Zum Orgasmus atmen? Sexologin erklärt, wie das funktioniert

Titelbild von ungeniert: Mittel- und Ringfinger stecken in halber Grapefruit
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Wie Orgasmus und Atmung zusammenhängen und warum du damit deinen Alltag verbessern kannst, erklärt uns Expertin Monika Seidel.

Um das Thema Sex, Körper und Lust zu enttabuisieren, haben wir das Format "ungeniert - Lippenbekenntnisse der Redaktion" ins Leben gerufen. Dieses soll einen informativen 'Safe Space' zur Aufklärung bieten. Es erscheint zweimal monatlich auf k.at.

Stimmt es, dass man sich zum Höhepunkt atmen kann und wenn ja, wie funktioniert das überhaupt? Die österreichische klinische Sexologin & Sexological Bodyworkerin Monika Seidel, die unter anderem Sexualberatung und Paarcoachings anbietet (mehr Infos dazu hier!), hat die Antworten und verrät im "ungeniert"-Interview, wie man mit bewusster Atmung (nicht nur) das Sexleben auf ein höheres Niveau heben kann.

"Der Orgasmus überrollte mich wie eine Welle"

Doch bevor wir ins Interview starten, folgt noch eine Anekdote von "ungeniert"-Autorin Candy Intensity:

Als ich mich letztens mit meinem Druckwellenvibrator ins Schlafzimmer verzogen habe, überkam es mich kurz vorm Höhepunkt und ich hatte instinktiv das Bedürfnis, besonders bewusst und schnell zu atmen. Genau genommen atmete ich rasch ein und presste die Luft regelrecht aus, sodass der Luftstrom ein stöhnendes Geräusch erzeugte. Das fühlte sich zwar ungewohnt an und war für mich persönlich auch ein wenig schambehaftet, gleichzeitig erregte es mich dermaßen, dass ich am ganzen Körper Gänsehaut hatte.

Dann lief alles wie in einem Film ab: Der Orgasmus kam schneller als erwartet und überrollte mich wie eine Welle. Ich fühlte mich nahe bei mir und doch so, als würde ich in anderen Sphären schweben. Okay, wow, was war das? Und kann man so ein Erlebnis immer wieder bewusst herbeiführen?

Sexologin Monika Seidel klärt im Interview auf.

Atmung hat großen Einfluss auf Sexualität

"Atmung hat einen großen Einfluss auf unsere Sexualität, weil diese auch Auswirkungen auf unser unwillkürliches Nervensystem hat, das wiederum unser Lustempfinden, unsere Sexualität und unseren ganzen Orgasmus beeinflusst", so die Sexological Bodyworkerin. Seidel erklärt, inwiefern das vegetative Nervensystem an unserer (sexuellen) Erregung beteiligt ist: "Dieses unwillkürliche Nervensystem besteht aus zwei Hauptnerven, dem Parasympathikus, das ist der Entspannungsnerv. Wenn der aktiv ist, kommen wir in die Lust, dann werden auch Beckenboden und unsere Genitalien gut durchblutet. Und dem Gegenspieler, dem Sympathikus, der Stressnerv, der kann der Lust und der Entspannung im Weg stehen. Das merkt man im Alltag daran, dass man schwerer in die Lust kommt, wenn man viel zu tun hat."

Was tun, wenn Männer zu schnell kommen?

Vor allem für Männer, die das Problem haben, zu schnell und zu unkontrolliert zum Höhepunkt zu kommen, kann das Erlernen einer bewussten Atmung äußerst hilfreich sein, betont Monika Seidel. "Zuständig für den Orgasmus ist ja der Sympathikus und wenn Männer sehr gepresst oder sehr schnell und oberflächlich atmen, dann wird der Sympathikus aktiviert und es führt zu diesem ungewollten Orgasmus. Da wäre es von Vorteil, wenn die Männer lernen, bewusster sowie langsamer zu atmen und überhaupt den Fokus auf die Atmung zu lenken."

Wie kann man sich nun alleine durch die Atmung in die Erregung oder gar zum Höhepunkt bringen?

Zum Orgasmus atmen: Wie funktioniert das?

Seidel erklärt, dass es in der Regel zwei Arten von Atemtechniken braucht. Zum einen die tiefe, langsame, bewusste Bauchatmung, welche die Entspannung fördert, den Beckenraum öffnet, die Lust steigert und den Parasympathikus aktiviert. Im Anschluss kann man sich gezielt höher bringen mit einer schnelleren, intensiveren Atmung. "Und da klettert man dann die Erregungskurve hinauf", weiß die Expertin. Der Herzschlag beschleunigt, die Anspannung steigt: Durch diese forcierte Atmung kommt es zu einer Art Hyperventilation im Körper, welche einen Trancezustand zur Folge haben kann, in dem wir hemmungsloser sind und direkt auf den Höhepunkt zusteuern. 

Sie erklärt, dass es ganz wichtig ist, dass die Atmung fließend und nicht gepresst oder verkrampft ist. 

➞ Ist die Lust jedoch schon voll da und kann man es gar nicht abwarten, sich die Kleider vom Leibe zu reißen, so könne man natürlich auch gleich mit einer schnelleren Atmung einsteigen und auch gerne das Stöhnen dazunehmen. Denn: "Die Atmung hörbar zu machen, kann sehr hilfreich sein", so die Sexologin. 

Wie übt man diese Atemtechnik am besten?

Während der Selbstbefriedigung lässt sich die ruhige, tiefe Atmung in den Bauch sehr gut trainieren. Seidel betont: "Oft trainiert man sich in der Masturbation ein nicht so günstiges Muster an, denn sie wird häufig sehr zweckmäßig verwendet, man will schnell kommen, vielleicht sieht man sich nebenbei einen Porno an. Deswegen ist es gut, wenn man sich wirklich auch mal Zeit nimmt für die Masturbation. Das muss nicht immer sein, aber einfach immer mal wieder die Atmung bewusst dazunehmen." 

Doch die Expertin rät, noch einen Schritt weiter hinten bei der Übung anzusetzen. Sie empfiehlt, ganz ohne Erregung jeden Tag die Bauchatmung zu üben:

  • Hierfür die Hände auf den Bauch legen und in den Bauch hineinatmen, der Brustkorb soll dabei ganz ruhig bleiben.

"Das kann man ganz einfach als Abendritual im Bett machen. Beim Einatmen hebt sich der Bauch und genau hier kann man versuchen, gegen die Hände zu arbeiten. Das Zwerchfell kann nämlich die Elastizität verlieren, wenn es nie benutzt wird" erklärt Seidel. Das Schöne daran: Je öfters man diese Atemtechnik übt, umso schneller übernimmt der Körper automatisch die Bauchatmung auch im Alltag, was grundsätzlich zu mehr Gelassenheit, Ruhe und einem bewussteren Lebensstil führen kann. 

Ekstatische Erfahrung macht nun Sinn

Nach dem Interview, wurde mir klar, was in meinem Körper vorging, als ich kurz vor dem Orgasmus bewusst meine Atmung beschleunigt und intensiviert habe. Insbesondere bei der Erklärung mit dem tranceähnlichen Zustand habe ich mich sehr abgeholt gefühlt, denn genau so empfand ich es. Nach dieser nahezu ekstatischen Erfahrung kann ich nur jedem Menschen raten, diese Atemtechnik beim Solo-Sex oder in der Parasexualität auszutesten beziehungsweise sich zunächst mit aller Bewusstheit in der Bauchatmung zu üben. 

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