Videochat-Dienst Omegle geht nach 14 Jahren offline

Logitech Webcam montiert auf einem Bildschirm
"Ich habe Angst, dass es das Internet, in das ich mich verliebt habe, bald nicht mehr gibt."

"Das Internet öffnete mir die Tür zu einer viel größeren, vielfältigeren und lebendigeren Welt, als ich sie sonst hätte erleben können, und ermöglichte es mir, aktiv an dieser Welt teilzunehmen und zu ihr beizutragen", schreibt Leif K-Brooks in einem bedauerndem Statement auf "omegle.com", wo man normalerweise mit Fremden aus aller Welt videochatten konnte. Nach 14 Jahren stellt er den Betrieb der legendären Website ein. So wie Leif ermöglichte das Internet unzähligen unverstandenen Teenager:innen, die Welt trotzdem zu entdecken. Seine Vision war es, dieses Geschenk weiterzugeben.

Auf Omegle wurde man via Videochat mit einer zufälligen Person verbunden. Mit einem Klick konnte man die Konversation beenden, oder man kam zur nächsten Person weiter.

Vision hinter Omegle

Als junger Teenager konnte er nicht einfach auf einen College-Campus spazieren und zu einem Studenten sagen: "Lass uns über Moralphilosophie debattieren!" Er konnte nicht auf einen Professor zugehen und sagen: "Erzählen Sie mir etwas Interessantes über Mikroökonomie!" Aber online konnte er diese Leute treffen und diese Gespräche führen. Online gab es keine Barrieren, außer die wichtigste Barriere überhaupt: Distanz.

"Als Überlebender einer Vergewaltigung in der Kindheit war ich mir außerdem bewusst, dass ich jedes Mal, wenn ich mit jemandem in der physischen Welt interagierte, meinen physischen Körper riskierte", schreibt Gründer Leif in seinem Statement.

Als 18-Jähriger stellte er die Website zum ersten Mal online. Binnen kurzer Zeit verbreitete sich die Website überall auf der Welt und wurde zum Internet-Phänomen gegen Langeweile. Zahllose Millennials und Zoomer verbrachten ihre Übernachtungs-Partys damit, mit fremden Menschen aus aller Welt per Video zu chatten. Eine Konversation auf Knopfdruck, das war die Grundidee von Gründer Leif.

"Wenn das Internet eine Manifestation des 'globalen Dorfes' ist, dann sollte Omegle eine Möglichkeit sein, eine Straße in diesem Dorf entlangzuschlendern und mit den Leuten, die man unterwegs trifft, ins Gespräch zu kommen", resümiert er.

Kritik an Omegle

Doch warum wurde der Dienst schlussendlich offline genommen? "Es kann keine ehrliche Bewertung von Omegle geben, ohne zuzugeben, dass einige Leute es missbraucht haben, auch um unsagbar abscheuliche Verbrechen zu begehen." In weiterer Folge äußert er Kritik an der Gesellschaft. Es erscheint ihm, "als wäre die Gesellschaft niederträchtiger geworden".  Außerdem bemängelt er die "zunehmend fehlende Menschlichkeit", vor allem in zwischenmenschlicher Kommunikation. 

Leif K-Brooks nennt auch "eine ständige Flut von Angriffen auf Kommunikationsdienste" als Grund für die Schließung des Dienstes. Auch Omegle sei davon betroffen gewesen. Der Stress sei für ihn zu viel: "Der Betrieb von Omegle ist [für mich] nicht mehr tragbar, weder finanziell noch psychologisch. Ehrlich gesagt, möchte ich in meinen Dreißigern keinen Herzinfarkt erleiden."

Omegle war ein Sprachrohr. Was letztendlich dadurch kommuniziert wurde, lag bei den Nutzer:innen. Trotzdem musste sich das Unternehmen immer und immer wieder anhören, nicht genug für den Schutz der Nutzer:innen zu leisten. Der Gründer vergleicht Omegle mit einem Telefon: "Das Telefon kann benutzt werden, um der Großmutter zum Geburtstag zu gratulieren, aber auch, um eine Bombendrohung zu übermitteln."

Nichtsdestotrotz kann man sagen, dass uneingeschränkter Kontakt zu Fremden im Internet ein Risiko ist. Besonders für Kinder und Jugendliche ist es ein Risiko, welches es in einer idealen Welt nicht geben sollte – leider ist unsere das nicht.

Mit Omegle geht ein Zeitzeuge des Internets Blütezeit dahin. Ich erinnere mich gerne an die schönen Gespräche, die ich auf der Website hatte, aber auch an die komischen, eigenartigen Menschen, die ich dort treffen durfte. Durch Omegle habe ich gelernt, dass ich aktiv am Internet teilnehmen kann, und dass ich mir auch im Internet nichts gefallen lassen muss!

Kommentare