Ende einer Ära? Sind Instagram, TikTok & Co. out?

Das Fotografieren von Essen mit dem Smartphone ist heute üblich.
Brücken bauen oder Mauern errichten? Ein kritischer Blick auf unsere digitale Verbindung.

Ich kann es wirklich nicht mehr sehen: Egal welche der ach so sozialen Apps ich öffne, überall sehe ich einen kuratierten Feed mit Inhalten, die mir "wahrscheinlich gefallen". Sogenannte "For You Pages", kurz "fyp", sind der Grund dafür, dass Social Media gar nicht mehr so sozial ist, sondern ein weiteres Fließband für akribisch zusammengestellte Geschichten, ganz nach dem Vorbild des Reality-TV. 

Weder auf Instagram noch auf Facebook ist es erstrebenswert, einen moderaten, engen Kreis zu haben, denn das bringt dem Meta-Konzern weder Impressionen noch User-Zirkulation – stattdessen wird man entweder in den hehren Influencer:innen-Rang erhoben oder zum passiven Konsum von Inhalten mit maximaler Verweildauer verdammt, damit die Werbeeinnahmen fließen.

Warum scheinen soziale Medien immer unsozialer zu werden?

Wie sicher sind Kinder in sozialen Medien?

Während Social-Media-Feeds in ihren Kinderschuhen noch regelmäßig mit echten Erlebnissen echter Erwachsener gefüllt wurden, besteht heute ein großer Teil des Geschäftsmodells von TikTok darin, Jugendliche und Kinder auf der Plattform zu halten, um sie durch Werbeeinnahmen und Produktplatzierungen auszubeuten. Über ein Drittel der Nutzer:innen TikToks ist "Statista" zufolge jünger als 18 Jahre. Kinder dürfen zwar nicht für TikTok arbeiten, das Drittel an Nutzer:innen unter 18 Jahren generiert jedoch einen riesigen Teil des Firmenumsatzes.

Anhand der Hautpflegemarke "Drunk Elephant" zeigt ein Artikel von "VICE", welchen Einfluss TikTok und soziale Medien auf Kinder haben. Der Artikel beschreibt, dass sich viele junge Mädchen zu Weihnachten 2023 statt der üblichen Kindergeschenke teure Hautcremes und Anti-Aging-Produkte gewünscht hätten. Die Verpackungen dieser Produkte scheinen besonders bunt und sogar auffällig "kindgerecht" gestaltet zu sein, weshalb im Frühjahr 2024 in Medien wie "CNN" von "Sephora Kids" die Rede war – die sich alles andere als anständig benehmen.

Soziale Medien vermitteln Jugendlichen oft ein falsches Bild davon, wer oder wo sie in ihrem Leben sein sollten. Nicht zuletzt deshalb wird auch hierzulande diskutiert, was mit "unserer Jugend" passiert: Gewalteskalationen von Jugendbanden in der Hauptstadt geben Anlass, über eine Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters nachzudenken. Sind Kinder nicht mehr das, was sie einmal waren, oder dürfen sie gar nicht mehr Kind sein? Wenn Kinder unter zehn Jahren die gleichen Sorgen haben wie ihre Mütter, nämlich Anti-Aging, dann stimmt doch etwas nicht, oder?

Eine vom europäischen Parlament in Auftrag gegebene Studie zum Thema "Einflüsse von sozialen Medien auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen" hat folgende Ergebnisse gebracht:

  • Social-Media-Plattformen wie WhatsApp, YouTube, Instagram, TikTok und Snapchat werden von europäischen Kindern und Jugendlichen intensiv genutzt. Das Nutzungsverhalten deutet auf eine starke Beteiligung bereits in jungen Jahren hin, oft vor dem von den Plattformen geforderten Mindestalter, wobei die tägliche Nutzung mit dem Alter zunimmt.
  • Kinder sind in sozialen Medien einer Reihe schädlicher Inhalte ausgesetzt. Die Exposition variiert von Land zu Land, aber ein erheblicher Prozentsatz der Kinder berichtet von regelmäßigen Begegnungen mit solchen Inhalten, die potenziell negative Auswirkungen auf ihre Entwicklung haben, einschließlich erhöhter Aggressivität, problematischem Sexualverhalten und ungesunden Essgewohnheiten.
  • Cyber-Mobbing und aggressives Verhalten unter Gleichaltrigen sind bedeutende Risiken in den sozialen Medien, mit berichteten negativen Auswirkungen auf jüngere Nutzer:innen. Sexuelle Nachrichten und der Austausch sexueller Bilder unter Gleichaltrigen werden zunehmend normal, was zu Stress und potenziellen Schäden führt.

Passiv in sozialen Medien?

