"Bad Allyship": Wenn Solidarität nach hinten losgeht

Eine Frau posiert mit einer Feder
Wir sollten doch alle Allys sein, oder? Zumindest nur so lange, wie wir es auch richtig machen, meinen Aktivist:innen.

"Be An Ally" stand nicht nur in dicken Lettern auf den Plakaten der "Black Lives Matter Movement"-Demonstrant:innen geschrieben. Solidarität und Allyship gegenüber marginalisierten Gruppen werden, begrüßenswerter Weise, immer mehr gelebt und sind vor allem online zu wichtigen Begriffen geworden. Doch was ist ein:e Ally überhaupt? Und was passiert eigentlich, wenn das "Woke-Sein" schiefgeht und zu performativen Zwecken eingesetzt wird? k.at hat mit dem indigenen Aktivisten Stefan Yazzie Herbert gesprochen und endete auf schnellstem Wege mit Sänger Waterloo am Telefon. 

Aber zurück zum Anfang, denn da stand die Definition:

Was ist Allyship?

Allyship ist in aller Munde. Gesellschaftlich und medial werden Fälle von Rassismus, kultureller Aneignung oder Kolonialismus an den Pranger gestellt und besprochen. Allyship bedeutet in diesem Zusammenhang, laut dem "Anti Opression Network", "eine aktive, konsequente und anstrengende Praxis des Verlernens und Neubewertens, bei der eine Person in einer privilegierten und machtvollen Position versucht, in Solidarität mit einer Randgruppe zu handeln." Der Begriff ist dem Kriegsjargon entlehnt und bezieht sich auf Allianz. Allyship ist außerdem keine Selbstdefinition oder Identität, denn die Arbeit und die Bemühungen von Allys müssen von den Menschen, mit denen sie sich verbünden wollen, anerkannt werden. Ergo: Nur, weil jemand gute Absichten hat, heißt das nicht, dass Communitys damit auch geholfen wird. Oft führen eine unzureichende Umsetzung des Konzepts sogar zu negativen Auswirkungen für Betroffene.

Der Wille zur kritischen Selbstreflexion

Genau das ist der springende Punkt, wie Aktivist Stefan Yazzie Herbert im Gespräch mit k.at erklärt: "Es geht bei Allyship darum, auch wenn du selbst nicht Teil einer Minderheit bist, sie aber trotzdem bestärken willst. Das kann in Form von Spenden, Petitionen, Recherche oder Gesprächen passieren. Aber auch, dass man Missstände aufzeigt und auf Sachverhalte aufmerksam macht. Aber nur weil du es willst, heißt es nicht, dass du auch ein:e Ally bist. " 

Als Mitglied des nordamerikanischen Navajo-Stamms wuchs Yazzie Herbert in den USA sowie in Vorarlberg auf und verschreibt sich neben Film- und Design-Projekten der aktivistischen Arbeit. Er resümiert im Interview mit der Redaktion, dass er regelmäßig viel zu viele negative Beispiele von Allyship sieht, wobei sich Menschen laut ihm nicht tief genug mit dem Thema auseinandergesetzt haben und in Folge sogar Schaden anrichteten. Also, "wo gute Intentionen zwar gegeben, aber auch manchmal der Wille zur kritischen Selbstreflexion fehlt."

"Bad Allyship": Wenn Solidarität nach hinten losgeht

Stefan Yazzie Herbert beim Tedx-Event

Der Tedx-Speaker referierte bereits in der Vergangenheit zum Thema "Rethinking Allyship", also der Neubewertung des Konzepts und führt näher aus: "Das ist der Unterschied, was ich 'Good Allyship' und 'Bad Allyship' nenne. Menschen, die performativ sehr viele gute Sachen sagen, aber vielleicht Taten nicht umsetzen. Oder etwas Falsches sagen und bei einer Belehrung widerwillig sind. In vieler Hinsicht bedeutet das Zuhören, Analysieren und Implementieren. Ich habe es oft erlebt, dass Menschen zwar sehr gut zuhören, aber dann total falsche Schlüsse daraus ziehen. Das hilft niemandem, sondern verletzt manchmal auch. Wenn einen jemand kritisiert, das dann nicht böse zu nehmen, sondern daraus zu lernen, wäre wichtig."

Performatives Allyship laut Aktivist:innen

Negative Beispiele von performativem Allyship gibt es auch in Österreich genug: In den letzten Wochen erregte vor allem der Fall um Hank Ge Aufmerksamkeit (k.at berichtete). Der deutsche Unternehmer verfolgte vermeintlich den Wunsch, "die unbeschreibliche Atmosphäre Balis" auch nach Wien zu bringen und eröffnete mehrere gastronomische Betriebe mit dem Namen Bali Brunch. Dass weder das kulinarische Angebot, noch die Betreiber:innen viel mit Indonesien zu tun hatten, prangerte die aktivistische Gruppe Cinta Cinta Collective an. Um ein Statement gefragt, erklärten diese gegenüber k.at, dass die Gruppe in der jetzigen Phase ihrer Initiative noch weitere Diskussionen zu Allyship führen müssen, um klare Antworten zu geben.

