckenbodenaktivierung. 
  • Die Vagina wurde noch nicht als das Lustorgan entdeckt, das sie eigentlich sein kann. Das kann daran liegen, dass der Mann zu wenig Wissen darüber hat, wie er den G-Punkt oder A-Punkt einer Frau stimulieren kann und/oder auch, weil die Frau sich selbst nur klitoral berührt und sie dadurch in der Vagina noch nicht so viel spüren kann. 
    Dass wir in der Vagina viel spüren können, braucht diese bewusste Berührung und ein achtsames Wahrnehmen dieser. So bilden sich immer mehr neuronale Synapsen und wir können immer mehr in der Vagina spüren. Es zahlt sich also aus, sich auch bei der Selbstbefriedigung mit der Vagina zu beschäftigen.
  • Es kann auch sein, dass die Frau sich generell beim Sex nicht fallen lassen kann, dass sie zu sehr verkopft ist und/oder nicht die Berührungen bekommt, die sie braucht, um beim Akt zu entspannen.
  • Auch der krampfhafte Versuch, einen Orgasmus erreichen zu wollen, steht dem Höhepunkt im Weg. Besser ist es, sich auf den Genuss zu fokussieren und auf das Entdecken toller Empfindungen am ganzen Körper und an der Vulva und Vagina – alleine oder mit dem/der Partner:in gemeinsam.

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