Irgendwann ist das Ende der natürlichen Inhalte erreicht. Zur Zeit der Pandemie änderte Meta seine Strategie und TikTok begann außerhalb Chinas richtig zu boomen. Die Leute begannen, viel mehr Zeit mit Instagram & Co. zu verbringen. Das Konzept eines erfolgreichen sozialen Netzwerks gab es ab hier nicht mehr ohne auf die Nutzer:innen zugeschnittenen Content, vielleicht weil diese Art von Content die höchste Verweildauer erzeugt und Möglichkeiten zum Datensammeln bietet.

Den Feed, in dem ich nach den tollen Partyfotos vom letzten Wochenende immer gleich die peinlichen Bilder meiner Oma sehe, gibt es nicht mehr. Stattdessen baut jede App eine Endlos-Scroll-Funktion ein, um mich bei Laune (und bei der App) zu halten. Instagram spielt mir dazu noch Posts von viralen Accounts zu, die ich nicht kenne, in der Angst, dass ich mit dem Wischen aufhöre.

Passivität ist hier das Zauberwort: Ein großer Teil der Nutzer:innen ist nicht mehr aktiv, sondern lediglich ein (selten DSGVO-konformes) Profil von Interessen und Aktivitäten, anhand dessen die "richtige" Art von Werbung ausgespielt wird. Irgendwie wollen wir das alles aber auch, weil es so bequem ist.

Eine Studie der Universität Bournemouth hat jedoch ergeben, dass eine vermehrte passive Nutzung von Social Media mit einer erhöhten psychischen Belastung und Einsamkeit einhergeht.

Wie funktionieren die Algorithmen von Instagram, TikTok & Co.?

Algorithmen in sozialen Medien darf man sich vorstellen wie unsichtbare Dirigent:innen, die entscheiden, welche Inhalte wir sehen, wenn wir unsere Feeds durchsuchen. Stell dir vor, jedes Mal, wenn du eine App wie Instagram oder TikTok öffnest, betretest du einen riesigen digitalen Raum voller Geschichten, Bilder und Videos. Es ist unmöglich, alles auf einmal zu sehen. Hier kommen Algorithmen ins Spiel. Anhand deines bisherigen Verhaltens – also was du gelikt, geteilt oder länger angesehen hast – versuchen diese Algorithmen zu erraten, was dich interessieren könnte. Sie ordnen die unendliche Menge an Informationen und zeigen dir zuerst das, von dem sie annehmen, dass es dir am besten gefällt.

Das klingt hilfreich, hat aber auch seine Schattenseiten. Wenn Algorithmen bestimmen, was wir sehen, neigen sie dazu, uns Inhalte zu zeigen, die einander immer ähnlicher werden. Das kann dazu führen, dass wir in einer Blase gefangen sind, in der neue Ideen oder andere Perspektiven nur selten durchdringen, sogenannte Echokammern bilden sich.

Darüber hinaus fördern diese Algorithmen oft Inhalte, die starke Reaktionen hervorrufen, weil sie mehr Interaktionen erhalten, sei es positiv oder negativ. Dies kann eine einseitige Weltsicht verstärken und dazu führen, dass wir mehr Zeit in Apps verbringen, was wiederum den Plattformen mehr Geld durch Werbung einbringt.

Scheinindividualität auf TikTok & Co.

Plattformen wie TikTok versuchen mit allen Mitteln, aus allem und jedem ein Erlebnis zu machen, das man mit anderen teilen kann. Warum? Weil das Schüren von Trends mehr Engagement und mehr Klicks bringt. Die Netzwerke wollen Individualität und Eigensinn fördern, aber das funktioniert kaum mit Algorithmen, die von fabrizierten Trends und Viralität leben. "Mashable" schrieb im Juli 2023 von einer "Krise der Individualität".

Das beste Beispiel für den Sinneswandel von persönlichen Inhalten zu klickfarmenden Engagement-Posts ist Elon Musks X (ehemals Twitter). Hier werden problematische Meinungen unter dem Deckmantel der Individualität geschützt: Meinungsfreiheit nennt es der Sellner-Sympathisant Elon Musk. Tatsächlich ist es ein gegenseitiger Überbietungswettbewerb, wer mit der reißerischsten Falschmeldung die meisten Impressionen auf seine Seite zieht. Das wird von Musk nicht nur toleriert – er fördert es, mit Bezahlung.

Was allen Plattformen gemein ist: Nutzer:innen wird Individualität als Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe verkauft, bestenfalls gibt es noch weltweit verfügbare Artikel, die in diesen "Core" passen. "Du bist anders, wenn du diese Dinge hast" ist nur der nächste Geniestreich der Werbeindustrie und das absolute Gegenteil von Individualität.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die weite digitale Landschaft der sozialen Medien mit ihren komplexen Algorithmen und kuratierten Feeds ein Paradoxon von Verbindung und Isolation, Vielfalt und Einheit darstellt. Sie birgt aber auch die Gefahr, uns in Echokammern festzuhalten, in denen die Vielfalt menschlicher Erfahrungen auf Trends und Algorithmen reduziert wird. 

Ist die Ära von sozialen Medien wie wir sie kennen also endgültig vorbei?

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