BOHO Experience und Schamanismus

Yazzie Herbert rollt den Sachverhalt außerdem am Beispiel der österreichischen Influencerin Natalie Kreuzmayr auf und zeigt, wie unüberlegte Aktionen Minderheiten schaden können. Kreuzmayr veranstaltet weltweit die "BOHO Experience" – eine Partyreihe, die elektronische Musik und Elemente aus verschiedenen Kulturen vereint. Via Instagram lässt sich nachvollziehen, dass bei den Events auch verschiedene aztekische Rituale praktiziert und weitergegeben wurden. Der Aktivist spricht in diesem Zusammenhang von einer "neuen Generation, die eine moderne Hipster-Hippie-Ästhetik mit Schamanismus, Wellness und Spiritualität" verbindet. Die Auseinandersetzung und Verwendung von gewissen Symbolen werde grundsätzlich mit Weltoffenheit und Liberalität verbunden – also eigentlich Akzeptanz verschiedener Kulturen signalisiert. Dass der Grat aber schmal ist, zeigt sich im Detail:

Bezüglich der aztekischen Rituale auf dem BOHO-Event fällt es Yazzie Herbert nämlich schwer zu glauben, dass diese mit der Erlaubnis des Stamms ausgeführt, beziehungsweise sogar korrekt umgesetzt wurden. Er erklärt, dass sich nicht jede:r der Riten dieser Gruppen bedienen darf: "Es gibt ja Protokolle. Da geht es um diesen Universalismus. In Europa geht man davon aus, dass nur, weil man etwas entdeckt, man dieses Wissen auch haben darf. In vielen indigenen Kulturen gibt es den Schutz von Wissen, Ritualen, Kleidungsstücken und sogar von bestimmten Wörtern, die nicht jede:r aussprechen darf, weil sie heilig sind." In der Navajo-Kultur gibt es zum Beispiel "Sand Paintings", die nach einer schamanischen Zeremonie direkt zerstört werden, da sie nur zwischen den Personen, die anwesend sind und den Schaman:innen bestehen sollen. Sie bestehen nur temporär und dürfen auch nicht reproduziert werden.

In der Popkultur stand neben anderen Fällen auch bereits in der Vergangenheit das missbräuchliche Trägen des Kopfschmuckes von nordamerikanischen Stammes-Häuptlingen in der Kritik – Besucher:innen von Festivals wie dem Coachella oder auch Lana del Rey wurden wegen kultureller Aneignung kritisiert, weil – wie Yazzie Herbert erklärt – dies nur Personen tragen dürfen, "die auch diese Challenges durchgemacht, oder den Respekt und Orden verdient haben".

Das Angebot Yazzie Herberts an Natalie Kreuzmayr, dieses Thema im Rahmen eines Podcasts zu besprechen, wurde vom Management abgelehnt. Auf eine Anfrage zur Stellungnahme von k.at reagierte Kreuzmayr ebenfalls nicht.

Waterloo und "Indianermusik"

Das Beispiel scheint in der Familie zu bleiben – Der Vater ist der Influencerin ist nämlich auch kein Unbekannter, sondern Hans Kreuzmayr, der als Kult-Sänger Waterloo bekannt ist. Dieser feierte nicht nur Erfolge beim Eurovision Songcontest und mit dem Song "Das war Hollywood von gestern", sondern verkleidete sich auch jahrzehntelang als Native American mit Federn im langen Haar. Stefan Yazzie Herberts Einschätzung dazu fällt vernichtend aus: "Er hat nach einer Art spirituellen Erwachens begonnen 'Indianermusik' zu machen. Ich kann nicht beschreiben, wie rassistisch das ist. Alle kennen Waterloo und der springt da auf der Bühne herum, und will Österreicher:innen eine Kultur näherbringen, wo er nicht dazugehört. Er existiert ja in einem Kontext, der fasziniert ist von diesem romantischen Bild. Das hat nichts mit der Realität eines indigenen Menschen zu tun."

Sehr problematisch sieht der Aktivist auch, dass der Entertainer vor einigen Jahren ein Buch über einen nordamerikanischen Stamm geschrieben hat, mit dem Titel "Das geheime Wissen der Lakota: Die 7 Wege zu einem besseren Leben". Erschienen ist dies 2009 im Carl Ueberreuter Verlag und ist zumindest über Amazon noch erhältlich. Auf Anfrage erklärte die Pressestelle des Verlags, dass sie keine Auskunft zu Titeln geben können, die vor 2014 erschienen sind, da das Unternehmen damals neu gegründet wurde. Für Yazzie Herbert ist das Buch "wahre kulturelle Aneignung, weil Waterloo davon profitiert. Und nur, wenn man als Tourist:in wo hinfährt, heißt das nicht, dass man Expert:in ist." Das öffentliche Bild der Lakota wurde bereits davor stark durch die "Winnetou"-Bücher Karl Mays geprägt, bekanntlich traf auch dieser nie in seinem Leben auf Mitglieder des Stammes.

Im Gespräch mit Waterloo

Die k.at-Redaktion erreichte Waterloo zur Stellungnahme über Telefon und besprach mit dem Sänger das Konzept von Allyship. Die Anfänge seiner Kunstfigur seien durch einen Auftritt als Apachen-Häuptling zu erklären, wie der Performer ausführt: "Ich hab den Winnetou gespielt bei den Karl-May-Festspielen. Ich bin zwar in Österreich geboren, aber ein Kind dieser Welt. (…) Ich war dann zu Besuch in Amerika und wollte ein Duett mit Indigenen aufnehmen. Dann habe ich die Musik nach Österreich gebracht und alle haben geglaubt, ich bin jetzt ein Indianer." Er habe aber in jeder Art und Weise positive Absichten und interessiere sich schon immer für alle Kulturen. Dass seine Auftritte in Native-American-Verkleidung für manche als problematisch gelten, weist Waterloo von sich: "Politiker bin ich keiner, es soll jeder machen, was ehrlich ist und aus der Seele kommt."

Von der Redaktion auf das Buch "Das geheime Wissen der Lakota" angesprochen, meint der Entertainer, dass es ein Treffen mit Native Americans gab, was ihn zu der Veröffentlichung inspirierte. Seine Frau habe dafür "die Fotos gemacht und geschrieben hat es eigentlich ein Mann, der ebenfalls einen indigenen Stamm hat, aus München." Die Erlöse aus dem Projekt wurden laut dem Sänger nicht an die Lakota oder andere indigene Gruppen gespendet. Ein klärendes Gespräch mit Aktivist:innen wolle Waterloo trotz seines "offenen Herzens" nicht führen, da dies laut ihm "keinen Sinn" habe und sowieso "Generationen dazwischen liegen" würden.

Yazzie Herbert erklärt, dass das Romantisieren von indigenen Völkern mit Entmenschlichung gleichzusetzen ist: "Man glaubt, wir kennen keinen Schmerz, oder, dass wir Spuren lesen können. Aber nein, wir sind verletzlich, wir sind auch mal Arschlöcher. Nicht jede:r von uns ist eine tolle Person. Wenn du nur positive Eigenschaften siehst, ist das halt einfach nicht die Realität. Wir wollen einfach als Menschen wahrgenommen werden."

Positive Beispiele von Allyship

Dass es aber respektvollen Umgang und gute Formen von Allyship gibt, beweist für den Aktivisten zum Beispiel der "Arbeitskreis Indianer Nordamerikas": "Das ist eine Gruppe von Weißen Menschen, die sich für die Rechte von indigenen Menschen einsetzt. Sie verwenden einen viergeteilten Kreis als Logo, das ein indigenes Symbol ist. Jahrelang hat die Gruppe dafür mit den Stämmen verhandelt, damit sie es für ihre Zwecke benutzen dürfen. Und das ist gar nicht so leicht, weil digitale Kommunikation nicht immer eine Stärke von indigenen Völkern ist. Dinge brauchen eben länger, manchmal Wochen oder sogar Jahre."

Im Alltag wird Yazzie Herbert aber immer wieder mit Rassismus und kultureller Aneignung konfrontiert. Seine Coping-Strategie ist unter anderem auch Humor, wie er sagt: "Ich sammle Rassismus. Auf meinem Handy habe ich einen Folder von negativen Beispielen, wie Verkleidungen. Und dann lache ich, weil es so schlecht gemacht ist. Aber es ist ja traurig, dass ich diesen Selbstschutz überhaupt brauche, weil die Situation eben leider so ist, wie sie ist."

Wie wird man zu einer/einem guten Ally?

Wie schafft man es also, ein:e "Good Ally" zu sein? Abgesehen von den erwähnten Schritten des Zuhörens, Analysierens und Implementierens macht Yazzie Herbert auch darauf aufmerksam, dass die Communitys Ressourcen brauchen, da sie oft vom kapitalistischen System ausgeschlossen werden. Er rät: "Schau dir im Falle von nordamerikanischen Ureinwohner:innen Serien von indigenen Menschen wie 'Reservation Dogs' oder 'Dark Winds' an, streame die Musik der Band 'The Halluci Nation' oder gehe auf Fashion-Shows von Mitgliedern der Communitys. Etwas von ihnen zu kaufen, hilft am meisten". Auch, wenn man sich ein Tattoo mit einem Motiv einer anderen Kultur wünscht, solle man sich am besten von Natives beraten lassen, denn "das ist dann nicht genommen, sondern gegeben". Und das macht schließlich den großen Unterschied zwischen Allyship und kultureller Aneignung aus. 

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